An Rhein und Ruhr. NRW befindet sich am Anfang der Omikron-Welle. Schärfere Maßnahmen sollen die Eskalation der Situation verhindern. Mediziner schätzen Lage ein.
Die Omikron-Welle trifft gerade mit voller Wucht auf NRW. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt, Stand 11. Januar, bei 381,7 (bundesweit: 387,9). Es ist der höchste Wert in Nordrhein-Westfalen seit Beginn der Pandemie. Besorgt blicken viele Menschen in NRW deswegen auf die momentane Corona-Lage. Doch wie bedrohlich ist die Situation in NRW wirklich? „Wir befinden uns derzeit in der frühen Phase der Omikron-Welle in Deutschland“, sagt Dr. Mirko Trilling, Virologe am Essener Uniklinikum. Eine Welle, die „sehr schnell laufen“ wird, ist sich der Moerser Lungenspezialist Dr. Thomas Voshaar sicher.
Während jedoch die Zahl der Todesfälle zeitversetzt zu der Inzidenz noch bis zum Spätsommer 2021 anstieg, zeigt sich bereits deutlich: Die voranschreitende Zahl der Boosterungen und schärfere Corona-Maßnahmen wirken sich, im Vergleich zum Januar des Vorjahres, positiv auf die Todesfälle aus. Gleiches gilt für die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen, die, im Vergleich von Januar 2021 zum selben Monat im Jahr 2022, um mehr als 50 Prozent gesunken ist. Und trotzdem: Derzeit sind in den nur noch 14,3 Prozent, der Klinikbetten noch frei. „Ich betone aber nochmal, dass für die Beurteilung der Gesamtlage die Krankheitslast nach Altersgruppen und mit Angabe des Impfstatus am wichtigsten ist“, so Voshaar.
Essener Virologe ruft erneut zum Impfen auf
Bundesweit liegt die Zahl der hospitalisierten Covid-19-Fälle pro 100.000 Einwohner (Hospitalisierungsrate) bei den ungeimpften Ü60-Jährigen am höchsten (29,1). Zum Vergleich: In der gleichen Altersklasse verzeichnete das RKI in der letzten Dezemberwoche 2021 bei geboosterten Personen nur einen Anteil von 1,3. Das bedeutet: Von 100.000 dreifach geimpften Ü60-Jährigen liegt im Durchschnitt nur mehr als einer mit einer Covid-Infektion im Krankenhaus. Bei den Ungeimpften ist dieses Risiko 22-fach höher.
Ähnlich verhält es sich bei der jüngeren Generation: Hier liegt die Hospitalisierungsrate der ungeimpften 18- bis 59-Jährigen bei 5,4. Bei Geboosterten beträgt der Wert nur 0,4. „Die Ungeimpften müssen sich unbedingt impfen lassen. Die Geimpften müssen sich unbedingt boostern lassen, sobald die letzte Impfung zu lange zurückliegt“, lautet der Appell von Virologe Trilling. Er bezeichnet das Thema Impfpflicht als „eine schwierige Diskussion“, befürchtet jedoch auch, „dass es keinen anderen Ausweg aus der Pandemie gibt“. Gerade für Menschen, die im medizinischen Sektor tätig sind oder sich um andere Menschen kümmern, sei eine Impfung „unerlässlich und aus meiner Sicht ein Teil der Sorgfaltspflicht“. Lasse man das Virus jetzt ungehindert durch die Bevölkerung laufen, hätte es „verheerende Folgen, vor allem für Betagte oder Menschen mit Vorerkrankungen“, lautet die Einschätzung von Trilling.
Dr. Thomas Voshaar widerspricht, er sieht in der neuen Corona-Variante „eine Chance, aus der Pandemie endlich rauszukommen.“ Man müsse und solle, seiner Meinung nach, eine Durchseuchung nicht verhindern, solange „vulnerable Menschen durch Impfung vor schwersten Verläufen geschützt sind“. Durch die Infektion bekomme man eine Immunität, die anders sei als durchs Impfen. „Durch Impfung stimuliert man vor allem im Blut die Bildung von Antikörpern und prägt die Lymphozyten. Letztere tragen auch das immunologische Gedächtnis“, erklärt der Lungenspezialist.
Bei einer natürlichen Infektion lösten die Viren an ihrem Eintrittsort, dem Nasenrachenraum, eine starke Schleimhautreaktion aus. „Die Abwehr funktioniert dort ganz anders als im Blut. Dort aber muss die erste Abwehr gegenüber vielen Keimen, auch Viren stattfinden. Ins Blut gelangen die Viren ja auch erst sehr viel später“, begründet er seine Position. Schon jetzt schlage man aber laut Trilling mit dem verschärften Maßnahmen-Paket die richtige Richtung ein: „Für drastischere Maßnahmen ist die Lage in Deutschland, zum Glück, aktuell noch nicht katastrophal genug.“
Virologe befürchtet Verschärfungen der Corona-Maßnahmen in NRW
So sei die 2Gplus-Regelung bei zweifach Geimpften beispielsweise eine sinnvolle zusätzliche Sicherheitsmaßnahme. Dennoch warnt Trilling auch: „Es könnte sein, dass der neue Maßnahmen-Katalog nicht ausreicht, um einen starken Anstieg der Omikron-Infektionenzu verhindern. Ich befürchte, dass die Politik in einigen Wochen nachjustieren muss.“
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Derzeit liegt der Anteil der Omikron-Fälle an allen gemeldeten Fällen der sogenannten „besorgniserregenden Varianten“ (VOC) in NRW bei 54,2 Prozent, meldet das RKI. Diese Quote beziehe sich jedoch nur auf die deutliche Minderheit aller Infektionsfälle, nämlich derjenigen, die als VOC gemeldet sind, schreibt das NRW-Gesundheitsministerium auf NRZ-Anfrage. „Ob sich diese RKI-Quote auf alle Infektionsfälle übertragen lässt, ist gegenwärtig zumindest fraglich, weil die lange dominierende Delta-Variante in der Regel nicht mehr typisiert wird und daher im Meldewesen untererfasst sein dürfte“, heißt es weiter. Es es sinnvoll, zusätzlich den Anteil der gemeldeten Omikron-Fälle an allen gemeldeten Neuinfektionen der Inzidenzwoche zu berechnen. Dieser Anteil liegt in NRW aktuell bei 18,0 Prozent (Stand: 10. Januar). „Da davon auszugehen ist, dass nicht alle Omikron-Fälle auch bereits als solche erkannt und gemeldet werden, handelt es sich hierbei um den Mindestanteil von Omikron an allen gemeldeten Fällen“, so ein Sprecher des Ministeriums.