An Rhein und Ruhr. Die Inzidenzen steigen in einigen NRW-Städten wieder an. Laut Lungenarzt Voshaar spiele nun aber eine ganz andere Kennziffer eine wichtige Rolle.

Es ist eine Entwicklung, die aufhorchen lässt: Während die Inzidenz in 49 von 53 Städten und Kreisen in NRW einstellig ist, steigt der Sieben-Tage-Wert in Düsseldorf wieder langsam, aber kontinuierlich an. Seit dem 27. Juni (5,5) hat sich die Inzidenz in der Landeshauptstadt (14,8) fast verdreifacht. Auch im Kreis Lippe (17,8) und Leverkusen (9,2) nimmt die Zahl der Neuinfektionen wieder leicht zu. Zeichnet sich bereits die nächste Corona-Welle ab? Und wie hat sich die Pandemielage im Vergleich zum Vorjahr verändert? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Wie erklärt die Stadt Düsseldorf den Anstieg?

In den vergangenen sieben Tagen (Stand: 5. Juli) habe das Gesundheitsamt 81 Neuinfektionen registriert. Davon handle es sich bei 32 Personen um die hochansteckende Delta-Variante. „Bei fast allen Fällen waren die Betroffenen Reiserückkehrer oder enge Kontaktpersonen“, sagt Annika Mester, Sprecherin der Stadt Düsseldorf. Auch die Lockerung der Corona-Maßnahmen trage dazu bei, dass die Inzidenz in der Landeshauptstadt wieder leicht ansteigt. Inwieweit der Düsseldorfer Flughafen als möglicher Infektionsherd zur negativen Entwicklung beitrage, wolle die Stadt nicht beurteilen.

Zeichnet sich bereits die nächste Corona-Welle ab?

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„Die Zahlen werden überall langsam hochgehen“, so Thomas Voshaar, Leiter der Lungenklinik am Bethanien-Krankenhaus in Moers. Auch Mirko Trilling, Virologe am Uniklinikum Essen, rechnet mit einem Anstieg: „Es gibt einen Trend zu Lockerungen und der wird vermutlich mit mehr Infektionen einhergehen.“ Trotzdem sei die Lage in NRW nicht besorgniserregend. „In den meisten Landkreisen ist der Wert sehr niedrig, keiner liegt über 50“, sagt Trilling. Solange die Zahl der Covid-Patienten in den Krankenhäusern sowie die Inzidenzen unauffällig seien, gebe es „keinen Grund zur Panik“.

Wie groß ist die Gefahr, die von Urlaubsrückkehrern ausgeht?

„Es ist natürlich so, dass ungeimpfte Personen, die in Länder mit einer hohen Inzidenz reisen, leider auch ab und zu Infektionen mit zurückbringen“, so Trilling. Laut Voshaar lasse sich die Ausbreitung der Delta-Variante aber ohnehin nicht verhindern: „Wenn durch Reisen die Mobilität der Menschen zunimmt, wird die Ausbreitung allenfalls schneller gehen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein.“ Dennoch rät Trilling vor allem ungeimpften Urlaubern mit Vorerkrankungen oder höherem Alter davon ab, in Risikogebiete zu reisen. Auch große Ansammlungen sollten ohne Maske gemieden werden.

Wie ist die Situation in den Krankenhäusern?

In den Krankenhäusern zeichne sich laut Trilling ein anhaltender Trend ab: „Die Zahlen fallen.“ Nach Angaben der NRW-Landesregierung liegen aktuell 249 Patienten mit einer Covid-Erkrankung im Krankenhaus. 113 werden intensivmedizinisch betreut. Zum Vergleich: Am 28. April 2021 gab es in NRW 16-Mal so viele Covid-Patienten (4.016) und zehnmal so viele Personen auf der Intensivstation. „Man kann erkennen, dass viele Menschen bereits geimpft oder in den vergangenen Monaten genesen sind und dadurch einen guten Schutz vor Covid-19-Erkrankungen erworben haben“, so der Virologe. Auch der R-Wert liege derzeit noch leicht unter 1. „Das bedeutet, dass eine Person im Schnitt weniger als eine weitere Person ansteckt.“

Welche Altersgruppen infizieren sich am häufigsten?

