An Rhein und Ruhr. Weil bei immer mehr Menschen das Coronavirus nachgewiesen wird, müssen auch mehr Kontakte verfolgt werden. Behörden stoßen an Grenzen.

Angesichts der noch immer steigenden Infektionszahlen stoßen die Gesundheitsämter an Rhein und Ruhr bei der Corona-Kontaktnachverfolgung zum Teil an ihre Grenzen oder schaffen es nicht mehr, unmittelbar alle Kontakte eines mit Corona infizierten Bürgers zu informieren. In Duisburg muss die Bundeswehr helfen, weil sich ein Rückstau bei der Kontaktnachverfolgung gebildet hat. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kreises Wesel sind überfordert.

Ein Blick in die Zahlen: Zwischen zehn und 30 Personen müssen die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes in Mülheim an der Ruhr täglich neu informieren. Die Information erfolgt ausschließlich telefonisch. Will heißen: Es könnten auch mehrere Anrufe pro Person fällig werden, wenn die Betroffenen nicht erreichbar sind. Hinzu kommen die Kontakte des Gesundheitsamtes zu den Infizierten. Das sind derzeit aktuell 148 Menschen (Stand von Dienstagvormittag). Und schließlich halten die Mitarbeiter auch Kontakt zu den Menschen, die sich in Quarantäne befinden – am Dienstag waren es 579.

Mitarbeiter aus anderen Ämtern werden geschult

In Mülheim kümmern sich derzeit 42 Mitarbeiter um die Nachverfolgung. Rein rechnerisch betreut demnach jeder Mitarbeiter zwischen 17,5 und 18 Fälle pro Mitarbeiter. Ein Lichtblick: Aus der übrigen Stadtverwaltung sind 20 Mitarbeiter geschult worden und werden nun im Gesundheitsamt eingesetzt. Zudem soll es eine personelle Aufstockung von 2,5 Stellen geben, erklärt Pressesprecher Volker Wiebels auf Anfrage der Redaktion.

Bisher könnten noch alle Kontakte nachverfolgt und informiert werden, erklärt er weiter. Doch die Stadt schließt nicht aus, je nach Lage und Entwicklung der Pandemie ebenfalls die Hilfe der Bundeswehr in Anspruch zu nehmen.

Verzögerung durch Warten auf Infos aus anderen Gesundheitsämtern

Wenngleich: Gehören zum Beispiel Mülheimer Bürger zu Kontaktpersonen von positiv getesteten Menschen aus einer anderen Stadt, muss das eine Gesundheitsamt zunächst auf die offizielle Information aus der anderen Stadt warten, schildert eine Journalisten-Kollegin aus eigener Erfahrung. Sie habe am Samstag erfahren, dass ihr Physiotherapeut positiv sei. Bis Dienstag sei sie von ihrem Gesundheitsamt noch immer nicht informiert worden.

Darauf greift bereits die Stadt Duisburg zurück. Seit Montag helfen 15 Soldaten bei der telefonischen Kontaktverfolgung mit. Laut einer Stadtsprecherin haben sich in der vergangenen Woche bei der Krankennachverfolgung Rückstände gebildet.

Die Landeshauptstadt Düsseldorf hingegen sieht sich nach Angaben von Pressesprecherin Annika Mester „gut aufgestellt“. Allein für die Kontaktnachverfolgung stehen im dortigen Gesundheitsamt 68 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung. Auch Mitarbeiter aus anderen Ämtern der Stadt werden inzwischen im Gesundheitsamt eingesetzt, zudem unterstützen Studierende und „externe Containment-Scouts“ (siehe Info am Textende) bei der Kontaktnachverfolgung. Zudem will die Stadt ehemalige Mitarbeiter von Galeria Karstadt Kaufhof befristet einstellen.

Im Schnitt drei Kontakte pro infizierten Düsseldorfer

Pro positiv getesteter Person würden sich in Düsseldorf im Durchschnitt drei Kontakte ergeben, schildert die Sprecherin weiter. Von Montag auf Dienstag gab sich laut Internetseite der Stadt Düsseldorf ein Plus von 60 Neuinfizierten. Dementsprechend müssten durchschnittlich 180 Personen unmittelbar informiert werden.

