An Rhein und Ruhr. Anfeindungen gegen Mitglieder der LGBTQ-Community sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Experten schätzen: Die Dunkelziffer ist noch höher.

„Ach guck mal, da kommen die Schwuppen“, „schwule Sau“, „das gehört nicht zu unserer Stadt“: Solchen Kommentaren sind Homosexuelle oder Bi- und Intersexuelle in ihrem täglichen Leben ausgesetzt. Und nicht nur das, manchmal kommt es noch schlimmer: Beim Christopher Street Day am vergangenen Wochenende in Gelsenkirchen sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer bespuckt und körperlich angegriffen worden. Nicht das erste Mal.

Rebecca Knecht ist die stellvertretende Geschäftsführerin des Queeren Netzwerk NRW.
Rebecca Knecht ist die stellvertretende Geschäftsführerin des Queeren Netzwerk NRW. © Queeres Netzwerk | Queeres Netzwerk NRW

Wie das NRW-Innenministerium auf NRZ-Anfrage mitteilt, sind im Jahr 2020 38 Straftaten wegen sexueller Orientierung statistisch erfasst worden. Bei 30 dieser Fälle handelte es sich um Angriffe auf Menschen der LGBTQ-Gemeinde. Bei diesen Straftaten sei eine Person verletzt worden. Lediglich zwei Tatverdächtige konnten in diesen Fällen ausgemacht werden.

Queeres Netzwerk NRW: Viele Straftaten werden nicht zur Anzeige gebracht

Rebecca Knecht, stellvertretende Geschäftsführerin des Queeren Netzwerk in Nordrhein-Westfalen, schätzt, dass die Dunkelziffer der Straftaten jedoch viel höher ist: „Viele haben Angst, dass durch eine Anzeige bei der Polizei ihre sexuelle Orientierung öffentlich wird und Menschen in ihrem Umfeld davon mitbekommen. Andere wiederum haben bereits bei vorherigen Anzeigen solcher Straftaten negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht, weil sie sich dort nicht ernstgenommen gefühlt haben“, erklärt Knecht.

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Eine Studie zum Thema Hasskriminalität aus Niedersachsen aus dem Jahr 2019, die auch das Innenministerium NRW als Bewertungsgrundlage heranzieht, lieferte die gleichen Ergebnisse. Hier heißt es, dass die Opfer „das geringste Vertrauen in die Polizei als rechtsstaatliche Institution haben, aber auch in deren Arbeit im Allgemeinen“. Wichtig sei deshalb, dass Betroffene Anlaufstellen finden, an denen ihnen sensibel geholfen wird. Knecht benennt zum Beispiel die Landeskoordination Anti-Gewaltarbeit für Lesben, Schwule und trans Personen, bei der Betroffene niedrigschwellig Hilfe finden. „Wir wollen Menschen, die mit ihrer sexuellen Orientierung aus der Norm fallen und deswegen einen schwereren Stand in der Gesellschaft haben, eine Anlaufstelle geben.“

Homosexuelle Menschen leben immer mit der Gefahr angefeindet zu werden

Sie zieht einen Vergleich: „Ich glaube, wenn man eine Frau ist, kann man das ganz gut nachvollziehen. Man lebt mit der Gefahr schneller angefeindet oder bedroht zu werden als andere Menschen.“ Knecht selbst bezeichnet sich als bisexuell und queer. Dass sie neben Männern auch auf Frauen steht, habe sie selbst erst spät gemerkt. „Ich habe mich mit 21 Jahren in eine Freundin verliebt“, sagt die heute 30-Jährige. Für die in einer katholischen Kleinstadt aufgewachsene Frau eine zunächst schwierige Situation. Ihr Outing habe ihre Familie dennoch gut aufgenommen. „Meine Familie steht hinter mir und auch Freundschaften hat das nicht belastet“, sagt sie.

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So wie bei Knecht läuft es jedoch nicht in allen Fällen: „Viele spüren starke Ausgrenzung oder eben sogar Anfeindungen, wie kürzlich bei dem CSD in Duisburg“, berichtet sie. Dort ist es zu so vielen verbalen Beleidigungen und Diskriminierungen gekommen wie noch nie zu vor. Diese traurige Entwicklung habe in den vergangenen Jahren zugenommen.

38 Straftaten wegen sexueller Orientierung im Jahr 2020

Das zeigen auch Zahlen des NRW-Innenministeriums: Im Vergleich zum Jahr 2020 mit 38 Straftaten, wegen sexueller Orientierung, wurden diesem Unterbegriff 2019 noch 20 Straftaten zugeordnet, teilt ein Sprecher des NRW-Innenministeriums mit. „Ich glaube, das ist symptomatisch für die Gesellschaft in der wir leben“, schätzt Knecht. Gerade die Corona-Zeit habe die Kluft der Menschen untereinander noch größer werden lassen. „Wir brauchen mehr von diesen bekennenden Aktionen wie die mit der Regenbogenflagge während der EM“, fordert die stellvertretende Geschäftsführerin, räumt aber auch ein: „Queere Menschen werden dadurch immer mehr sichtbar. Natürlich bietet das aber auch wieder eine Angriffsfläche. Auch wenn eben solche Aktionen eine zwiespältige Entwicklung bedeuten, müssen wir weiter daran arbeiten, unübersehbar zu werden.