An Rhein und Ruhr. Wie leben wir 2030? Der Zukunftsforscher Roland Busch glaubt, dass mehr Menschen aufs Land wollen. Das hat nicht nur mit Corona zu tun.
Die Restaurants und Kinos in der Stadt sind geschlossen, Arbeitnehmer rücken zu Lockdown-Zeiten wieder ins Homeoffice. Glücklich ist der, der Platz zur Entfaltung hat. Den gibt es am Niederrhein eher als in der dicht besiedelten Metropole Ruhr. Führt die Corona-Krise nun zu einer Stadtflucht? Darüber hat NRZ-Redakteurin Denise Ludwig mit Dr. Roland Busch, geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Raumforschung und Immobilienwirtschaft (IRI) in Dortmund, gesprochen.
Mehr Platz fürs Homeschooling, der Wegfall des lästigen Pendelns durchs Homeoffice – zieht es nun mehr Menschen aus der Stadt aufs Land?
Busch: Der Trend, dass die Menschen mehr Platz haben wollen, ist festzustellen. Das Arbeiten im Homeoffice ist dabei ein zentraler Punkt. Dadurch dass man länger zuhause ist, gewinnt der Wohnort an Bedeutung. Standorte, die größere Wohnmöglichkeiten und einen Garten bieten, werden beliebter.
Raus aus der Stadt – ist diese Entwicklung neu?
Nein, das war schon vor der Corona-Krise erkennbar. 2016/17 haben wir die Wanderungsbewegungen untersucht und festgestellt, dass die Großstädte eigentlich nur durch Zuzug aus dem Ausland gewachsen sind. Wenn man sich nur die innerdeutschen Wanderungen anschaut, haben die ganzen Metropolen und Großstädte damals schon mehr Weg- als Zuzüge gehabt.
Städte erleiden nur einen kurzfristigen Attraktivitätsverlust
Warum ist das so?
Das hängt mit dem angespannten Wohnungsmarkt zusammen. Viele können ihre Wohnwünsche in den Städten nicht mehr umsetzen und werden deshalb gezwungen, aufs Land zu ziehen. Aber: Man muss zu seinem Arbeitsplatz, der häufig in der Stadt ist, zurückpendeln. Das war bislang eine Schwierigkeit. Doch durch Corona arbeiten viele Menschen im Homeoffice, das Pendeln entfällt. Viele gehen davon aus, dass man zukünftig nur noch ein bis zwei Präsenztage hat. Das sorgt dafür, dass man bereit ist, weiter raus zu pendeln. So werden Orte, die zuvor aufgrund des Pendelns zu weit weg waren, jetzt attraktiver.
Hinzu kommt: Das, was das städtische Leben ausmacht – eine quirlige Kulturszene, ein vielfältiges Gastronomieangebot, Einzelhandel – liegt in der Corona-Krise brach; Stichwort: Lockdown. Wie wird sich das auf die Städte auswirken?
Ich denke, das wird nur einen kurzfristigen Attraktivitätsverlust der Städte zur Folge haben. Die Städte werden weiterhin Menschen ansprechen, die Interesse haben, regelmäßig die Oper oder die Restaurants zu besuchen. Die Nachfrage wird immer da sein. Gerade für junge Menschen. Aber für Leute, die in der Familiengründungsphase sind, wird der ländliche Raum zunehmend attraktiver. Dann akzeptiert man auch die fehlenden Infrastrukturangebote.
Welches Image hat das Dorfleben? Naturidyll oder Ort der Vergreisung?
Viele fliehen aus den Dörfern aufgrund der eingeschränkten Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten, aber zum Teil auch aufgrund der starken sozialen Kontrolle. Dort weiß jeder über jeden Bescheid. Im Gegenzug ist die Anonymität in den Städten für viele attraktiv. Andererseits hat man dieses positive Bild vom Landleben. In vielen Menschen steckt der Wunsch, etwas Grünes um sich zu haben. So ein Wohnen ist einfacher in den Dörfern zu verwirklichen.
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Aber nun fehlt es oftmals an Infrastruktur auf dem Land: Der letzte Nahversorger hat geschlossen, das Internet ist langsam. Gerade im Homeoffice kann das wertvolle Zeit kosten.
