Duisburg. Der Existenzkampf eines weißen Wales im verseuchten Rhein ist Legende. 1966 konnte das Tier viele Freunde finden - aber es wurde auch gejagt.

An meinem 13. Geburtstag bekam ich „Moby Dick“ geschenkt. Das Buch habe ich immer noch, der Einband löst sich auf, die Seiten bröseln. Wegen dieses Romans von Hermann Melville wurde ich ein Leser. Wer das Buch nicht kennt, kennt den Film mit Gregory Peck: Der Kapitän eines Walfängers ist von einem weißen Wal besessen, der ihm im Kampf Mensch gegen Tier einst ein Bein raubte. Ein Buch, so tief wie der Marianengraben. Glaube, große Natur, Missachtung der Schöpfung, viel Leid, wenig Freud. Ich war Ismael, der Bootsjunge auf der Pequod, diesem unglückseligen Schiff des Kapitän Ahab.

Zehn Jahre zuvor wurde in Zeitung und Fernsehen wochenlang über einen weißen Wal berichtet, der 1966 den Rhein hoch und runter schwamm. Die Menschen entlang des Flusses tauften ihn Moby Dick.

Film über den Wal im Duisburger Hafen sollte entstehen

Dieser Moby Dick landete im Jahr 2003 auch auf meinem Schreibtisch. Aus dem lesenden Kind war längst ein Schreiber geworden, beschäftigt in der Niederrhein-Redaktion der NRZ. Viele bunte Themen aus Wasser, Wald und Wiese landeten bei uns. So auch das Ansinnen der Kölner Produktionsfirma Lichtblick Film, im Auftrag des Senders Arte einen Film über den Koloss im Duisburger Hafen zu drehen. „Der weiße Wal – Tauchfahrt in dunkle Fluten“ entstand, eine 72-minütige Dokumentation über einen Wal, der sich aus der Arktis über die Nordsee in die verseuchte Brühe des Rheins der 60er-Jahre verirrt hatte. Schon wieder packte mich Moby Dick. Ich, Ismael, stürzte mich wieder ins Abenteuer, diesmal als Journalist.

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Der neue Moby Dick beschäftigte damals die ganze Republik. Zum ersten Mal wurde er am 18. Mai 1966 im Rhein bei Duisburg gesichtet. Ein weißer Wal, kein wirklicher Riese, ein Beluga von knapp fünf Metern. Wie in der Romanvorlage spielte ein Besessener mit, der Jagd auf ihn machte – der damalige Duisburger Zoodirektor Dr. Wolfgang Gewalt.

Kampf Mensch gegen Kreatur, Gut gegen Böse

In diesen Wochen spitzte sich die Geschichte von Dr. Gewalt und Moby Dick zu einem Kampf Mensch gegen Kreatur, Gut gegen Böse.

Die Rolle des Bösen füllte Dr. Gewalt mit arroganter Leichtigkeit. Er ließ das Tier mit Harpunen, Gewehren, Betäubungspistolen oder sogar Flitzebogen jagen. Aus wissenschaftlichem Ehrgeiz, wie er sagte. Sogar mit zusammengeknüpften Tennisnetzen versuchte er, Moby Dick die Freiheit zu rauben.

Auf dem Boot der Wasserschutzpolizei ging der damalige Duisburger Zoodirektor Dr. Wolfgang Gewalt auf Walfang.
Auf dem Boot der Wasserschutzpolizei ging der damalige Duisburger Zoodirektor Dr. Wolfgang Gewalt auf Walfang. © dpa | Horst Ossinger

Der Duisburger Dieter Karrasch manövrierte damals das Boot der Wasserschutzpolizei, mit dem der Zoodirektor den Meeressäuger quälte. „Man musste damals mehr auf die Menschen an Bord aufpassen, als auf den Wal. Hier war ein Riesengedränge“, sagte er belustigt über die seltsame Gesellschaft an Bord. Womöglich hatte der Wal mit Karrasch seinen ersten (und vielleicht wichtigsten) Bundesgenossen gewonnen, denn der manövrierte oft am Wal vorbei.

Schnell wurden es mehr Walfreunde

Es wurden schnell mehr Walfreunde, denn Presse und Fernsehen stürzten sich auf die Hatz und machten Dr. Gewalt zum Buhmann, der ohne Demut vor der Schöpfung agierte, ganz so wie es Kapitän Ahab in seiner manischen Jagd auf Moby Dick tat.

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Sein Ruf besserte sich nach dieser Jagd nicht mehr. Noch schlechter wurde er in den Folgejahren, als von ihm in freier Natur gefangene Belugas und Jakobitas in den viel zu kleinen Becken des Duisburger Zoos regelmäßig verendeten. Seine offen rechtsnationale Einstellung tat ihr Übriges.

Moby Dick: Mal in Wesel, mal in Rees gesichtet

Zurück zu Moby Dick und in den Duisburger Hafen. Hier wurde er am häufigsten gesichtet, hier war die Armada der Verfolger am größten. Doch der Wal kümmerte sich nicht drum, ging weiter auf Wanderschaft.

Ganz nach dem Motto: Wenn schon mal verschwommen, dann aber richtig. So wurde er in Wesel gesichtet, dann erblickten ihn Spaziergänger in Nähe der damals im Bau befindlichen Reeser Rheinbrücke.

Doch wo immer er blies, seine Häscher kamen zu spät. Er setzte seine Flusswanderung Richtung Ijsselmeer fort, war als Willi de Wal Held der niederländischen Medien und sollte (friedlich) gen Nordsee gelenkt werden, um wieder in Freiheit zu gelangen.

Tier verabschiedete sich am 17. Juni in die Nordsee

Doch Moby Dick machte eine Kehrtwende. In Köln wurde er das nächste Mal gesichtet. Danach aber war das Spektakel beendet, das geschwächte und von Ekzemen übersäte Tier verabschiedete sich am 17. Juni grußlos und entschwand in die rettenden Fluten der Nordsee. Ein glückliches Ende, mit dem kaum jemand gerechnet hatte, und das wahrscheinlich allein Dr. Gewalt enttäuschte.

Der Existenzkampf des weißen Wales im verseuchten Rhein ist Legende und lebt bis heute im Alltag fort. Zwei kleine Beispiele: Das Ausflugsschiff „Moby Dick“ in Form eines Wales fährt weiter auf dem Rhein. Die Wasserschutzpolizei Duisburg verwendet für ihren Funk bis heute den Rufnamen „Beluga“.

Und das große Beispiel steht in vielen Bücherregalen. Wie in meinem, als letztes überlebendes Jugendbuch.

Wie Ismael an Bord der Pequod. „Und ich allein bin entronnen, dass ich dir’s ansagte“, prophezeit Hiob im Hafen vor der Abfahrt.

Infos zum Film

  • Der Film ist offiziell vergriffen. Auf Anfrage gab die Produktionsfirma an, dass sie für Enthusiasten auf jeden Fall einen Weg findet, eine Kopie herzustellen.
  • Lichtblick Film- und Fernsehproduktion GmbH, Apostelnstraße 11, 50667 Köln, Tel. 0221-92 57 520. E-Mail: info@lichtblick-film.de