An Rhein und Ruhr. Rosa Spielküche, blaue Burg: Genderforscherin Heike Mauer erklärt, warum getrennte Spielwelten letztlich nur den Unternehmen zu Gute kommen

Betritt man beim Weihnachtsshoppen ein Spielzeuggeschäft, gliedert sich die Auswahl nicht selten in zwei Bereiche: Rechts stehen die Feuerwehrautos und Piratenschiffe von Playmobil, links die Kinderküchen und Baby-Born-Puppen. Dahinter stecken nicht immer die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mädchen und Jungen - sondern schlichtweg eine sehr erfolgreiche Marketingstrategie.

Einige Unternehmen, wie Lego, möchten dagegen steuern. Denn eine von dem Spielzeugunternehmen in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass sich Klischees und alte Rollenbilder vor allem im spielerischen Alltag der Kinder widerspiegeln. Die Genderforscherin Heike Mauer von der Universität Duisburg-Essen ordnet ein.

Warum gibt es überhaupt getrennte Spielwelten?

Dahinter steckt die Idee, dass Geschlecht ein wichtiger Faktor ist, der Kaufverhalten und Kaufentscheidung beeinflusst. Das Gendermarketing versteht Geschlecht strikt binär und droht so auch immer wieder, Klischeevorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu reproduzieren. Gendermarketing im Kinder- und Jugendsegment bedeutet, dass Jungen und Mädchen unterschiedlichen Inhalt präsentiert bekommen. Dabei wird mit einer rigiden Geschlechterteilung gearbeitet, die bereits für Kleinkinder deutlich stärker ausgeprägt ist, als bei Erwachsenen – etwa, wenn Babyzimmer oder Babykleidung ausschließlich in rosa oder blau verkauft werden.

Was haben die Unternehmen davon?

Es lässt sich beobachten, dass im Vergleich zu den 70er Jahren immer mehr Bereiche farblich codiert sind, also rosa für Mädchen, blau für Jungs, und kaum neutrale Versionen angeboten werden. Dabei geht es nicht nur um Spielzeug, sondern auch um Kleidung und Gebrauchsartikel wie Fahrräder und Kindershampoo oder Lebensmittel wie das „Mädchen-Ei“ von Kinderüberraschung. Aus der Perspektive der Industrie ist das Ziel des Gendermarketings, dass mehr Produkte verkauft werden, indem sie doppelt angeschafft werden müssen. Es gibt weniger Kinder als früher. Und wenn für Mädchen und Jungen spezifisches Spielzeug existiert, kann nicht einfach so getauscht und vererbt werden.

Ist es biologisch nachvollziehbar, dass verschiedene Geschlechter verschiedenes Spielzeug bevorzugen?

Warum spielen Mädchen häufiger mit Puppen und Jungs mit Autos? Die Kindheits- und Jugendforschung zeigt in vielen Studien, dass Kinder bereits früh als ‚Mädchen‘ oder als ‚Jungen‘ adressiert werden. Hierbei handelt es sich auch um unbewusste Vorgänge, etwa, wenn bereits im Kleinkind- und Säuglingsalter mit Mädchen mehr gesprochen und kommuniziert wird; oder wenn die Kompetenzen von Kleinkindern, wie Mut und Schüchternheit abhängig von Geschlecht eingeschätzt werden. Das heißt Kinder werden – noch bevor sie eine eigene Geschlechtsidentität und das Wissen ausbilden, welchem Geschlecht sie sich selbst zuordnen – mit gesellschaftlichen Geschlechterstereotypen konfrontiert, die sich dann auch auf das Spielverhalten auswirken können.

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Welche Auswirkungen könnte es haben, wenn Spielwelten klar zwischen Jungen und Mädchen unterteilt sind?

Je rigider die Trennung hier ist, umso größer ist die Gefahr, dass Kinder ihre Potenziale gar nicht entfalten können, weil ihnen erfolgreich suggeriert wird, dass dieses oder jenes Spiel eben „nichts für Jungs“ oder „nichts für Mädchen“ ist. Dies schränkt alle Kinder in ihrer Freiheit und Kreativität ein, und alle Geschlechter sind betroffen. Eine solche Zweiteilung der Welt ist aber eine besondere Herausforderung für diejenigen Kinder, die sich in diese strikt binär gedachte Zweigeschlechtlichkeit nicht einfügen können oder wollen, also beispielsweise intergeschlechtliche Kinder, Transgender-Kinder oder Jungen und Mädchen, deren Interessen sehr stark von den an sie gestellten geschlechtlichen Rollenerwartungen abweichen.

