Am Niederrhein. Sind es wirklich „Blaue Wunder“, die im Bildband über „die schönsten Flüsse in NRW“ zu sehen sind. Nachgefragt bei Peter Rüther, einem Biologen.

Dieses Buch kommt gerade richtig – mitten im grauen Herbst. „Blaue Wunder. Die schönsten Flüsse in NRW“, mit begeisternden Fotos von Wolfgang Schomberg – und mit aufklärerischen Texten von Peter Rüther. Mit dem Leiter der Biologischen Station Kreis Paderborn-Senne sprach Niederrhein-Reporter Ingo Plaschke .

Herr Rüther, außerhalb von NRW fallen einem zu diesem Bundesland nicht zwingend „Blaue Wunder“ ein, so wie der Titel Ihres neuen Buches lautet.

„Wenn man angeben sollte, welches die wasserreichsten Bundesländer sind, würde einem vermutlich zuerst Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein einfallen. Tatsächlich ist aber auch Nordrhein-Westfalen ein sehr wasserreiches Land mit einem vergleichsweise dichten Fließgewässernetz und auch vielen Stillgewässern, darunter sehr vielen Talsperren zur Trinkwassergewinnung. Und dass es an den Gewässern auch viele Naturwunder zu entdecken gibt, finde ich nicht so erstaunlich, wenn man bedenkt, dass in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahrzehnten sehr große Anstrengungen unternommen wurden, um die Wasserqualität zu verbessern und Gewässer zu renaturieren.“

Peter Rüther, Leiter der Biologischen Station Paderborn-Senne.
Peter Rüther, Leiter der Biologischen Station Paderborn-Senne. © privat

Der Rhein - schön und gut. Aber wo bleiben Issel und Niers?

Alle Welt kennt den Rhein, bundesweit bekannt ist die Ruhr, vor allem als Gebiet. Welcher Fluss in Nordrhein-Westfalen wird am meisten unterschätzt?

„Von den großen deutschen Flüssen wird meiner Meinung nach die Weser am meisten unterschätzt; diese persönliche Einschätzung mag aber auch damit zusammenhängen, dass ich meine Kindheit in Höxter an der Weser verbracht habe. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir der Weser keine eigene Quelle zugestehen, sondern sie so definieren, dass der Fluss, der aus dem Zusammenfluss von Fulda und Werra entsteht, Weser heißt.“

Im Untertitel des Buches heißt es: „Die schönsten Flüsse in NRW“. Ja aber, wo bleiben denn da die Issel oder Niers?

„Das Buch ist kein Kompendium zu allen Gewässern in NRW. Sobald man aus Platzgründen eine Auswahl treffen muss, ist diese subjektiv und hängt von verschiedenen Umständen bei der Erstellung des Buches ab. Aus Sicht einer niederrheinischen Zeitung mögen Issel und Niers fehlen. Andererseits sind aber z.B. die Emmer und die Alme in Ostwestfalen auch nicht enthalten. Und über die letztere gäbe es als Karstfluss auch vieles Interessantes zu fotografieren und zu erzählen.“

Die Fotos von Wolfgang Schomberg sind wunderschön. Zu schön? Keine zehn Prozent der Fließgewässer in NRW sind in einem guten ökologischen Zustand, der laut EU-Wasserrahmenrichtlinie bis zum Jahr 2027 erreicht werden soll.

„Trotz der oben erwähnten Erfolge in Bezug auf die Verbesserung von unseren Gewässern, bleibt selbstverständlich auch noch viel zu tun. Das Buch soll aber Mut machen, dass sich der große Aufwand lohnt - nicht nur, weil natürliche Gewässer viel schöner sind als ausgebaute und verschmutzte „Vorfluter“, sondern auch, weil sie einer der wichtigsten Umweltfaktoren für unser Überleben sind.“

Ein Bild von einem Fluss. Wenig naturnah, sondern vom Mensch gerade gerückt. Ökologisch nicht wertvoll.
Ein Bild von einem Fluss. Wenig naturnah, sondern vom Mensch gerade gerückt. Ökologisch nicht wertvoll. © Wolfgang Schomberg

Erft, Lippe, Rur - drei Flüsse mit gleichen Problemen

Die Rur bei Barmen ist der einzig verbliebene Flusslauf in NRW, der noch in seinem ursprünglichen Bett liegt, schreiben Sie. Was ist im Wasserbau in der Vergangenheit schiefgelaufen?

„Die Nutzung der Landschaft unterlag und unterliegt auch heute dem Zeitgeist. Was vor hundert Jahren gut und richtig erschien unter den damaligen Lebensumständen, muss heute ganz anders bewertet werden. In der Vergangenheit war den Menschen die Verbesserung der teilweise harten Lebensumstände ganz wichtig, heute steht die Verbesserung der ökologischen Qualität mehr im Vordergrund, weil wir mittlerweile verstanden haben, dass die Ressourcen auf unserer Erde endlich sind.“

Die Lippe wird aktuell, so wie quasi alle anderen Flüsse auch, mit jeweils Millionen von Euro renaturiert. Wie natürlich ist eigentlich solch ein naturnaher Ausbau?

