Groesbeek/Nijmegen. Wie aus Kastanien feinste Gerichte werden und wer Popstars unter den Früchten sind, zeigt die Geschichte vom Sternerestaurant De Niewue Winkel.
Die Wege sind matschig und das Gehölz verliert langsam seine Farben. An Früchten und Gemüse ist hier gerade nicht viel zu holen. Wouter van Eck ist trotzdem glücklich, denn so soll es sein, es ist der Lauf der Natur, schließlich ist es gerade Oktober.
Vor zwölf Jahren hat er hier in Groesbeek bei Nijmegen ein Projekt gestartet, das ziemlich wegweisend ist – einen sogenannten Food Forest. „Ich hatte den Traum, etwas Dauerhaftes zu pflanzen. In der konventionellen Landwirtschaft ist der Boden nach der Ernte im Grunde tot, beziehungsweise die Bauern fangen wieder, wie zum Beispiel beim Weizenanbau, bei Null an, Das wollte ich anders machen“, erzählt der diplomierte Landespfleger gut gelaunt.
Ein Stern für botanische Küche
Auf sechs Hektar Fläche wachsen im Voedselbos Ketelbroek, so der niederländische Name, hunderte verschiedene Pflanzen, die Menschen ernähren können. Von einem Hektar Food Forest würden acht Menschen ein Jahr lang satt werden. So wie auf kongeniale Art im „De Nieuwe Winkel“ in Nijmegen. Das Restaurant ist gerade mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet worden – obwohl es den gängigen Kriterien für die Haute Cuisine gar nicht entspricht. „Der Chef von Michelin Belgien hat mich gefragt: ‘Was machst du hier?’ Du hast doch vorher Trüffel und Hummer zubereitet“, verrät Inhaber Emile van der Staak.
Vor sieben Jahren war der Spitzenkoch zum ersten Mal im Food Forest. „Es war morgens, kalt und matschig, ein wirklich unwirtlicher Ort“, erinnert sich Emile van der Staak. Doch als ihm Wouter van Eck erklärt, was er da in der Botanik anstellt, macht es bei ihm klick. „Früher habe ich noch regelmäßig Fleisch gegessen und mir wenig Gedanken über Ernährung gemacht. Das wollte ich nun ändern“, nickt Emile van der Staak.
Während des Bauingenieur-Studiums lernt er Leute kennen, denen nachhaltiges Handeln und gesunde Ernährung wichtig sind. Um Geld zu verdienen, geht der in der Nähe von ‘s Hertogenbosch aufgewachsene lange Schlaks in die Gastronomie. Er arbeitet in Amsterdam und Belgien, dort auch in Sterne-Restaurants. Als er vor zehn Jahren „De Nieuwe Winkel“ eröffnet, liegt der Fokus von Beginn an auf vegetarischer und veganer Ernährung. Als ein Journalist in dem Restaurant isst und eine überschwängliche Gastrokritik dazu schreibt – „Das ist eine Sensation!“ – wird das kleine Restaurant vom Insidertipp zu einer der angesagtesten Adressen der Niederlande. „Als wir angefangen haben, kamen ein paar Gäste, vielleicht zehn. Ich dachte, oh, nicht schlecht, zwei mehr als letzten Samstag“, berichtet Emile van der Staak grinsend.
Inzwischen, nach dem Umzug an den neuen Standort Gebroeders van Limburgplein 7, ist es kaum möglich, einen der 42 Sitzplätze dort zu bekommen. „Wir sind fünf Monate im Voraus ausgebucht“, freut sich der Chef.
Vier Menüs gibt es pro Jahr, je nachdem, was der Food Forest in Ketelbroek in der jeweiligen Jahreszeit hergibt. Im Herbst bestimmen Nüsse den Teller, doch was sich profan anhört, ist tatsächlich eine Sensation. Aus Kastanien zaubern Emile van der Staak und seine bis zu 17 Mitarbeiter in der Küche ein Tempeh, das die Geschmacksnerven explodieren lässt.
Dazu gibt es mit verschiedenen Kräutern angereicherte Säfte von Trauben aus dem Food Forest oder wahlweise einen Cidre, der einfach nur glücklich macht. Auch die Weinauswahl ist exquisit und perfekt zum Menü passend.
Vegetarische oder gar vegane Gerichte sind im Trend, immer mehr Menschen stellen ihre Ernährung um. Um die Revolution in der Küche, wie sie im De Nieuwe Winkel praktiziert und kredenzt wird, gibt es sogar einen riesen Hype. „Vorletzte Woche waren zwei TV-Teams da. Und vor nicht allzu langer Zeit auch die Chefs von Michelin Belgien und Deutschland“, erzählt Emile van der Staak. „Sie haben sich nicht angekündigt, aber ich habe sie an der Sprache erkannt und weil sie älter waren als der Schnitt meiner sonstigen Gäste.“
Pfeffer und exotische Früchte
Kastanien auf dem Teller oder Saft aus Papau, eine Mischung aus Apfel und Birne, haben die feinen Herren vorher sicher noch nie gekostet. So wie die exotische Frucht, normalerweise in Nordamerika oder Kanada zu Hause, wächst im Food Forest auch Szechuan-Pfeffer. Auch Japan-Kakteen oder der sogenannte Schokoladenbaum fühlen sich in den Niederlanden ganz wohl, obwohl sie ihren Ursprung ganz woanders haben. 400 Pflanzen hat Wouter van Eck 2009 hier in den Boden gesetzt. „300 weitere kamen im Laufe der Jahre hinzu. Nicht alle sind essbar, sie sind nur dazu da, um das System zu erhalten“, erklärt der Experte.
Obwohl gerade in den Niederlanden der Boden extrem von konventionellem Anbau und Nutzviehhaltung ausgebeutet wird, findet gerade eine lebhafte Diskussion über die Zukunft der Landwirtschaft statt. Wouter van Eck träumt davon, dass irgendwann einmal 40 Prozent der Fläche so genutzt werden, wie er es in Groesbeek tut. In Schijndel in der Provinz Brabant steht bereits ein 20 Hektar großer Food Forest, weitere werden folgen.
Wie schnell sich die Natur den Boden zurückholt, wenn man sie nur lässt, sieht man am besten an den Bäumen. Wo vor vier Jahren noch ein kümmerlicher Busch stand, ist jetzt ein mehrere Meter hoher Baum. Manche Pflanzen sind sogar so schnell, dass sie auch gut im Musikbusiness aufgehoben wären. „Die Aprikose ist die Amy Winehouse unter den Pflanzen“, wirft Wouter van Eck grinsend an. „Sie lebt nur 20 Jahre, von daher passt das Motto: ‘Live fast, die young’ sehr gut zu ihr.“
Wer einmal mit ihm durch den Food Forest Ketelbroek gehen möchte, muss sich allerdings bis April nächsten Jahres gedulden. Dann bietet Wouter van Eck wieder geführte Touren an. Es wird informativ – und auf jeden Fall sehr witzig, der Mann kann gut erzählen.
Die NRZ war auf Einladung von NBTC in Nijmegen.