Rotterdam. Das Studio Roosegaarde ist weltweit bekannt für seine Projekte zur Verbesserung der Lebensqualität. Nun kämpft es gegen Corona – spektakulär!

Es gibt Anlagen, die verbrauchte Luft filtern und reinigen. Laut neuesten Studien sind die meisten dieser Maschinen effektiver als das gute alte Stoßlüften, das Menschen in Zeiten von Corona, wenn sie sich denn mit mehreren in geschlossenen Räumen aufhalten, ja so gut gemeint empfohlen wird. Und dann gibt es noch eine Methode, die geht ein bisschen weiter als die handelsüblichen Kästen, die Aerosole killen sollen: Sie nennt sich „Urban Sun“ und wird in einem Labor entwickelt, das in den vergangenen Jahren schon auf der ganzen Welt für Furore gesorgt hat.

Daan Roosegaarde und sein Studio in Rotterdam haben schon aus Luftpartikeln kleine Schmuckstücke gemacht und aus grauem Asphalt leuchtende Wege. Nun haben sich die Urban Designer aus der Metropole an der Maas den Kampf gegen das fiese Virus aufgenommen – und wie es für Roosegaarde üblich ist, gewohnt spektakulär.

Test an der Erasmus-Brücke

An der berühmten Erasmus-Brücke in Rotterdam fand dieser Tage der erste Test von „Urban Sun statt. Das Projekt wird von Forschern und Experten aus aller Welt unterstützt und basiert auf wissenschaftlichen Arbeiten der Columbia University und der Hiroshima University. Jet Bussemaker, Präsident des Rates des Public Health Society Board, des unabhängigen parlamentarischen Beratungsgremiums der Niederlande, lobt das Vorhaben: „Die Menschen haben COVID-19 satt. Was wir brauchen, ist Mut, neue Lösungen zu finden.“

Aber was ist „Urban Sun“ nun genau? Etwas vereinfacht ausgedrückt ist es ein spezifisches ultraviolettes Licht, das bis zu 99,9 Prozent des Coronavirus reinigen soll. Daan Roosegaarde und sein Team aus Designern, externen Experten und Wissenschaftlern wollten herausfinden, wie die Kraft des Lichts zur Bekämpfung von Viren und damit zur Verbesserung des Wohlbefindens der Menschen eingesetzt werden kann.

Während sich im herkömmlichen 254-nm-UV-Licht gefährliche Viren wie Sars-CoV2 nahezu ungehindert verbreiten können, reagieren die Schädlinge gegenüber einen anderen Form von Bestrahlung ziemlich empfindlich. Die Zauberformel heißt 222 Nanometer -- ein Fern-UVC-Licht auf genau dieser Wellenlänge soll Viren aus der Luft herausfiltern und nahezu komplett abtöten können. „Virtuelle Simulationen zeigen einen positiven Einfluss der städtischen Sonne auf die Reduzierung von Coronaviren in der Luft im öffentlichen Raum“, teilt Carlo D’Alesio, Professor an der Politecnico Mailand mit.

Wie oben auf der Simulation zu sehen, soll das Fern-UVC-Licht in den öffentlichen Raum gestrahlt werden und diese Umgebung nahezu ansteckungsfrei machen können. „Das ultraviolette Licht kann nur nachts verwendet werden, und die Menschen müssen immer noch Masken tragen und soziale Distanzierung beachten“, erklärt Daan Roosegaarde. Urban Sun können zwar „den öffentlichen Raum von Coronavirus reinigen“, sei aber „keine ultimative Lösung“. Das Studio teilt zu Nutzen und Wirkung mit: „Wir behaupten nicht, dass Urban Sun Infektionen für alle verhindert.“

Im Rahmen seines „Smog Free Projects
Im Rahmen seines „Smog Free Projects"stellte das Studio Roosegaarde zunächst in Rotterdam und dann in verschiedenen Ländern wie China Türme in die Landschaft, die verschmutzte Luft filterten. Daraus entwarfen die Urban Designer später kleine Schmuckstücke.  © rotterdam partners | PimHendriksen.com