Auch im Kreis Wesel erfolgt die Kontaktnachverfolgung in erster Linie telefonisch. Das Problem: Infizierte Personen können nicht immer unmittelbar aktuelle Telefonnummern von ihren Kontakten liefern. Oder ihnen fällt erst später ein, mit wem sie in engem Kontakt standen. „Deshalb werden Verwandte, Arbeitgeber, Pflegende, zum Teil auch Nachbarn kontaktiert, um möglichst schnell ein umfassendes Bild zu bekommen“, erläutert Kreissprecherin Eva Richard auf Anfrage der Redaktion.

Im Kreis Wesel werden manchmal Dolmetscher gebraucht

In einzelnen Fällen muss auch ein Austausch mit anderen Gesundheitsämtern erfolgen oder müssen Dolmetscher eingeschaltet werden. „Die insistierende Nachfrage von erfahrenen Kontaktermittlern hilft dabei, die Infektionsketten erkennbarer zu machen. Ein solcher Prozess kann mehrere Tage dauern, da sich die Fallkonstellationen sehr unterschiedlich gestalten“, erläutert Richard weiter.

Der Stellenplan des Gesundheitsamtes im Kreis Wesel sieht 73 Stellen vor, die sich 95 Mitarbeiterinnern und Mitarbeiter teilen. Aktuell ist die Stelle der Fachdienstleitung und ab dem 1. November eine weitere Stelle als Arzt/Ärztin nicht besetzt. Die Ausschreibungen dafür laufen. Fast alle Mitarbeiter sind mit der Corona-Pandemie befasst, „fast alle pflichtigen Aufgaben des Gesundheitsamtes werden seit einem halben Jahr verschoben oder nur im ‚Notfallmodus‘ wahrgenommen“, schildert die Kreissprecherin.

Das Team des Gesundheitsamtes wird derzeit durch 35 externe Vollzeitmitarbeiter unterstützt. Dabei handelt es sich unter anderem um Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, des Deutschen Roten Kreuzes und um RKI-Scouts. Auch die Bundeswehr sei der Sprecherin zufolge bereits im Einsatz gewesen. Aktuell werde eine weitere Personalaufstockung durch Mitarbeiter der Kreisverwaltung, der Hilfsdienste sowie durch Studierende organisiert, die für die Kontaktnachverfolgung, eingesetzt werden sollen. Doch das ist nicht leicht.

Stammpersonal arbeitet "in extremer Stresslage"

„Es fehlt vor allem an qualifiziertem Fachpersonal, das auf dem Arbeitsmarkt nur sehr schwer zu akquirieren ist. Das sind nicht nur Ärzte, sondern vor allem auch Gesundheitsaufseher, Hygienefachleute und medizinische Fachangestellte“, erläutert Sprecherin Eva Richard. „Die Überlastung ist beim Stammpersonal, das seit einem halben Jahr in extremer Stresslage arbeitet, besonders groß. Deshalb ist es wichtig, dass jenes Personal, das durch die Stammkräfte eingearbeitet wurde und nun befristet tätig ist, längerfristig gebunden werden kann, um selbst wieder neue Kräfte zu schulen.“

Info:

Containment Scouts sind Studierende der Medizin oder anderer Gesundheitswissenschaften. Sie werden durch das Robert-Koch-Institut (RKI) geschult und lernen, wie man mit Meldesystemen und Datenbanken umgeht und erhalten eine Einführung in die Infektionsepidemiologie. Anschließend können sie Gesundheitsämter dabei unterstützen, Kontaktpersonen von mit Corona Infizierten effektiv nachzuverfolgen. Aktuell werden sie unter anderem in Düsseldorf, Duisburg und in den Kreisen Wesel und Kleve eingesetzt. Das Projekt ist laut RKI verlängert worden und gilt zunächst bis zum Frühjahr 2021.