An Rhein und Ruhr. Experten warnen vor neuen Mutationen. Aber wie viele Proben werden sequenziert? Wie testen die NRW-Städte? Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Nach über einem Monat steigen die Infektionszahlen in NRW wieder leicht an. Schuld daran sollen nach Auffassung einiger Experten neue Corona-Varianten aus England, Brasilien und Südafrika sein. Sie gelten als ansteckender und könnten bei zunehmender Ausbreitung eine dritte Welle verursachen. Umso wichtiger ist die exakte Analyse der Mutationen. Bislang wird in NRW aber nur ein Bruchteil der positiven Proben sequenziert. Woran liegt das? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema.
Was ist der Unterschied zwischen einer Typisierung und Sequenzierung?
Wird eine Person positiv auf Corona getestet, ist zunächst unklar, mit welcher Variante sich der Betroffene infiziert hat. Um eine positive Probe auf eine bekannte Mutation aus England, Brasilien oder Südafrika zu überprüfen, hilft eine Typisierung. Dabei kommt ein variantenspezifischer PCR-Test zum Einsatz – auch Punktmutations-Test genannt. Der Vorteil: Eine Typisierung ist vergleichsweise unkompliziert und liefert laut Angaben des Robert Koch-Instituts einen Hinweis, dass es sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ um eine der punktuell untersuchten Mutationen handelt.
Hundertprozentige Gewissheit verspricht hingegen ausschließlich eine „Gesamtgenomsequenzierung“. Dabei wird das Erbmaterial des Erregers genetisch genau bestimmt. Sequenzierungen sind teurer und dauern im Gegensatz zur Varianten-PCR mehrere Tage. Sie ermöglichen neben der Suche nach bereits bekannten Mutationen auch eine Analyse von bislang unentdeckten Virusvarianten. So können die Forscher genau verfolgen, wie und in welcher Geschwindigkeit sich das Coronavirus im Laufe der Pandemie verändert. Das ist bei einer Typisierung nicht möglich.
Wie hoch ist die Sequenzierungsquote in Nordrhein-Westfalen?
Bund und Länder haben sich des Themas in Deutschland monatelang kaum angenommen. Ganz anders in Großbritannien: Dort werden laut Expertenschätzungen bereits rund 20 Prozent aller positiven Proben sequenziert. Auch Länder wie Dänemark sind deutlich weiter. In Deutschland lag die Sequenzierungsquote lange Zeit bei unter einem Prozent. Laut aktueller Bundesverordnung sind die Bundesländer angewiesen, je nach Anzahl der Neuinfektionen bei fünf bis zehn Prozent der positiven Tests eine Genom-Sequenzierung durchzuführen. Die Kosten übernimmt der Bund.
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Für jede weitere Sequenzierung, die über diesen vorgeschriebenen Prozentsatz hinausgeht, müssen die Länder selber aufkommen. Da sich NRW nach der Bundesverordnung richtet und den Städten und Kreisen bislang keine Kostenübernahme bei zusätzlichen Sequenzierungen in Aussicht gestellt hat, ist davon auszugehen, dass in NRW aktuell maximal jede zehnte Probe auf das genaue Erbmaterial des Erregers untersucht wird.
Warum werden in NRW nicht alle Proben sequenziert?
Das NRW-Gesundheitsministerium verweist auf NRZ-Anfrage auf die Vorteile einer Typisierung: „Um die Virusmutationen effektiv nachverfolgen zu können, ist vor allem eine schnelle Analyse vor Ort notwendig.“ Varianten-PCR würden im Vergleich zu Sequenzierungen „deutlich schneller“ Hinweise auf eine Mutation liefern. Zudem könne die Analyse „fast nahtlos“ an das bereits gängige Testverfahren angeschlossen werden. Darüber hinaus habe das Ministerium erst am Mittwoch die Ergebnisse einer Studie vorgestellt, bei der landesweit knapp 1000 positive Proben ausgewertet wurden (Die NRZ berichtete).
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Interessant: Im Rahmen der Studie haben die Forscher laut NRW-Gesundheitsministerium fast alle Proben sequenziert. Bei der täglichen Nachverfolgung verschiedener Corona-Mutationen setzt das Land hingegen weiterhin auf die eingeschränkte Aussagekraft der Varianten-PCR. Einige Experten wie Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, werfen der Landesregierung deshalb vor, im Kampf gegen neue Virus-Varianten zu wenig zu unternehmen. „Die Landesregierung redet zwar viel von den Mutationen. Aber es fehlt der politische Wille genau hinzuschauen“, so Brysch.
Wie testen die Städte und Kreise in Nordrhein-Westfalen?
Die Teststrategie der Städte und Kreise ist unterschiedlich: Kommunen wie Duisburg, Oberhausen oder Düsseldorf führen seit einigen Wochen bei allen positiven Proben eine Typisierung durch. „Da nach aktuellem Wissensstand davon auszugehen ist, dass die Virusmutationen erheblich ansteckender sind, so ist die Typisierung (...) ein wichtiger Gradmesser, um das Infektionsgeschehenbesser zu verstehen“, schreibt die Stadt Duisburg. „Eine Sequenzierung wird aber nicht standardmäßig durchgeführt.“ Auch Düsseldorf und Oberhausen verzichten bislang auf Sequenzierungen.
Die Kreise Wesel und Kleve lassen nur bei bestimmten „Verdachtsmomenten“ nachtypisieren. Dazu zählen zum Beispiel Zweitinfektionen oder unerwartet schwere Krankheitsverläufe.
Gibt es Bundesländer, die alle Proben sequenzieren?
Dass auch eine Sequenzierungsquote von annähernd 100 Prozent möglich ist, zeigt Baden-Württemberg: Dort wird seit Anfang Februar an einer flächendeckenden Lösung gearbeitet. Das Land hat insgesamt 31,5 Millionen Euro bereitgestellt. Die Universitätskliniken und Labore würden aktuell die notwendige Logistik aufbauen, hieß es in einer Pressemitteilung. Sequenzierungen böten den Vorteil, das Auftreten neuer Varianten schnell zu erkennen und einzugrenzen. „Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, möglichst schnell, verlässlich und flächendeckend mehr zu wissen“, wird Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zitiert. „Nur so können wir die Verbreitung von Covid-19 eindämmen.“