An Rhein und Ruhr. Laut einem Bericht sind die Abellio-Verluste in Deutschland für den Mutterkonzern nicht mehr tragbar. Die NRW-Tochter dementiert hektisch.
Abellio droht das Ende - so kurz und dramatisch könnte man zusammenfassen, was Bert Groenewegen, Finanzvorstand des niederländischen Mutterkonzerns „Nederlandse Spoorwegen“ sagt. Zugbetreiber Abellio Deutschland rutscht in die roten Zahlen – und will deswegen den Betrieb so schnell wie möglich einstellen. Das ließ der Finanzvorstand der Niederländischen Staatsbahnen (NS) im renommierten „NRC Handelsblad“ verlauten.
Bei gut einer halben Milliarde Umsatz auf 50 Linien in Deutschland habe man 2019 rund 32,7 Millionen Euro Miese gemacht, so Finanzchef Bert Groenewegen. „Wenn wir keine Lösung finden, müssen wir dies vorzeitig beenden. Unsere Auftraggeber verstehen, dass wir nicht zwölf Jahre lang Verluste hinnehmen wollen, das ist kein tragfähiges Modell“, so Groenwegen in der niederländischen Zeitung.
Von Seiten der NRW-Tochter in Hagen kam nach der Zeitungsmeldung vom Freitagabend am Sonntagmittag ein hektisches Dementi: Man weist alle Spekulationen zur Einstellung des Zugverkehrs vehement zurück, man wolle den vertraglichen Pflichten „nach bestem Wissen und Gewissen nachkommen“ – eine äußerst ungewöhnliche Formulierung. Wie sich das mit der Aussage des NS-Finanzvorstandes vereinbar ist, bleibt offen. Dieser wird in den Niederlanden mit dem Satz zitiert: „Wir müssen nicht, koste es was es wolle, an unserer Position in Deutschland festhalten“.
Denkbar ist ein Rückzug bereits zum Jahresende, so das Handelsblatt
Aus Sicht von der Fahrgastvereinigung ProBahn könnte der Paukenschlag aus den Niederlanden eine Drohgebärde im Vertragspokers zwischen den Verkehrsunternehmen, VRR und Land sein. Klar sei: Für viele Nahverkehrsunternehmen, die mit günstigen Angeboten Strecken von DB Regio übernommen haben, ist der Betrieb nicht mehr rentabel.
Die Folge für den Kunden bei einem möglichen Rückzug von Abellio: „Es müsste sehr schnell eine Neuvergaben oder eine Notvergabe erfolgen“, so Lothar Ebbers von ProBahn. Die wäre für die Kostenträger deutlich teurer: Folge: Entweder muss das Land mehr Geld bereitstellen – oder es fahren weniger Züge.
Vor wenigen Wochen erst hatte das deutsche Handelsblatt berichtet, dass Abellio in Deutschland in die roten Zahlen gerutscht sei. Denkbar sei, so hatte bereits das deutsche Handelsblatt spekuliert, ein Rückzug bereits zum Jahresende. Größeres Chaos im Nahverkehr mit kurzfristig erheblichen Zugausfällen wäre mutmaßlich die Folge.
Abellio sieht sich als Opfer der Umstände
Abellio sieht sich zum Teil auch als Opfer der Umstände: Rund 19,4 Millionen Euro habe man zahlen müssen, weil die eigenen Züge nicht pünktlich fuhren. Was aber nicht Abellio, sondern den zahlreichen Baustellen im deutschen Bahnnetz anzulasten sei. Die Baustellen indes werden in den kommenden Jahren eher mehr als weniger. Und damit auch die drohenden Verluste. Konsequenz: Rückzug aus dem deutschen Markt.
Falls das so kommt, bedeutet dies im besten Falle: Eine (teurere) Neuvergabe der Linien an einen anderen Betreiber, der vermutlich mit Handkuss die Lokführer und anderes Personal von Abellio übernehmen würde – und bei den Löhnen zumindest im Mangelberuf Lokführer eher drauflegen muss. Denn auch das hat Abellio die Bilanzen verhagelt: Die unerwartet hohen Lohnabschlüsse für die Lokführer – und mehr noch: Dass diese eher für mehr Freizeit als für mehr Geld optierten und daher Abellio gezwungen war, neues Personal auszubilden.
Vorteil für den VRR: Viele Züge gehören dem Verkehrsverbund
Vorteil für den VRR: bei den jüngeren Verträgen, die den RRX und die Neuvergabe der S-Bahnen betreffen, gehört das rollende Material dem VRR. Auch im Niederrheinnetz gehören die Züge dem VRR, wertvoll vor allem bei den Triebwagen, die mit deutschem wie niederländischem Bahnsystem zurechtkommen, denn die sind recht selten. Doch auch da ist ein Verkauf oder eine Übernahme durch einen neuen Anbieter denkbar. Er müsste dann „nur“ einen Betreiber mit Personal finden – und mit dem VRR Verträge schließen. Denkbar wäre ein Comeback von DB Regio, die sich dieses allerdings vermutlich teuer bezahlen ließe.
Hintergrund: Das macht Abellio in Deutschland
Abellio ist in Deutschland auf 50 Linien im Einsatz unter anderem in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Thüringen aktiv, den Großteil seines Netzes in Deutschland betreibt es allerdings im Bereich des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR), wo täglich rund 80.000 Fahrgäste Züge von Abellio auf 15 Linien nutzen.
Unter anderem im Niederrhein-Netz (RE 19 Arnheim-Wesel-Düsseldorf, Wesel-Oberhausen-Wuppertal und Wesel-Bocholt sowie RB 35 Gelsenkirchen-Duisburg-Mönchengladbach), die Linien des RE 1 (Hamm-Essen-Köln-Aachen) und RE 11 (Düsseldorf-Essen-Dortmund-Paderborn-Kassel).
Seit Ende 2019 gehören auch die S-Bahnlinien S2 (Duisburg/Essen-Gelsenkirchen-Dortmund), S3 (Oberhausen-Essen-Hattingen), S9 (Recklinghausen/Haltern-Bottrop-Essen-Wuppertal) zum Netz, ebenso der RB 35 (Dortmund-Gelsenkirchen-Duisburg). Dazu seit langem die Züge von Essen über Hagen ins Sauerland (RE14/RE40/RB91).
Bis heute kämpft Abellio mit einem zu geringen Personalbestand. So gehört zur Wahrheit eben auch: Es sind nicht nur die Baustellen, die Abellio erhebliche Bußgelder eingebracht haben. Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2019 war es Abellio lange nicht gelungen, die neu übernommenen Linien S3 (Oberhausen-Essen-Hattingen) und RE 49 (Wesel-Essen-Wuppertal) mit ausreichend Personal auszustatten, hier kam es, ebenso wie auf der Linie Bochum-Gelsenkirchen immer wieder zu Zugausfällen wegen Personalmangels, vom Aufgabenträger VRR gab es eine Abmahnung für den einstigen Musterknaben.