An Rhein und Ruhr. Bei Geldautomatensprengungen in NRW scheint kein Ende in Sicht. Wer die Täter aus den Niederlanden sind und ob genug gegen sie unternommen wird.

Mit einem lauten Knall hat in der Nacht zum Montag eine Automatensprengung in der Duisburger Altstadt die Anwohnenden aus dem Schlaf gerissen. Am Tatort bleiben Zeichen der Verwüstung zurück. Es ist nur eine Automatensprengung von vielen in diesem Jahr, doch dadurch nicht minder erschreckend. Noch sei völlig unklar, wer hinter der Sprengung steckt, so die Duisburger Polizei.

Ob es wieder Sprengerbanden aus dem Nachbarland waren? Verwunderlich wäre das nicht. Seit Jahren nimmt die Gefahr durch organisierte Sprenger aus den Niederlanden zu, die für ihre Beutezüge in schnellen Wagen über die Grenze rasen. 2021 wurden in NRW laut Angaben des Landeskriminalamts 152 Geldautomaten gesprengt. Allein in diesem Jahr seien bereits 38 gewesen – ein Plus von 533 Prozent Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. „Hier ist für uns und auch für die Banken Handlung und Eile geboten“, so Innenminister Reul (CDU).

Niederländische Sprenger erbeuten hohe Bargeldsummen in NRW

Das Gefährliche an den „plofkrakers“, wie die Sprenger in den Niederlanden heißen: für die Aussicht auf hohe Summen Bargeld bringen sie andere in Lebensgefahr. „Es ist ein Riesenzufall, dass durch die Sprengungen noch niemand umgekommen ist“, sagt Robin Hofmann von der Universität Maastricht. Der aus Essen stammende Jurist ist auf grenzüberschreitende Kriminalität spezialisiert.

Hofmann weiß, dass das Sicherheitsempfinden der NRW-Bevölkerung stark unter den „Guerillaattacken oder Raubfahrten“ der Sprenger gelitten hat. So etwa in Ratingen: Aus Angst vor einem Angriff forderten die Miteigentümer eines Hauses vor Gericht den Abbau des Geldautomaten im Erdgeschoss. „Das verstehe ich, das ist auch eine Bedrohung“, sagt der niederländische Botschafter Ronald van Roeden auf Anfrage. Er kennt den Hintergrund des Problems: Weil die niederländischen Banken ihre Automaten aus Schutz abbauen, hätten sich die Sprengungen zunehmend auf NRW verlagert.

Dr. Robin Hofmann lehrt Strafrecht und Kriminologie an der Universität Maastricht.
Dr. Robin Hofmann lehrt Strafrecht und Kriminologie an der Universität Maastricht. © Privat | Privat

Deutschland als „Bargeldgesellschaft“ bleibe attraktiv. In den Niederlanden werde hingegen vorwiegend digital gezahlt. So kommen die Sprengungen im Nachbarland nur noch selten vor, während sich hierzulande ein Schreckensbild entwickelt hat. Doch wer steckt eigentlich genau hinter den Taten? „Man kann sagen, die Täter sind oft Bildungsverlierer“, erläutert Robin Hofmann. „Es sind junge Männer, die in der niederländischen Gesellschaft wenig Aufstiegschancen haben.“ Ihnen winke der schnelle Reichtum in der organisierten Kriminalität. Die Gruppen kämen überwiegend aus dem Großraum Utrecht.

„Karriere“ der Geldautomatensprenger: Einstieg über Kleinkriminalität

Doch es handle sich bei den organisierten Geldautomatensprengungen nicht um Clanstrukturen wie in NRW, sondern um „lockere Netzwerke, oft von marokkanisch-stämmigen jungen Männern aus der dritten Einwanderungsgeneration“. Diese Netzwerke seien durchlässiger, erklärt Hofmann. „Man ist offen für Außenstehende, die sich durch rücksichtsloses Verhalten in der Hierarchie nach oben arbeiten können. Eine Familienzugehörigkeit steht nicht im Vordergrund.“

Der Einstieg erfolgt laut Robin Hofmann oft über die Kleinkriminalität. „Wenn man im richtigen – beziehungsweise falschen – Stadtviertel aufwächst, kommt man damit schnell in Kontakt. Das fängt früh über Jugendgangs an.“ Die Communitys seien weitestgehend machtlos. „Sie sehen hilflos zu, wie ihre Söhne in diese Strukturen hineingeraten. Für viele endet es dann im Knast oder tödlich.“

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Etwa bei gefährlichen Verfolgungsjagden über die Grenze. Hier sind es die extra eingesetzten deutsch-niederländischen Polizeiteams, die oft machtlos zusehen, wie ihnen die Täter mit oder ohne Beute davonfahren. „Die Niederlande und Nordrhein-Westfalen arbeiten daran, die Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung weiter auszubauen”, sagt Botschafter Ronald van Roeden. „Zum Beispiel durch die Aufstockung kooperierender Polizeieinheiten.”

Ob ein Ausbau der Verfolgungseinheiten reicht, daran gibt es Zweifel. Im vergangenen Jahr warf der Kriminologe Cyrille Fijnaut aus den Niederlanden den dortigen Behörden vor, sie würden das Problem auf Deutschland abwälzen. Nicht nur durch mangelnde Ermittlungsarbeit, sondern durch unzureichende Prävention. Auch Robin Hofmann glaubt, dass für die Prävention in den entsprechenden Vierteln mehr getan werden müsse. Er weiß aber auch: „Das ist sehr kostenaufwendig und dauert. Und das ist natürlich für die Polizei und Ermittlungsbehörden, die schnelle Erfolge haben wollen, wenig attraktiv.“

Geldautomatensprengung: Ein „hausgemachtes Problem“ der Banken?

Robin Hofmann kennt die Perspektive der Behörden im Nachbarland: „In den Niederlanden sieht man die Geldautomatensprengungen als hausgemachtes deutsches Problem.“ In NRW würden die Banken vergleichbare Schutzmaßnahmen wie im Nachbarland gar nicht umsetzen. Es geht um Geld. „Für die deutschen Banken ist das eine reine Versicherungsfrage. Solange keine Menschen zu Schaden kommen, lässt sich das auch so abhandeln.“

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Teil des Problems sind offenbar auch landestypische Unterschiede bei der Kriminalitätsbekämpfung. In der niederländischen Strafverfolgung werde versucht, besonders effektiv zu arbeiten. „Es gibt hier Riesenprobleme mit organisierter Kriminalität“, so der Wissenschaftler. „Und das sind nicht die Geldautomaten, sondern der Drogenhandel.“ Auf den konzentriere sich die Polizei - „natürlich zur Frustration“ deutscher Behörden. „Ich kann beide Sichtweisen verstehen“, resümiert Hofmann. Denn wenn in Deutschland mehr Druck auf die Banken ausgeübt würde, „dann würde das Phänomen in wenigen Jahren verschwinden.“