Kevelaer. Eine Ewigkeit lang zählte die Wallfahrtsstadt Kevelaer 800.000 angemeldete Pilger im Jahr. Diese Zahl ist heute nicht mehr erreichbar. Und nun?
In guten Zeiten meldete die Wallfahrtsstadt Kevelaer 800.000 angemeldete Pilger im Jahr – doch nicht nur Corona hat diese Zahl ausgehebelt. Und doch, das Gnadenbild zieht die Menschen an. Werden auch künftige Generationen den Zauber dieses Ortes spüren wollen? Im Gespräch Gregor Kauling, Wallfahrtsrektor in Kevelaer.
Herr Kauling, Sie sind Rektor der Wallfahrt in Kevelaer, Domkapitular in Münster, „normaler“ Seelsorger in der Pfarrgemeinde St. Marien – und ein bisschen Hoteldirektor sind Sie auch. Was macht Ihnen mehr Spaß?
(schmunzelt) Ich habe mich in den vier Jahren, in denen ich jetzt in Kevelaer bin, daran gewöhnt, in einem Hotel zu wohnen. Wobei das in der Hochzeit der Pandemie schon ein seltsames Gefühl war, nahezu völlig alleine in so einem großen Haus, das das Priesterhaus ja ist, zu wohnen. Und klar, das war schon eine große Umstellung vor vier Jahren, von Dinslaken – ich war ja Dechant im Dekanat Dinslaken - in einen Wallfahrtsort zu wechseln. Aber ich bin angekommen – und es macht mir große Freude.
Sie haben von Ihrem Büro Blick auf die Kerzen- und die Gnadenkapelle mit dem Marienbildchen, das seit Hunderten von Jahren verehrt wird. Corona hatte den Platz zwischenzeitlich leer gefegt…
Das war und ist immer noch schmerzhaft. Auch bei uns sind die Pilgerzahlen eingebrochen, die Einschränkungen in den Gottesdiensten – das hat uns alle betroffen gemacht. Kevelaer hat sein Gesicht verändert.
Seit Hunderten von Jahren wird in Kevelaer das Gnadenbild verehrt, das Bildchen der „Trösterin der Betrübten“
Unser Wallfahrtsort, der ja die Trösterin der Betrübten in sich trägt, lebt von der Lebendigkeit und dem Austausch untereinander, der Begegnung der Menschen, dem gemeinsamen Gebet. Wir haben zum Glück ein wenig von der alten „Normalität“ in den vergangenen Wochen wieder spüren dürfen – aber die Leere auf dem Platz war schon schrecklich.
Zur Person
Gregor Kaulig (Jahrgang 1964) ist seit 2017 Rektor der Wallfahrt in Kevelaer. Er schloss zunächst ein ingenieurwissenschaftliches Studium der Stadtplanung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen ab. Zum Priester geweiht 1999. 2009 kam er nach Dinslaken, Pfarrer in Heilig Geist, 2011 zusätzlich in St. Vincentius. Dechant im Dekanat Dinslaken 2011, 2012 übernahm er die fusionierte Pfarrei St. Vincentius Dinslaken.
Wie viel Zukunft hat ein Wallfahrtsort denn überhaupt noch?
Das Pilgerwesen hat sich deutlich verändert. Kamen früher die Menschen in organisierten Gruppen mit festen Gottesdienst- und Gebetszeiten, sehen wir mehr und mehr Einzelpilger – die sicherlich auch wegen des gemütlichen Kaffeetrinkens, Einkaufens und der gastronomischen Vielfalt in die Stadt kommen. Bei den momentanen Veränderungen bleibt zu hoffen, dass das vielfältige – auch gastronomische Angebot – in Kevelaer bleibt und sich weiter stabilisiert.
Gradierwerk, Solegarten, Atemweg
Aber es gibt ja nach wie vor die gelebte Tradition, im Sommer etwa, wenn die Bocholter Pilger mit 1000 Leuten über die Hauptstraße einziehen. Mit dem Gradierwerk und dem Solegarten und all seinen Angeboten drumherum ist ein neuer Anziehungspunkt in der Stadt gefunden worden. Wichtig wird dabei eine sinnvolle Vernetzung sein.