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Verzeichnete das Robert Koch-Institut (RKI) im vergangenen Winter noch die höchsten Infektionsraten bei Menschen ab 80 Jahren, hat sich die Situation bereits während der Frühjahrswelle 2021 deutlich verändert. Vor allem Kinder und Jugendliche sowie die Altersgruppe der 20- bis 49-Jährigen wiesen hohe Inzidenzzahlen auf. Aktuell stecken sich 10- bis 19-Jährige am häufigsten an. „Das war vorherzusehen“, sagt Voshaar. „Bei älteren Menschen sind viel mehr Personen doppelt geimpft.“ Da besonders die vulnerablen Gruppen eine hohe Impfrate hätten, sei auch die Sterblichkeit zurückgegangen. „Wir haben aktuell eine völlig andere Situation.“

Wie verlässlich ist die Inzidenz, wenn weniger getestet wird?

Vom 31. Mai bis zum 6. Juni wurden laut NRW-Gesundheitsministerium rund 4,4 Millionen kostenlose Bürgertests durchgeführt. Zwei Wochen später waren es im selben Zeitraum nur noch 2,28 Millionen. Je weniger getestet wird, desto weniger asymptomatische Fälle werden ermittelt. Das RKI schaue sich aber neben der Inzidenz noch viele weitere Zahlen an, so Trilling. Zum Beispiel die Positivenrate: „Sie gibt an, wie groß der prozentuale Anteil der PCR- und kostenlosen Bürgertests ist, die positiv ausfallen.“ Hier zeigt sich: Im Vergleich zu Ende April 2021 ist der Wert bei den PCR-Tests von 15,1 auf aktuell 0,9 Prozent gesunken. „Diese Rate ist unabhängig von der absoluten Anzahl der Tests.“

Warum ist die Krankheitslast so entscheidend?

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„Wir müssen leichte Erkrankungen von mittelschweren und sehr schweren unterscheiden“, erklärt Voshaar. Dafür gebe es einfache Parameter: Wie viele Menschen nehmen coronabedingt einen Krankenschein? Wie viele werden ins Krankenhaus eingewiesen? Wie hoch ist die Sterblichkeit? „Die Krankheitslast ist ein üblicher Wert, den wir zuletzt vermisst haben.“ Nur in diesem Zusammenhang seien Inzidenzen bedeutsam. Aktuell könne laut Trilling beobachtet werden, dass Infektionen seltener zu schweren Verläufen führen.

Wie gefährlich ist die aus Indien stammende Delta-Variante?

„Es gibt nach wie vor aus keinem Land klare, eindeutige Zahlen, aus denen wir schließen können, dass die Delta-Variante häufiger zu schweren Krankheitsverläufen oder Todesfällen führt“, sagt Voshaar. Die Werte würden lediglich nahelegen, dass sich die in Indien entstandene Mutation stärker ausbreite und ansteckender sei. „Das ist aber nicht wichtig, solange keine größere Krankheitslast entsteht. Ist die Krankheitslast niedrig, können die Inzidenz und der R-Wert so hoch sein wie sie wollen.“

Wie wichtig ist ein vollständiger Impfschutz?

Dass die Krankheitslast derzeit so niedrig ist, sei zu großen Teilen auf die Impfkampagne zurückzuführen. Die priorisierte Impfung der Ü60-Jährigen zahle sich nun aus, meint der Essener Virologe. Zahlen aus Großbritannien legten jedoch nahe, „dass eine unvollständige Impfung bei der Delta-Variante nicht gut genug schützt“, erklärt Trilling. Umso ärgerlicher sei die Impfmüdigkeit einiger Bürgerinnen und Bürger. Die Wahrscheinlichkeit lokaler oder regionaler Lockdowns im Herbst sei kleiner, je mehr Menschen bis dahin vollständig geimpft seien. „Deshalb mein Aufruf: Lassen Sie sich impfen!“