Dass es diese Einschränkungen tatsächlich gibt, belegt ja gerade auch die Lego-Studie, in der es heißt, dass auch viele Kinder selbst glauben, dass gewisse Aktivitäten nur etwas für Jungs und andere nur etwas für Mädchen sind. Zugleich zeigt sich dort, dass gerade den Jungen ein Ausbrechen aus Geschlechterstereotypen auch von ihren Geschlechtsgenossen seltener ‚erlaubt‘ wird als Mädchen. So finden es mehr Mädchen als Jungs in Ordnung, wenn Mädchen Fußball spielen und Jungs Ballett tanzen. Zugleich spiegeln gerade kindliche Spielwelten oftmals veraltete Rollenstereotype wider, die Männlichkeit mit Abenteuerlust, Technikbegeisterung und Erfindergeist assoziieren, während Weiblichkeit mit Schönheit, Familie und Sorgebeziehungen verknüpft sind.

Auch wenn es sich nicht um einen Automatismus handelt, so spiegeln sich letztendlich in solchen Themenwelten gesellschaftliche Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis, wie beispielsweise die „Vergeschlechtlichung“ von Arbeit, der Gender-Pay-Gap und die Ungleichverteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit wider. Dies steht aber den Teilhabeversprechen einer gleichberechtigten und demokratischen Gesellschaft entgegen.

Wie hat sich das Gendermarketing in den letzten Jahren entwickelt?

Im Vergleich zu den 1970er Jahren, wo es zwar Puppen für Mädchen und den Baukasten für Jungs, aber auch sehr viel ‚neutrales‘ Spielzeug wie Bauklötze, Lego oder Playmobil gab, hat das Gender-Marketing deutlich zugenommen. Auch Lego betreibt ja mit den ‚friends‘- und ‚technik‘-Reihen eine Form des Gendermarketings. Zugleich wird Gendermarketing gesellschaftlich aber auch stark in Frage gestellt.

Beispielsweise vergibt eine Initiative seit mittlerweile fünf Jahren den „Goldenen Zaunpfahl für absurdes Gender-Marketing“. Hier wird also gezielt Kritik geübt. Auch Initiativen wie „pink-stinks“ problematisieren die Auswirkungen von rigiden Geschlechterrollen für Kinder. Und der Fall von Lego zeigt, dass hier in Teilen ja tatsächlich ein Umdenken stattfindet und inklusivere Angebote für alle gemacht werden sollen. Ob dies am Ende tatsächlich gelingt, muss Lego in der Praxis jedoch noch beweisen.

Was müsste passieren, damit Kinder frei von Klischees spielen können?

Lego hat erkannt, dass die Darstellung ihrer Produkte das Spielverhalten von Kindern beeinflusst. Das betrifft ja auch nicht allein Geschlecht, sondern auch Fragen von Rassismus oder sozialer Herkunft. Wie insbesondere kleine Kinder sich selbst sehen, und wie sie sich ihre Zukunft erträumen, ob sie Astronautin werden oder Tierpfleger, ist in hohem Maße davon abhängig, was ihnen von außen, durch Bezugspersonen in ihrer Familie, ihrer Kita und in der Schule präsentiert wird. Es geht aber auch um die Frage, was für einen Umgang sie erlernen, mit Rollenerwartungen, die auch aus den Freundesgruppen der Kinder selbst formuliert werden.

Im Idealfall wird hierbei das Aushalten von Pluralität gelernt: Es müssen nicht alle in einer Gruppe das Gleiche gut oder schlecht finden, es ist auch nicht schlimm, wenn ich mich von meinen Freundinnen und Freunden unterscheide. Hier sehe ich nicht nur die Spielzeug- und Werbeindustrie in der Verantwortung, sondern letztlich die gesamte Gesellschaft und insbesondere Bildungsinstitutionen.

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