An Rhein und Ruhr. Dieselzüge im VRR sollen ab 2025 durch Akku-Triebwagen ersetzt werden. Laut VRR-Chef Lünser ist dies günstiger als Strecken zu elektrifizieren
Ein Stückchen S-Bahn mehr gibt seit dem Fahrplanwechsel am Sonntag zwischen Mettmann und Wuppertal – jedoch ohne Elektro-Züge. Wegen diverser Probleme wird die Strecke voraussichtlich noch sechs Jahre mit gebrauchten Dieselzügen befahren, ehe dort wie geplant die Elektrotriebwagen fahren können.
Ähnliche Verzögerungen gibt es seit langem bei der Strecke Wesel-Hamminkeln-Bocholt. Hier soll Ende 2021 ebenfalls Fahrdraht kommen. Weitere Ausbauten für elektrischen Zugbetrieb sind - anders als im Verkehrsverbund Rhein-Sieg – nicht geplant. Der VRR setzt auf eine andere Strategie. Er will künftig auf Triebwagen mit Batterie setzen. Warum, erklärt VRR-Vorstandsprecher Roland Lünser im Gespräch mit unserer Zeitung.
Warum ist es so unfassbar schwierig, Lücken im Netz zu schließen und mit einer Oberleitung zu versehen, wie zum Beispiel zwischen Wesel und Bocholt?
Ronald Lünser: Das wäre ein längerer Vortrag. Die Bundesregierung will bis 2025 zehn Prozent mehr Strecke elektrifizieren, das wären mehr als 300 Kilometer jährlich. Wir bekommen seit 2016 die 20 Kilometer von Wesel nach Bocholt nicht hin. Das ärgert mich persönlich. Ein Grund ist: Wir mussten von einer Plangenehmigung in eine Planfeststellung – das ist mehr Verwaltungsaufwand. Das hat uns zwei Jahre gekostet. Zudem sind dadurch die Auflagen an Schallschutz und anderen Dingen höher. Wir hoffen, dass das Investitionsbeschleunigungsgesetz von Februar uns da künftig weiterhilft. Wir gehen heute davon aus, dass wir die Lücke zwischen Wesel und Bocholt 2021 und zwischen Mettmann und Wuppertal 2026 schließen können.
Wenn man sich die Pläne des Landes anschaut, fällt auf: Die halbe Eifel wird elektrifiziert und eine deutlich nachgefragtere Strecke wie Düsseldorf-Krefeld-Kevelaer-Kleve bleibt genauso ohne Elektrifizierung wie der 14-Kilometer-Stummel von Rheinberg-Millingen bis Xanten. Warum ist das so?
Wir haben uns für einen anderen Weg entschieden. Wir haben bereits ein großes elektrifiziertes Netz und nutzen jetzt in den Randbereichen innovative Technologien. Wir wollten zunächst im Münsterland mit den Wasserstoffzügen fahren, das mussten wir noch mal stoppen. Aber von der Struktur ist unser Netz ideal für so genannte BEMU-Fahrzeuge. Das sind Elektrotriebwagen mit einer Batterie, die schnell wieder aufgeladen ist.
Das heißt: Sie sind am Niederrhein und im Münsterland eher mit den neuen Fahrzeugen unterwegs als die Eifel elektrifiziert ist?
Alles andere würde mich sehr wundern. Die Ausschreibung läuft jetzt, wir wollen im Sommer 2021 den Zuschlag erteilen und 2025 mit den ersten BEMU-Fahrzeugen im Niederrhein-Münsterland-Netz unterwegs sein. Wir reden da von zehn Linien mit 50 bis 60 Fahrzeugen und sechs Millionen gefahrenen Zugkilometern pro Jahr.
Die Züge fahren also zeitweise mit Strom aus der Oberleitung, dann eine Weile mit Batterie und müssen dann wieder geladen werden?
Genau, dafür braucht es so genannte Oberleitungsinselanlagen, kurz OLIA. Wir gehen davon aus, dass wir mit einer einzigen Stromtankstelle in Kleve auskommen, wenn im Münsterland bis Coesfeld elek-trifiziert wird. Das ist ein immenser Vorteil, wir können mit enorm wenig Neubau ein großes Netz mit innovativen Fahrzeugen betreiben. Da muss nur ein kleines Umspannwerk und ein Anschluss ans örtliche Stromnetz hinkommen. Wir hoffen, dass wir da 2028 oder 2029 starten können.
Wie lange dauert es, bis so ein BEMU-Fahrzeug wieder geladen ist?
Da sind die Angaben sehr unterschiedlich, manche Hersteller sagen, dass die Batterien in einer Viertelstunde wieder aufgeladen sind. Und optimistische Hersteller sagen, sie können 2025 schon mit einer Batterieladung von Krefeld bis Kleve und zurück fahren können – das wären 130 Kilometer.
Warum ist es denn attraktiver mit BEMU-Fahrzeugen zu fahren als kleine Stummel wie Millingen-Xanten zu elektrifizieren?
Wenn wir in die Elektrifizierung investieren, müssen wir nachweisen, dass durch die Investition deutlich mehr Fahrgäste in die Züge bekommen. Nur das wird bewertet -- und leider noch nicht Faktoren wie Klimaschutz oder Innovation. Ich hoffe, dass sich das bald ändern wird. Aus unserer Sicht haben wir mit BEMU-Fahrzeugen die gleichen Vorteile – mit deutlich geringeren Investitionen.
Trotz höherer Anschaffungskosten und noch nicht etablierter Technologie?
Elektro-Triebwagen bieten mehr Sitzplätze, können schneller beschleunigen und haben eine höhere Endgeschwindigkeit. Das einzig neue jetzt ist der Energiespeicher an Bord der Fahrzeuge.
Klingt so, als bräuchten Sie den Fahrdraht Wesel-Bocholt und Mettmann-Wuppertal nicht mehr?
Wenn man die Planung heute noch einmal beginnen würde, käme es da womöglich zu einer anderen Bewertung.
AKKU-BEMU-OLIA: Was ist was?
Elektrisch angetriebene Züge sind sauber und schnell – rund 60 Prozent des Netzes sind elektrifiziert, dort aber werden rund 90 Prozent des Verkehrs abgewickelt. Wo die Oberleitung fehlt, knurren Diesel durchs Land. Das soll sich (wieder) ändern.
Von 1895 bis 1995 gab es schon Akku-Triebwagen (zuletzt auf der so genannten Nokia-Bahn zwischen Gelsenkirchen und Bochum). Zuvor rollten die Akkutriebwagen aus Wanne-Eickel über viele Strecken der Region, u.a. von Essen nach Borken und Coesfeld, von Oberhausen und Mülheim nach Ruhrort oder Walsum.
Jetzt soll die Speichertechnik ihr Comeback feiern als BEMU – Batterie-elektrische mobile Einheit (Unit). Ein komplizierter Name für einen Zug. Und OLIA? Ist eine Oberleitungs-Inselnlage. Sprich: ein Stück Oberleitung als Steckdose für die BEMU. Der Zug kann während der Wartezeit vor der nächsten Fahrt dort seine Batterien wieder aufladen.