Wir haben von der Wallfahrtsleitung aus in den letzten Jahren weitere moderne Formate entwickelt, um die Menschen abzuholen, ihnen neue spirituelle Angebote zu machen.
Eine Kerze anzünden – um Kraft und Hoffnung zu finden
Eines ist doch klar. Wallfahrtsorte sind besondere Orte, Kraftquellen, zu denen es die Menschen immer ziehen wird. Und ein Besuch bei der Trösterin der Betrübten, eine Kerze entzünden, bei ihr Dank zu sagen und Beistand zu erbitten – das wird niemals an Bedeutung verlieren.
Sie sprechen von neuen spirituellen Formaten – Rosenkranz und fromme Lieder allein reichen nicht mehr, um Gott zu finden?
Nun, das würde ich so nicht sagen wollen. Für die einen ist genau diese Form die richtige auf der Suche nach Sinn und Halt im Leben. Aber natürlich müssen wir auch die neugierig machen, die sich von der Kirche entfernt haben oder nicht mehr verstanden wissen. Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit neuen, zusätzlichen Angeboten – der Vigilfeier etwa, mit musikalischen Angeboten, Lichterfeiern und meditativen Textelementen, Live-Übertragungen, Radio-Gottesdiensten, Videobotschaften. Und wir Priester sind auf dem Kapellenplatz präsent, sind Ansprechpartner für alle.
Mit Albe und Kolar.
Selbstverständlich, das gehört dazu. Manchmal auch mit der Monstranz. Gerade in Zeiten, wie die Corona-Pandemie sie uns aufdrückt, ist es wichtig, den Menschen Trost zu spenden, füreinander da zu sein, niemanden allein zu lassen. Menschen zu segnen, Ihnen zu signalisieren: „Ich bin für dich da.“ Und diese Botschaft geht auch von einem kleinen Bildchen aus, das in der Gnadenkapelle seit vielen Generationen verehrt wird. Das ist an sich schon wunderbar.
Kevelaer setzt auf zwei Pferde, wenn man das mal so sagen darf: Geist und Seele. Es gibt die spirituellen Angebote für die Pilger. Und es gibt die neue Kraftquelle für den Körper, das Gradierwerk, den Aromagarten, den Atemweg.
Und das ist ja gut so. Es gilt für mich das katholische „et et“, also das „sowohl als auch“. Leib und Seele wollen Heil erfahren und gesunden. Und wissen Sie, ich will den Menschen begegnen, ihnen zuhören, mich mit ihnen austauschen, Nähe schaffen, das Geheimnis des Lebens entdecken – gerne auch mit Gott. Wenn die Menschen dann irgendwann auch in die Kirche gehen – gut.
Gregor Kauling: „Wir haben diesen Ort von Gott geschenkt bekommen“
Aber das ist nicht mein erstes Ziel. Mein erstes Ziel heißt: Begegnung. Christsein kann man nicht verordnen. Und: Dieser Ort ist ja nicht von Menschen gemacht, wir haben ihn von Gott geschenkt bekommen. Deshalb bleibt er auch- trotz seines Alters – jung!
Die Gottesdienste selbst werden weniger besucht...
Ja – und nein. Es sind aber eher die Gäste von außerhalb, die kommen, nicht so sehr die Kevelaerer – was ich sehr bedauere.
„Unser Event ist die Gottesmutter“
Was mir auch wichtig ist: Wir brauchen in Kevelaer keinen Event-Aktionismus, wir müssen kein ständig neues Event suchen. Unser Event ist ja schon da: Maria, die Gottesmutter.
Und dazu all die wunderbare Kunst, die Orgelmusik, Kirchen und Kapellen, kunsthandwerkliche Arbeiten, die Gastronomie, man kann lecker essen, Kerzen kaufen und anzünden – und dabei der Gottesmutter und Gott ganz nah sein.
Ein Event wird es geben in 2024 ?
Oh ja, natürlich. 2024 feiern wir 375 Jahre Kirchweihe unserer Pilgerkirche St. Michael, also der Kerzenkapelle.
Und in Luxemburg wird die Glaciskapelle 400 Jahre alt – die Wiege unserer Wallfahrt. Aber auch bereits zuvor werden wir neue Angebote erleben, wie die „Treckerwallfahrt“ zu Erntedank am 3. Oktober, wieder ein neues Format.