Kevelaer. 10.000 Pfeifen, 135 klingende Register! Die Seifert-Orgel in der Marienbasilika in Kevelaer ist die größte deutsch-romantische Orgel der Welt.

Da kann einem schon mal die Puste ausgehen – 43 Stufen wendelt sich eine enge, schmale, steinerne Treppe nach oben, eine knarzige Holztüre wartet auf einen vorsichtigen Schubs, und dann steht man mitten drin in einem der sicherlich ungewöhnlichsten Arbeitsplätze weit und breit. Die große Seifert-Orgel in der Marienbasilika in Kevelaer schwebt hoch oben unter einem farbgewaltigen Sternenhimmel voller Blau und Gold – prächtig und imposant. Von der Empore hat man einen wunderbaren Blick in die Basilika hinein und man ist dem Himmel ganz nah, wenn die „Königin“ loslegt – oder besser, wenn Organist Elmar Lehnen der Lady die Pfeifentöne entlockt.

Ein Prachtweib

Blick nach oben: unter’m Sternenhimmel prangt sie, die mächtige Seifert-Orgel.
Blick nach oben: unter’m Sternenhimmel prangt sie, die mächtige Seifert-Orgel. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Drei Etagen hoch streckt sich das Instrument 14 Meter in die Höhe, zehn Meter tief, neun Meter breit, an die 10.000 Pfeifen und 135 Register – die Seifert-Orgel ist ein musikalisches, pardon, Prachtweib. Und sie kann – alles: Schreien und toben, frohlocken und wimmern, bombastisch laut sein und wenig später so leise wie ein Mücken-Hickepick.

Die Posaunen von Jericho

Mal wähnt man sich im Kreise zarter Engelsstimmen, dann dröhnen die Posaunen von Jericho durch den Raum, mal ist sie zart, streichelt die Töne in die Seele und dann faucht und klotzt sie, wird laut und lauter und man glaubt zu spüren, dass das Fegefeuer naht...

Einer hat die Ruhe weg, lächelt still in sich hinein, freut sich wie ein Schneekönig über all die Klänge und Emotionen und lässt mal ebkes leise ein Gemshorn erklingen – das kann sie nämlich auch, die Grand Dame in der Marienbasilika.

Seit 21 Jahren sind Elmar Lehnen und die große Seifert ein Team – ein wunderschönprächtiges. Und von Beginn an hat sich der Organist, der gern von allen großen Kirchenhäusern der Welt „gebucht“ wird, ein großes Ziel gesetzt: Die Orgel soll wieder in ihren Originalzustand versetzt werden, sie soll so klingen, wie sie vor 100 Jahren geklungen hat – bevor die Geschmäcker der Zeit, Zerstörungen im Krieg und auch die Zeit selbst an ihrer Klangfreude herumgewerkelt haben und das historische Tonerleben veränderten.

Die große Seifert-Orgel ist die größte deutsch-romantische Orgel der Welt – und es fehlen noch gerade zwei wieder herzustellende Register, dann klingt sie wieder so, wie sie 1907 erklang, als sie eingeweiht wurde. Damals hatte sie bereits 122 Register – eine Gigantin in einem kleinen Landstädtchen namens Kevelaer, das gerade einmal ein paar Tausende Einwohner hatte. Zum Vergleich: der Berliner Dom hatte zu der Zeit gerade mal 113 Register.

Engagierter Orgelbauverein

Orgelwoche in Kevelaer

Bis zum 14. September steht die „Königin der Musikinstrumente“ im Rahmen der Orgelwoche in Kevelaer im Mittelpunkt – mit Führungen und Konzerten.
Donnerstag, 9. September, 16-17.30 Uhr: Orgelführung in der Basilika und in der Kerzenkapelle mit Elmar Lehnen (sechs Euro pro Person):
Samstag, 11. September, 16 Uhr: Orgelführung in der St. Antonius Kirche mit Organist Christian Franken (sechs Euro pro Person).
11. September, 20 Uhr: Vigil, liturgische Feier, in der Basilika; mit der Basilikamusik und dem Basilikachor und modernen Texten (max. 150 Personen).
Dienstag, 14. September, 20 Uhr: Konzert mit Studenten der Kirchenmusik (Köln) spielen u.a. Werke von Bach und Duprè, Karten neun Euro. Infos und Tickets in der Tourist Information im Rathaus; www.kevelaer-tourismus.de

Ein engagierter Orgelbauverein kümmert sich, verleiht Orgelpatenschaften und sammelt Geld, Künstler verzichten auf ihre Gage, damit auch die beiden letzten Register hineingebaut werden können (ein Register hat 61 Pfeifen). Stark gelitten hat die große Seifert im Krieg – die Basilika war Durchgangslager für Kriegsgefangene, ihr Holz wurde verfeuert, die Orgelpfeifen eingeschmolzen – und es hält sich die Geschichte, dass in ihren obersten Etagen gar kleine Rotlichtviertel entstanden…

Organist Elmar Lehnen bringt eine leicht verstimmte Pfeife wieder in „Position“.
Organist Elmar Lehnen bringt eine leicht verstimmte Pfeife wieder in „Position“. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Gebaut hat diese Deutsch-Romantische Orgel der Kölner Ernst Seifert, der dafür sogar ins niederrheinische Städtchen Kevelaer zog. Ihr stufenloses Crescendo sei einfach wunderbar, schwärmt Elmar Lehnen.

Elmar Lehnen: Eine Orgel ist wie ein Gemälde

Heißt, das Instrument kann nahezu mühelos leise und laut werden. „Eine Orgel ist wie ein Gemälde, ein Gemälde mit vielen unterschiedlichen Farben.“ Und wie ein ganzes Orchester.

Elmar Lehnen bietet auch virtuelle Führungen an – kann man anschauen hier

Elmar Lehnen möchte mit seiner Musik, mit all den Klangbildern die Zuhörer erreichen, Emotionen wecken, die Seele berühren. „In der Liturgie kann sie tiefste Trauer und höchste Freude unterstreichen. Sie kann trösten und Halt geben.“ Und im Konzert kann sie wieder ganz andere Talente entfalten...

Wer Interesse an einer Orgelführung hat, einfach bei Elmar Lehnen anrufen, Telefon: 0 28 32-97 85 42.