An Rhein und Ruhr. In NRW treffen sich in immer mehr Städten Kritiker der Corona-Politik zu nicht angemeldeten Spaziergängen. Gegendemonstranten formieren sich.

Es sind verstörende Bilder: Bei einer Demonstration der „Querdenken“-Bewegung in Dortmund haben vor drei Tagen etliche der 650 Teilnehmer ihre Kinder mitgebracht. Und dies einen Tag, nachdem in Schweinfurt ein vierjähriger Junge auf einem „Spaziergang“ von Impfgegnern durch Pfefferspray verletzt wurde, das die Polizei einsetzte und er abbekommen hatte, als seine Mutter mit ihm eine Polizeiabsperrung durchbrechen wollte. Für Michael Mertens, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW, ist es „verwerflich, dass eine Mutter ihr eigenes Kind als Schutzschild gegen die Polizei benutzt.“ Einsätze, bei denen Kinder involviert sind, gehörten zu den schwierigsten Situationen bei der Polizei. Die Proteste gegen die Corona-Politik scheinen eine neue Dimension zu erreichen. Auch in Nordrhein-Westfalen nehmen die zum Teil nicht angemeldeten Protest-Spaziergänge gegen die Corona-Maßnahmen zu.

1300 Impflicht-Gegner gingen in dieser Woche in Münster auf die Straße, 1500 in Bielefeld, 800 Menschen zogen in Bonn durch die Straßen, darunter auch Kinder. Auch in der Region gingen Impfgegner und Corona-Skeptiker auf die Straße: 350 in Essen, 300 in Dinslaken, 100 in Wesel. 20 waren es in Moers. Hier bekommt die Gruppe, die „gegen die Spaltung der Gesellschaft und gegen den Impfzwang“ unterwegs ist, Gegenwind: Das Bündnis „Moers ist bunt, nicht braun“ hat parallel mit etwa 50 Teilnehmern für Toleranz demonstriert. Auch in anderen Städten positionieren sich Gegendemonstranten, so wie in Münster, wo dem Aufruf des Bündnisses „Keinen Meter den Nazis“ 120 Menschen folgten.

„Eine Untergrabung des Rechtsstaates“

Organisiert werden die „Spaziergänge“ zumeist in Gruppenchats und sozialen Netzwerken, um die Corona-Vorgaben für Versammlungen zu umgehen. Teilweise geben sich keine Veranstaltungsleiter zu erkennen, was gegen das Versammlungsrecht verstößt. In Dinslaken hatte der Co-Vorsitzende der „Basis“ im Kreis Wesel, Ralf Wosnek, in seiner Telegram-Gruppe mit mehr als 300 Mitgliedern zu Spaziergängen durch die Stadt angeregt. Die Polizei hatte Montag vergebens versucht, ihn in der Menge ausfindig zu machen.

„Was wir hier sehen ist eine Untergrabung des Rechtsstaats. Es ist eine Strategie, die Demonstrationen nicht anzumelden“, ordnete Montagabend Oliver Huth, Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, im WDR die Strategie der Versammlungen ein. Den Behörden werde absichtlich verschwiegen, dass da etwas stattfindet.

Auch interessant

In Wesel waren weder Plakate, noch politische Botschaften zu sehen – die „Spaziergänger“ äußerten in Gesprächen ihre skeptische Haltung gegenüber der aktuellen Corona-Politik. Die Versammlung wurde von der Polizei beobachtet, sie blieb friedlich, genauso wie auch die in Dinslaken. Beide hätten angemeldet werden müssen, wie das NRW-Innenministerium auf Nachfrage der NRZ klarstellt. Bei den Spaziergängen handele es sich in der Regel „um Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes.“ Von einer Versammlung sei auszugehen, „wenn mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung zusammen kommen“.

Anzeige wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz

Laut aktueller Corona-Schutzverordnung dürfen sich zu Versammlungen bis zu 750 Personen – sogar ohne Maske – treffen. Bei der Anmeldung von den Veranstaltungen müssen ein Organisator, die Personenzahl und die Wegstrecke genannt werden. Auch für Ordner müsste gesorgt werden. Weil das alles bei den jüngsten Spaziergängen im Kreis Wesel in Moers, Wesel und Dinslaken nicht passiert ist, hat die Polizei Anzeige wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz erstattet. Der Staatsschutz ermittelt. Eine Auflösung der Spaziergänge sei aber erst bei gewalttätigen Ausschreitungen möglich. „Auch für die Polizei ist das keine gute Situation“, so eine Polizeisprecherin.

Auch interessant

Essen, Dinslaken, Wesel, Schermbeck, Hilden, Bonn, Dülmen, Ahlen, Beckum, Bocholt, Gronau, Lengerich, Ochtrup … – die Liste der Städte, in denen Gegner der Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, wird in NRW länger. Doch auch die Gegendemos nehmen zu. In Hilden versucht Gerti Kreitz die Bürger zu bewegen, sich gegen die Querdenker-Szene zu stellen. Die Seniorin ist Mitglied in der Bewegung „Omas gegen Rechts“ und zeigt sich fassungslos darüber, „dass diese Leute ohne Anmeldung zu 100 durch Hilden spazieren dürfen.“ Es sei Zeit für eine „Hilden stellt sich quer“-Bewegung, analog zu den Bündnissen in Köln und Düsseldorf, findet sie. Dort hätten sich Gewerkschaften, Kirchen und demokratische Parteien gegen „rechte Gefährder unserer rechtsstaatlichen Grundsätze“ zur Wehr gesetzt. (aha/rme/rku)