An Rhein und Ruhr. Rückenwind oder stehen wir auf dem Schlau? Das NRW-Fahrradgesetz soll mehr Menschen in den Sattel helfen. Die Umsetzung kommt mühsam in Tritt.
In einer 2018 erschienen Fahrradbroschüre rühmt sich der damalige NRW-Verkehrsminister Henrik Wüst, inzwischen Ministerpräsident des Landes, damit, dass Nordrhein-Westfalen berechtigterweise Fahrradland Nummer eins sei. Und ganz frisch seit Januar ist hier das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz in Kraft getreten.
Auf der anderen Seite stimmen in vielen Städten Bürgerinnen und Bürger mit den Füßen ab; mit sogenannten Radentscheiden setzen sie sich für eine stärkere Förderung des Radverkehrs ein. Wie läuft’s also mit dem Rad an Rhein und Ruhr?
Blickt man auf die Zahl der Verkehrsunfälle an Rhein und Ruhr, gibt es keine guten Nachrichten. Jüngst gab das Statistische Landesamt an, dass die Zahl der verunglückten Fahrradfahrer im Jahr 2020 (aktuellste veröffentlichte Statistik) in NRW erneut gestiegen ist: 76 Personen starben bei Fahrradunfällen, 3.496 Personen wurden schwer verletzt. Bei Unfällen mit Pedelecs starben 30 Personen, 973 wurden schwer verletzt.
„Vision Zero“ – niemand soll mehr auf dem Fahrrad totgefahren werden
Geht es nach dem neuen Fahrradgesetz, soll sich das ändern. In der Gesetzespräambel ist die „Vision Zero“ verankert. Hier heißt es: „Das Land Nordrhein-Westfalen orientiert sich bei der Verbesserung des Radverkehrs und anderer Formen der Nahmobilität auch an dem Ziel der Verkehrssicherheit, dass niemand im Straßenverkehr getötet oder mit lebenslangen Schäden schwer verletzt wird.“ Nur wie?
Laut Gesetz soll ein „Verkehrssicherheitsprogramm“ Ursachen analysieren und Handlungshinweise erarbeiten. Festgeschrieben sind zudem Sicherheitsprüfungen, die beim Neu- oder Ausbau von Wegen stattfinden müssen. Fahrzeuge über 3,5 Tonnen und Omnbibusse mit mehr als neun Sitzplätzen sollen in den kommenden fünf Jahren zudem mit Abbiegeassistenzsystemen ausgestattet werden. Ein Warnton soll auf sich nähernde Radfahrer rechts des Fahrzeuges hinweisen.
Neben der Sicherheit geht es in dem Gesetz aber vor allem um die Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger. „Kernbestandteil des Gesetzes ist, dass wir Radverkehr im Netz und als Netz denken. Das ist neu“, antwortet das NRW-Verkehrsministerium auf NRZ-Anfrage. „Bisher haben Kommunen und Kreise Radwege geplant nach ihrem jeweiligen Bedarf in ihrer Stadt in ihrem Kreis. Dank E-Bikes, mit denen auch längere Pendlerstrecken bequem mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können, müssen wir einen Schritt weitergehen und in einem Netz denken, das über das lokale und regionale Netz hinausgeht“, heißt es weiter.
Planung soll beschleunigt werden
Dieses Radvorrangnetz soll „mit Priorität geplant und gebaut“ werden. So haben laut Verkehrsministerium Klagen gegen Radvorrangrouten keine aufschiebende Wirkung mehr. Zudem verweist das Land auf neu geschaffene zusätzliche Stellen: Beim Landesbetrieb Straßenbau gebe es seit 2020 zehn neue Planerstellen ausschließlich für Radwegeplanung, in den Bezirksregierungen fünf.
Dennoch: Blickt man beispielsweise auf den Radschnellweg RS1, lässt der Fortschritt, geschweige eine Fertigstellung, auf sich warten. Längst witzelt man an Rhein und Ruhr darüber, dass aus dem Schnellweg ein Schleichweg geworden ist. Der RS1 soll am Ende über 116 Kilometer von Hamm über Dortmund, Mülheim und Essen bis nach Duisburg und Moers führen. Fertigstellung? Eigentlich schon 2020… Bislang aber sind nur Teilstücke befahrbar, wie zwischen der Hochschule in Ruhr-West in Mülheim und dem Essener Unicampus oder in Gelsenkirchen. Und auf dem Teilstück zwischen Mülheim und Essen soll es laut Straßen NRW ein „Upgrade“ geben. Denn noch ist die Strecke weder durchgehend asphaltiert noch beleuchtet. Auf NRZ-Nachfrage versichert ein RVR-Sprecher, dass der RS1 auf diesem Stück noch passiert. Die Planungen dazu laufen. Kurzum: Vor 2023 braucht man wohl nicht mit einer Umsetzung zu rechnen...
Eine komplett durchgängige Beleuchtung des gesamten RS1 scheint indes nicht klar zu sein. Das Verkehrsministerium sagt auf unsere Frage nach der Beleuchtung: „Innerorts ist an Ortsdurchfahrten eine Beleuchtung immer vorzusehen. Wo außerorts aus Gründen der Verkehrssicherheit eine Beleuchtung anzustreben ist, etwa im Bereich von Anschlussstellen, wird entsprechend vorgeplant und auf örtliche Begebenheiten geachtet. Hierbei spielt auch eine Rolle, welche Auswirkungen Beleuchtungen auf die Umwelt haben können.“
Städte erarbeiten Mobilitätskonzepte
Ein Bedarfsplan für Radschnellverbindungen soll laut Gesetz 2024 vorliegen. Kommunen werden aufgerufen, Vorschläge zu machen, so das Ministerium. Der Landtag stimmt über die Aufnahme ab.
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club, einer der Initiatoren des Aufbruchs Fahrrad und des Volksentscheids, ist froh, dass es ein solches Gesetz gibt, sieht aber Nachbesserungsbedarf. An vielen Stellen ist es den Fahrradlobbyisten – der ADFC in NRW zählt fast 55.000 Mitglieder – zu unverbindlich und zu unkonkret. Noch fände auch in vielen Stadtparlamenten der Verkehr „aus der Windschutzscheibe heraus“ geplant, so ADFC-Sprecher Ludger Vortmann zur NRZ.
In vielen Städten werden derzeit Mobilitätskonzepte erarbeitet. So erstellt die Stadt Oberhausen derzeit ein Radverkehrskonzept. Für die Stadtteile Sterkrade und Osterfeld gibt es zudem Nahmobilitätskonzepte, die Maßnahmen zur Förderung des Fußverkehrs enthalten.
Auch in Wesel, wo nach Angaben des Mobilitätsbeauftragten Michael Blaess bereits knapp 30 Prozent der Wege im Alltag mit dem Rad zurückgelegt werden, ist ein Mobilitätskonzept in Arbeit. Dabei spielen Ausbau von Rad- und Fußwegen ebenso eine Rolle wie die Sicherstellung von Barrierefreiheit, sichere und überdachte Fahrradabstellmöglichkeiten oder der Bau von Mobilstationen, um sich von Bus- und Bahnstationen weiter fortbewegen zu können.