An Rhein und Ruhr. . Ihre Häuser sollen für die Kohle abgerissen werden. Das wollen Menschen im Rheinischen Revier nicht hinnehmen. Sie ziehen vor Gericht

Gut 40 Seiten hat das Schriftstück, das am Donnerstag beim Bundesverfassungsgericht eingehen wird. Der Inhalt: Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Kohleausstiegsgesetz der Bundesregierung. Menschen wollen damit die Vernichtung ihrer Heimat im Rheinischen Revier verhindern. Trotz des beschlossenen Kohleausstiegs sollen ihre Dörfer abgerissen werden.

Barbara Ziemann-Oberherr lebt in Keyenberg bei Erkelenz, in einem Haus, das die Großeltern ihres Mannes im Jahr 1934 erwarben. Nicht weit vom Dorfrand klafft die gewaltige Grube des Tagebaus Garzweiler, die Abbruchkante ist vielleicht 300 Meter entfernt. Keyenberg soll 2024 in dieser Grube verschwinden. Acht von zehn der ehemals rund 900 Einwohner haben das Dorf bereits verlassen, sie haben ihre Häuser an den Energiekonzern RWE verkauft. Ziemann-Oberherr will bleiben.

Initiative Menschenrecht vor Bergrecht

Vor zweieinhalb Jahren hat sich die 60-Jährige „dem Widerstand angeschlossen“, wie sie es ausdrückt, vor einem Jahr hat sie zusammen mit anderen Familien aus der Region die Initiative „Menschenrecht vor Bergrecht“ gegründet. Jetzt treten sie vor dem höchsten deutschen Gericht in den juristischen Ring mit dem großen Energiekonzern. „Wir wollen alle uns rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen, um die Zerstörung unserer Dörfer zu verhindern“, sagt sie.

Konkret richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen einen Passus im Kohleausstiegsgesetz, wonach die Fortführung des Tagebaus - und damit die Zerstörung der Dörfer - energiewirtschaftlich notwendig sei. Das sei eine Beschneidung der Grundrechte der Betroffenen, weil ihnen die Möglichkeit genommen werde, diese energiewirtschaftliche Notwendigkeit im Rahmen eines Enteignungsverfahrens in Zweifel zu ziehen, argumentiert Rechtsanwalt Dirk Teßmer.

36 Menschen aus vier Dörfern

Beschwerde eingelegt haben jetzt insgesamt 36 Menschen aus vier Dörfern. Teßmer ist optimistisch, dass er und seine Mandanten Erfolg haben werden. Bestenfalls, so hofft er, werde das Bundesverfassungsgericht feststellen, dass die Braunkohle unter den Dörfern überhaupt nicht mehr gebraucht werde – so wie es bereits in einem Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) skizziert worden ist. Damit wären die Dörfer gerettet.

Teßmer rechnet damit, dass das Verfahren mehrere Jahre dauern wird. Sollten die Dörfer vor einer Entscheidung bedroht werden, werde er nötigenfalls einen Eilantrag stellen. „Wir werden eine höchstrichterliche Entscheidung haben, bevor Fakten geschaffen werden“, ist er sich sicher.

Enttäuscht von der Politik

Barbara Ziemann-Oberherr machte am Mittwoch ihrer Enttäuschung über die Politik Luft: „Ich bin von der Bundespolitik sehr enttäuscht, dass sie ein Kohleausstiegsgesetz verabschiedet hat, das meine Grundrechte mit Füßen tritt und zudem nichts gegen den sich verstärkenden Klimawandel unternimmt“, sagt sie. Für sie ist klar, dass sie sich nicht beugen will: „Ein Zuhause kann man nicht ersetzen und das Zuhause kann man nicht bezahlen für kein Geld der Welt.“