An Rhein und Ruhr. Die Folgeerkrankung PIMS könnte auch Kinder zu Intensivpatienten machen. Bundesweit sind 250 jüngere Corona-Infizierte daran erkrankt.

Im Sommer vergangenen Jahres wurde es ruhig auf den Intensivstationen der Krankenhäuser in NRW. Am 23. Juli meldete das DIVI-Intensivregister gerade einmal 54 Corona-Patienten, die intensivmedizinisch betreut werden mussten. Die zweite Welle ließ sich vier Monate Zeit. Die dritte Welle rauscht schneller heran, und schon an ihrem Anfang liegen fast so viele Corona-Patienten auf den Intensivstationen wie in den dramatischsten Zeiten im Frühjahr. 647 waren es am Dienstag. Auch den Profis wird deswegen mulmig. Sie befürchten einmal mehr eine Überlastung der Kliniken.

In den Intensivstationen der Uni-Klinik Essen werden aktuell 30 Corona-Patienten behandelt, so viele, wie nirgendwo sonst in Nordrhein-Westfalen. Zwar ist dort längst nicht der Stand von Anfang des Jahres erreicht, als teilweise über 50 Patienten intensivmedizinisch betreut wurden, aber die Zahlen steigen. „In der vergangenen Woche hatten wir 20 Patienten“, berichtet Prof. Thorsten Brenner, der Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin.

NRW: Rund 750 Intensivbetten sind noch frei

In Essen spiegelt sich die Gesamtsituation in NRW. Nachdem die Belegungskurve vom Spitzenwert um die Jahreswende, als fast 1200 Corona-Patienten in den Kliniken an Rhein und Ruhr intensivmedizinisch behandelt wurden, im Verlaufe des Januars und Februars drastisch absank, steigt sie seit Mitte März wieder. Am Dienstag wurden dem Intensivregister 647 Corona-Intensivpatienten gemeldet. Aktuell meldet das Register noch rund 750 freie Intensivbetten in NRW, etwa die Hälfte von ihnen sind spezifische Betten zur Behandlung von Corona-Patienten.

„Das ist okay, aber nicht wirklich viel für so ein bevölkerungsreiches Bundesland mit hohen Inzidenzen“, sagt Prof. Gernot Marx, Präsident der Intensivmediziner-Vereinigung DIVI. „Wir erwarten in den nächsten Wochen einen rasanten Anstieg der Patienten, da die Welle der Intensivpatienten immer zwei bis drei Wochen der Infektionswelle nachrollt.“ Sprich: Auch die jetzt beschlossenen Verschärfungen der Corona-Beschränkungen werden kurzfristig nicht verhindern, dass die Intensivstationen voller werden.

Brenner: Es muss mehr geimpft werden

Damit sich die Intensivstationen leeren, muss vor allem mehr geimpft werden, erläutert der Essener Intensivmediziner Brenner: „Mit der momentanen Impfquote sind wir noch nicht auf der sicheren Seite. Mit einer deutlich höheren Impfquote würden kritische Krankheitsverläufe vermieden.“ Dann würde die Zahl der intensivstationären Aufnahmen sinken, „weil Geimpfte bei einer Infektion meist nicht schwer erkranken“. Brenner hält die aktuelle Situation noch für „problemlos kompensierbar“, warnt jedoch wie sein Kollege Gernot Marx vor einer drohenden Überlastung, falls die Infektionskurve nicht abgeflacht wird.

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Bei genauer Betrachtung der Altersstruktur der Infizierten machen sich die mittlerweile hohe Impfquote unter den Älteren und die Öffnung der Schulen bemerkbar: Zählten die Statistiker Anfang Januar in NRW noch rund 4500 über 70-Jährige akut Corona-Infizierte und etwa 2300 unter 20-Jährige, ist das Verhältnis jetzt genau umgekehrt – rund 1350 der älteren Nordrhein-Westfalen sind momentan infiziert, aber über 3100 jüngere.

Für die dritte Welle werden mehr junge Patienten erwartet

Auf den Intensivstationen macht sich das noch nicht bemerkbar: „Der Altersdurchschnitt unserer Patienten liegt wie in den vergangenen Monaten bei etwa 60 Jahren“, berichtet Prof. Brenner. Perspektivisch werde sich das vermutlich ändern, prognostiziert sein Kollege Prof. Marx: „Für die dritte Welle erwarten wir jetzt aber zunehmend jüngere Patienten, da die über 80-Jährigen durch de Impfung vor einem schweren Covid-19-Verlauf geschützt sind.“

Diese Altersgruppen werde man „also hoffentlich“ nicht mehr auf den Intensivstationen sehen. „Entsprechend wird der Altersdurchschnitt sinken“, glaubt der Aachener Intensivmediziner.

PIMS: Das Immunsystem richtet sich gegen den Körper

Mit der steigenden Zahl jüngerer Corona-Infizierter wird wahrscheinlich auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen steigen, die an dem PIM-Syndrom erkranken und deswegen im Krankenhaus und dort schlimmstenfalls auch intensivmedizinisch behandelt werden müssen.

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Dieses Syndrom tritt bei einem von 1000 bis 5000 Kindern und Jugendlichen – zumeist im Schulalter – nach einer Infektion mit dem Corona-Virus auf. „Bei diesem Syndrom richtet sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper, es kommt zu Entzündungen an verschiedenen Organen wie Herz, Darm oder Blut“, erklärt Prof. Christian Dohna-Schwake, Oberarzt auf der Kinder-Intensivstation an der Essener Uni-Klinik.

Die Betroffenen erkrankten normalerweise vier bis sechs Wochen nach der Infektion mit dem Corona-Virus und litten unter hohem Fieber, Bauchschmerzen, Hautausschlägen und Bindehautentzündungen. Besonders gefährlich sei die Destabilisierung des Kreislaufs, die manchmal Folge der Erkrankung sei. Von den bislang in Deutschland bekannt gewordenen rund 250 Fällen sei jedoch noch keiner tödlich ausgegangen.

Dohna-Schwake: Es besteht kein Grund zur Panik

In der Essener Uni-Klinik wurden bislang 19 Patienten mit dem PIM-Syndrom behandelt, etwa die Hälfte auf der Intensivstation von Dohna-Schwake. Drei Patienten im Alter von sieben, acht und 17 Jahren, alles Jungs, mussten im vergangenen Jahr beatmet werden. „Wir rechnen damit, dass es in den nächsten Wochen mehr Fälle geben wird, da die Zahl der Corona-Infektionen unter Kindern und Jugendlichen steigt“, so der Professor.

Jedoch betont er: „Es besteht kein Grund zur Panik.“ Die Krankheit sei mittlerweile bekannt, die beteiligten medizinischen Fachrichtungen im niedergelassenen und im Klinikbereich seien sensibilisiert. „Die Krankheit ist mit Immunglobulinen (Antikörpern, die Red.) und Cortison gut behandelbar, im Schnitt können die Patienten nach vier bis fünf Tagen wieder nach Hause“, erzählt Dohna-Schwake.

Anders als seine Kollegen in der Erwachsenen-Intensivmedizin hat er keine Angst vor einer Überlastung. „Wir sind in Deutschland sehr gut aufgestellt.“ Jedoch hat Dohna-Schwake einen Rat an die Politik: „Ich würde die Schulen geschlossen lassen, bis es ein vernünftiges Testkonzept gibt.“