Das Studio Roosegaarde erforscht seit vielen Jahren die Kraft des Lichts. Die eigenfinanzierte Urban Sun wurde 2019 gestartet. Als sich dann COVID-19 von Wuhan in China weltweit auf den Weg machte, wurde das Projekt natürlich viel dringlicher. „Plötzlich ist unsere Welt voller Plastikbarrieren und Distanzaufkleber, unsere Familie ist auf einem Computerbildschirm auf Pixel reduziert“, hat Daan Roosegaarde erkannt. Sein Anspruch ist so klar wie einfach in diesen schwierigen Zeiten: „Lasst uns die Architekten unserer neuen Normalität sein und bessere Orte schaffen, um uns zu treffen und zu interagieren.“

Zusammen mit Experten und Wissenschaftlern aus den Niederlanden, den USA, Japan und Italien wurde intensiv an den Möglichkeiten der künstlichen Sonne geforscht. Schließlich nahm das niederländische National Metrology Institute VSL die Fern-UVC-Lichtquelle ab, es wurde gemessen und kalibriert. Das Ergebnis: „Urban Sun“ erfüllt die Sicherheitsstandards der Internationalen Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP).

Beim Test an der Erasmus-Brücke, dem Wahrzeichen Rotterdams, wurde zunächst ein Areal von rund 100 Quadratmetern von der „Urban Sun“ bestrahlt. „Wir arbeiten aber an viel kleineren und größeren Versionen“, heißt es aus dem Studio Roosegaarde.

Wie hoch die künstliche Sonne hängen muss, um ihre bestmögliche Wirkung im Kampf gegen die Virenlast zu entfalten, hänge von vielen Faktoren ab. Der Wind ist dabei nur eine von vielen unbekannten Variablen, die den Effekt von „Urban Sun“ beeinflussen könne.

Offene Kostenfrage

Und da wäre noch die Kostenfrage. Hierzu hält sich das vielgerühmte Studio Roosegaarde ziemlich bedeckt. Auch der Preis sei von verschiedenen Faktoren abhängig: Standort, gewünschter Abdeckungsumfang und standortspezifische Anforderungen.

Bis „Urban Sun“ tatsächlich zum Einsatz kommt, dürfte wohl noch ein wenig Zeit vergehen. Da sind selbst in den Niederlanden – oder auch in Deutschland – die Impfkampagnen schneller. Da Corona die Welt aber vermutlich noch sehr viel länger beschäftigen wird, kann ein weiteres Instrument zur Bekämpfung des gefährlichen Virus’ nur begrüßt werden. Daan Roosegaarde ist dafür bekannt, dass seine Idee keine Hirngespinste bleiben, sondern im wahren Leben ankommen. Auch eine künstliche Sonne, die Infektionen verhindert.

Weitere Informationen unter https://www.studioroosegaarde.net/project/urban-sun.

Das Studio Roosegaarde

Daan Roosegaarde gehört nicht nur in den Niederlanden, sondern weltweit zu den führenden sogenannten Urban Designern. Mit seinem Team von Entwicklern und Ingenieuren, die das tägliche Leben in städtischen Umgebungen verbessern wollen, hat er zahlreiche internationale Designpreise gewonnen.

Zu den bekanntesten Projekten gehören „Waterlicht“ (eine virtuelle Flut, die die Kraft des Wassers zeigt), „Smog Free Project“ (der weltweit erste und größte Außenluftreiniger, der Smog in Schmuck verwandelt), „Smart Highway“ (Straßen, die tagsüber aufgeladen werden und nachts leuchten) und das „Space Waste Lab“ (Visualisierung und Upcycling von Raumverschwendung).

Das Studio Roosegaarde hat seinen Sitz in Rotterdam.