Die Internetverfügbarkeit und Breitbandanbindung wird ein sehr großes Thema werden. Wenn man Filme streamt und Videokonferenzen führt, braucht man einen gewissen Standard. Mittel- und langfristig wird auch Co-Working an Bedeutung gewinnen. Das bedeutet: Arbeitnehmer können dezentral in kleineren Co-Working-Stationen am Stadtrand arbeiten. Da hat man den Vorteil, dass man nicht zuhause allein arbeiten muss, die Kinder bei der Videokonferenz durchs Bild laufen und man trotzdem in Wohnortnähe mit anderen konzentriert arbeiten kann.
Die Nachteile des Landlebens
Trotzdem: Die Mieten und Preise steigen und steigen – auf dem Land wie in der Stadt. Wie lange geht das alles eigentlich noch gut?
Die Nachfrage und die Preisbildung werden nicht mehr nur durch die lokale Nachfrage und das Angebot getrieben, sondern durch den Kapitalmarkt. Wir haben immer mehr Geld, das in den Immobilienmarkt strömt. Es legen nicht nur die deutschen Sparer ihr Geld an, sondern auch Pensionsfonds aus Norwegen und Ölfonds aus Abu Dhabi. Das treibt die Preise stark. Und dabei steigen die Kaufpreise stärker als die Mietpreise. Die Menschen, die wirklich Interesse an Eigentum haben, haben in den Städten kaum die Möglichkeit dazu und weichen aufs Umland aus. Die Frage ist, ob sie da wirklich Lust zu haben. Aber sie werden regelrecht dazu gezwungen.
Weniger Verkehr, Lärm, Feinstaub, mehr Menschen fahren Fahrrad – wird die Corona-Krise positive Auswirkungen auf die Städte und Dörfer haben?
Für die Dorfentwicklung kann man einiges Positives erkennen. Die Möglichkeit, dezentraler zu arbeiten und zu leben, die Digitalisierung – da ist ein richtiger Innovationsschub entstanden. Die Städte werden ihre Attraktivität behalten. Vielleicht findet ein Erneuerungsprozess statt. Es gibt ja die Befürchtung da, dass der inhabergeführte Einzelhandel oder die kleinen Clubs am meisten leiden, dass es zu einem Absterben der Subkultur kommen wird. Aber ich denke, dass das kulturelle Leben sich wieder entwickeln wird. Eine Stadt der kurzen Wege – das ist in der Corona-Phase wichtig. Es gibt in Paris oder Melbourne interessante Konzepte einer 15-Minuten-Stadt. Die Quartiere sollen so umgebaut werden, dass man per Rad und zu Fuß die wichtigsten Dinge innerhalb einer Viertelstunde erreichen kann.
Ein Quartier der kurzen Wege ist auf dem Land schon wieder schwierig…
Ja, das ist der Nachteil des Landlebens. Hier ist man auf das Auto angewiesen. Die Stadt hat eben eine gewisse Attraktivität. Aber vielleicht ist es in einer gewissen Lebensphase eben wichtiger, Gemüse im eigenen Garten anzubauen als schnell den Supermarkt zu erreichen.
Dörfer müssen ihre Identität wahren
Kranenburg weist das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in einer Grafik als überdurchschnittlich wachsende Stadt aus, Rees hingegen als schrumpfend. Warum wachsen einige ländliche Orte stärker und andere weniger?
Die Dörfer müssen sehen, dass die Orte, der Dorfkern und das dörfliche Leben attraktiv sind. Es darf nicht die Gefahr bestehen, dass man zu einer austauschbaren Wohn- und Schlafstadt wird. Für kleine Dörfer ist es wichtig, die eigene Identität zu wahren. Wenn man aufs Land zieht, möchte man einen schönen und intakten Ort haben. Es gibt zum Beispiel Programme, die Anreize bieten, in einen Bestandsbau zu investieren statt in einen Neubau auf der grünen Wiese.
NRW 2030 – wo leben wir? Auf der Stadt oder auf dem Land?
Ich glaube schon, dass das ländliche Leben durch die Digitalisierung attraktiver werden könnte. Aber auch die Städte bleiben attraktiv.