Am Niederrhein. „Unser“ Sprachforscher Dr. Georg Cornelissen geht nun in den Ruhestand. Also, so’n bissken. Der Mann hat uns die Liebe zum Platt beigebracht.

Was hat er uns nicht alles beigebracht! Sprache ist ja so viel mehr als die Aneinanderkettung von Buchstaben. Und wie vielfältig die Welt der Dialekte und Regiolekte doch ist. Kaum einer hat das Rheinland und seine Sprache in seiner ganzen Vielfalt so genau untersucht und so verständlich und begeistert erklärt.

In Vorträgen, Büchern, vor dem Mikrofon oder gar vor laufender Kamera. Und wie spannend es doch sein kann, mal zu gucken, warum am Niederrhein so viele Menschen Jansen heißen. Oder Janßen. Oder Janssen. Nun geht Dr. Georg Cornelissen, Jahrgang 1954, in den Ruhestand, nach 36 Jahren in Diensten des LVR (Landschaftsverband Rheinland).

Volles Haus bei einer Mundart-Veranstaltung, hier In Kevelaer.
Volles Haus bei einer Mundart-Veranstaltung, hier In Kevelaer. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Eigentlich wollte der LVR seinem Sprachforscher ja ein feines öffentliches Abschiedsgeschenk machen: Mit einem Tag der Landeskunde, Thema Niederrhein, in seiner Heimatstadt Kevelaer. Allein, Corona hat’s vereitelt – und so findet die Abschiedsveranstaltung digital statt – was den Vorteil hat, dass alle, die mögen, dabei sein können (am 17. April, wir werden noch berichten).

Geoich, hasse-n um?

Für seine Arbeit war es ihm immer wichtig, sagt er, dass er vom Niederrhein stammt und in Bonn lebt: Zwei Regionen des Rheinlands kennt er so aus eigener Anschauung.

Und gern erinnert er sich an den Niederrhein zurück, als der Nachbar vom Gartenzaun aus ‘rüber fragte: „Geoich, hasse-n um?“ – Gemeint war, ob die Aktion Umgraben des Gartens fertig sei… Wir haben „unseren Sprachforscher“ noch mal ebkes getroffen – virtuell, wie das üblich ist in dieser Zeit.

Tach Herr Dr. Cornelissen, wie isset?

Wie sollet sein? Corona hin, Corona her – jetzt haddet auch ein Forscher schwer.

Sie sind ja gerade dabei, ein Kapitel abzuschließen und ein neues anzufangen – sprachlos wird Sie das aber gewiss nicht machen...

Wenn Sie damit meinen, dass ich den Griffel aus der Hand lege und vor Mikrofonen weglaufe – nein, eher nicht. Ich möchte weiter publizieren und Wissen vermitteln.

Als Sprachforscher wird man ja in der Regel nicht geboren. Wann hat sie angefangen bei Ihnen, diese Lust auf Sprache, dieser Spaß, herauszufinden, warum Menschen so reden wie sie reden?

Das Interesse, das in einem schlummert, macht sich ja doch irgendwann bemerkbar. Etwa wenn wir wahrnehmen, dass zwei Menschen im Dorf das R auf ganz markante Weise rollen: Der Kohlenhändler und eine Frau, die aus Ostpreußen geflüchtet war. Oder wenn wir im Gottesdienst anfangen, die Sprache der Gesänge zu analysieren („Firmament“, „Antlitz“, „Haupt“…). Oder wenn auf dem Gymnasium Latein auf einmal mein Lieblingsfach ist. Über einen Metallbaukasten zu Weihnachten hätte ich mich nicht gefreut.

Gibt es ein Wort, dass Sie besonders mögen?

Im Moment gefällt mit „Kneallesse“ besonders gut, das ist die Dialektaussprache meines Nachnamens.

Was ist das typisch Niederrheinische?

Sprachlich ist der Niederrhein ein wahrer Kosmos mit regionalen Eigenheiten, niederländischen Einflüssen und geografischen Varianten. Und zwar auf der Ebene der Sprache wie bei den Namen. Familiennamen wie Ophey oder van Appeldorn oder Krüßmann sind ganz einmalig. Und die, die „vor die Pump geflitzt“ sind, wohnen alle am Niederrhein!

Wenn Sie auf die vielen Sprachforscherjahre zurückblicken – was hat Sie da besonders bewegt?

Dass so viele Menschen mitmachen wollten: Fragebögen ausfüllen, für Interviews bereitstehen, zu Vorträgen kommen, per Mail ihre Unterstützung anbieten: Ich nenne diesen Typus „Sprachmensch“: Er liebt seine Sprache und freut sich, mehr davon und mehr darüber zu hören. Kein Projekt ist wegen fehlender Unterstützung abgesagt worden!

 Ja, auch die Wissenschaft geht schon mal in die Knie...
Ja, auch die Wissenschaft geht schon mal in die Knie... © FUNKE Foto Services | Markus Weissenfels

Kann man sagen, wie sich die Sprache von Jungen und Alten unterscheidet? Der Negativtrend des „Platt“ setzt sich fort?

Es wachsen keine Menschen mit Dialektkompetenz mehr nach! Die Älteren haben es versäumt, den Dialekt an Kinder und Enkelkinder weiterzugeben. Da sind Ideen gefragt!

Dabei haben Regiolekte etwa oder Dialekte viel lieblichere Klangformate als das immer etwas harte und mitunter kühle Hochdeutsch…

Das würde ich so nicht unterschreiben, Hochdeutsch hat so viele Register und Varianten! Aber die Dialekte und Regiolekte haben etwas Besonderes, Eigenes! Das ist das Thema meiner Vorträge und Bücher: Das Besondere herausarbeiten, es sichtbar und hörbar machen und es damit erfahrbar werden lassen. Die regionale Sprache ist ein eigener Kosmos, und ich habe das Privileg, Kosmonaut zu sein.

Ich gehe doch recht in der Annahme, dass Sie auch im „Ruhestand“ ganz gewiss weiter auf der Suche nach den sprechenden Wörtern sind?

Ich hoffe sehr, dass mir diese Ruhe fehlen wird.

Gibt’s ein konkretes Projekt?

Zunächst muss ich noch ein, zwei Projekte abschließen, etwa in Viersen. Dann möchte ich am Niederrhein in der zweiten Jahreshälfte einige Vorträge halten, aber ich weiß ja nicht, wie die Pandemie sich entwickeln wird. Und meine Wir-am-Niederrhein-Kolumne „Nix für ungut!“ möchte ich natürlich auch fortsetzen.

Na, dann: Alles alles Gute, lieber Herr Dr. Cornelissen. Bis die Tage!