„Einen richtigen Naturzustand im wissenschaftlichen Sinne werden wir bei den Gewässern nicht mehr erreichen können – genauso wenig wie wir in Deutschland Urwälder wieder begründen können. Dafür hat der Mensch in den letzten Jahrhunderten hier in Mitteleuropa fast jedes Fleckchen Landschaft irgendwann mal überformt. Aber wir kommen mit heutigen Renaturierungen dem Naturzustand schon sehr nahe. Und das Wichtigste bei den Renaturierungen ist ja auch, dass die Gewässer wieder ihre natürlichen Funktionen übernehmen können, also die Selbstreinigung und der Lebensraum für eine artenreiche Pflanzen- und Tierwelt.“

Noch ein Wort zu Erft, bitte, dann höre ich auch auf zu meckern. Welche Zukunft hat ein solcher Industriefluss, der durch den Braunkohletagebau nachhaltig verändert, aus biologischer Sicht?

„Da kann ich nur sagen, dass jede ökologische Verbesserung eines Gewässers uns Menschen zugutekommt. Wir machen so etwas ja nicht ausschließlich für seltene Pflanzen und Tiere, sondern letztendlich vor allem für uns selbst.“

Wolfgang Schomberg, ein Naturfotograf, dessen Bilder eine Begeisterung für Landschaften, Pflanzen und Tiere auslösen.
Wolfgang Schomberg, ein Naturfotograf, dessen Bilder eine Begeisterung für Landschaften, Pflanzen und Tiere auslösen. © privat

Über Wasserkraft und Trinkwasser

Flusslandschaften sehen oberflächlich betrachtet wundervoll aus und sind daher auch beliebte Touristenziele. Ihr Tipp, wie ist ein Fluss am schönsten zu erfahren: wandernd, radfahrend oder paddelnd?

„Ich persönlich bevorzuge das Wandern, weil man durch die vergleichsweise langsame Fortbewegung eine Landschaft am intensivsten erleben kann. Aber Radfahren und Paddeln bieten auch sehr intensive Naturerlebnisse. Hauptsache ist, man ist an der Natur und nimmt diese bewusst und intensiv wahr.“

Ein wirtschaftlicher Aspekt: Bei all der Wasserkraft, die NRW besitzt, landesweit 427 Anlagen, sehen Sie das Potenzial dieser umweltfreundlichen Energieerzeugung als erschöpft an. Warum?

„Dabei berufe ich mich auf Aussagen von Experten. Die südlichen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern haben aufgrund der insgesamt noch stärkeren Gefälleverhältnisse ein viel größeres Potenzial für die Nutzung von Wasserkraft als NRW.“

Interessant auch Ihr Hinweis: Ein nicht unerheblicher Teil unseres Trinkwassers stammt aus Flüssen. Die gesundheitlich notwendige Aufbereitung ist enorm teuer. Was muss passieren, damit dies kein Fass ohne Boden wird?

„NRW ist ein sehr bevölkerungsreiches Land und so ist es nicht erstaunlich, dass unser Trinkwasser nur zum Teil aus dem Grundwasser gedeckt werden kann. Aber die Tatsache, dass wir Flusswasser auch als Trinkwasser nutzen (müssen), unterstützt ja noch meine oben gemachte Aussage, dass sich jeder Aufwand für ökologische Verbesserungen an unseren Gewässern lohnt.“

Die reine Naturlehre: Ohne Wasser kein Leben

Durch Ihr Buch sollen Touristen ans Wasser gelockt werden. Wie groß ist der Zwiespalt, in dem sie als Autor stecken, schließlich sind sie ja auch ein engagierter Naturschützer?

„Der Zwiespalt ist natürlich da. Ich halte es aber mit dem alten und immer noch gültigen Spruch „Nur was man kennt, kann man auch schützen“. Es hilft uns nichts, wenn wir Landschaft nur noch aus dem Fernsehen kennen. Die Menschen sollen also raus in die Natur. Dass man sich in der Natur rücksichtsvoll benehmen soll, halte ich für eine Selbstverständlichkeit.“

Letzte Frage: Ohne Wasser kein Leben, lautet die reine Naturlehre. Gilt das, im übertragenen Sinne, auch für Ihr Leben?

„Natürlich gilt das auch für mich. Wasser ist eines meiner liebsten Getränke. Und ich erlebe das sozusagen hautnah bei meinen Bergwanderungen, wenn ich auf einer schweißtreibenden Wanderung meine Wasserflasche an einem Gebirgsbach auffülle und immer wieder feststelle, wie herrlich Wasser schmecken kann.“

INFO: Ein Buch über die schönsten Flüsse in NRW: „Blaue Wunder“

„Blaue Wunder“ von Wolfgang Schomberg (Fotos) und Peter Rüther (Texte), 208 Seiten, erschienen im Droste Verlag, Düsseldorf , 29 Euro, erhältlich auch in örtlichen Buchhandlungen.