An Rhein und Ruhr. Viele Kommunen am Niederrhein haben in den letzten Jahren die letzte Dorfkneipe verloren. Menschen setzen sich gegen das Kneipensterben zur Wehr.

Jede vierte Kneipe in NRW wurde zwischen 2008 und 2018 geschlossen. In einigen Kommunen fiel der Rückgang nach Angaben von IT.NRW besonders dramatisch aus – darunter Dortmund (47,3 Prozent), der Kreis Wesel (41,6 Prozent) und Duisburg (31,4 Prozent). Die Pandemie hat die Notlage vieler Wirte zusätzlich verschärft. „Die wirtschaftlichen Herausforderungen, die Corona uns gebracht hat, sind enorm“, sagt Thorsten Hellwig, Pressesprecher des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga NRW. Die Rücklagen seien aufgebraucht. „Für viele bedeutet Corona seit vielen Monaten einen Überlebenskampf.“

Besonders dramatisch: Immer mehr Ortschaften am Niederrhein haben in den vergangenen Jahren ihre letzte Dorfkneipe verloren. Dabei seien Wirtshäuser und Gaststätten „Grundpfeiler des sozialen Zusammenlebens“, warnt Hellwig. Stammtische, Hochzeiten, Beerdigungsfeiern, Vorstandssitzungen von Sportvereinen oder einfach nur ein geselliger Abend mit Freunden und Nachbarn – all das sei ohne Kneipe für viele Menschen undenkbar. „Unsere Betriebe haben ja immer auch eine soziale Komponente, sind das zweite Wohnzimmer“, so der Dehoga-Sprecher.

Vom Wirt bis zur Putzfrau arbeiten alle ehrenamtlich

Um ihr Dorf zu unterstützen, gibt es deshalb immer wieder Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen das Kneipensterben zur Wehr setzen; die nicht hinnehmen wollen, dass ihr Heimatort seine soziale Anlaufstelle verliert. Yvonne Hein ist eine von ihnen. Als das Ehepaar Pollmann vor fünf Jahren aus Altersgründen seine Gaststätte in Hamminkeln-Mehrhoog aufgeben muss, will die Dolmetscherin nicht tatenlos zusehen. Hein gründet mit Freunden und Bekannten einen gemeinnützigen Verein und pachtet die Gaststätte. Immer mehr Mehrhooger packen mit an. „Vom Wirt bis zur Putzfrau arbeiten alle ehrenamtlich“, so die 47-Jährige. Mit Erfolg: Seit 2020 ist die „Ehrenamtskneipe“ wieder geöffnet.

Yvonne Hein betreibt am Freitag, den 18.09.2020 die Ehrenamtskneipe Pollmann in Hamminkeln - Mehrhoog. Sie steht an der Spendentafel. Foto: Erwin Pottgiesser / FUNKE Foto Services
Yvonne Hein betreibt am Freitag, den 18.09.2020 die Ehrenamtskneipe Pollmann in Hamminkeln - Mehrhoog. Sie steht an der Spendentafel. Foto: Erwin Pottgiesser / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Die Traditions-Gaststätte Pollmann ist kein Einzelfall. Die Idee für ihr Projekt habe sich Hein damals von der Dorfkneipe „Lünebörger“ in Geldern-Pont abgeschaut. Auch dort drohte vor einigen Jahren die Schließung. Auch dort konnten engagierte Bürger den Verlust ihres zentralen Treffpunkts im Ort verhindern. Das Kulturlokal Schwarzer Adler in Rheinberg-Vierbaum wurde Ende 2019 von einer Genossenschaft übernommen. Zu den Unterstützern gehört unter anderem Kabarettist Herbert Knebel. Im Burgturm des Dinslakener Rathauses betreibt der gemeinnützige Verein Dintown eine eigene Kneipe. Der jährliche Gewinn geht an gemeinnützige Projekte.

Die Angst davor, dass das soziale Leben zum Erliegen kommt

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Auch der Gaststätte „Zur Dorfschmiede“ in Bedburg-Hau drohte vor etwa acht Jahren das Aus, „als absehbar wurde, dass der Betrieb in der damaligen Form nicht mehr weitergehen konnte“, erinnert sich Hans-Peter Linzen, Vorstand der Bürgerstiftung Till-Moyland. Willy Goebels kaufte die Gaststätte und brachte sie als Vermögen in die Stiftung mit ein.

„Wir hatten die große Sorge, dass das soziale Leben völlig zum Erliegen kommt“, so Linzen. Einige Jahre arbeitete Wirt Bernd Jacobs als Pächter weiter. Seit 2020 betreibt die Stiftung die Gaststätte in Eigenregie und nutzte die coronabedingte Pause für eine Kernsanierung. „Wir haben ganz viele positive Rückmeldungen bekommen.“