Am Niederrhein. Klimawandel bei der Kommunalwahl. Auch globale Themen können die Abstimmung beeinflussen. Meinungscheck mit Klaus Kubernus von Attac Niederrhein.

Globalisierung ist… wenn große politische Themen plötzlich auch in der Lokalpolitik von Bedeutung sind. Ein Beispiel: Ob eine Ortsumgehung neu gebaut werden soll oder nicht, kann auch unter Berücksichtigung des Klimawandels diskutiert werden – Flächenfraß, Bodenversiegelung und Verkehrswende wären dann nur drei Stichworte, die in dieser Debatte eine Rolle spielen würden.

Deshalb ein Gespräch mit Klaus Kubernus-Perscheid, dem Vorsitzenden von Attac Niederrhein. Die Globalisierungskritiker waren vor 20 Jahren das, was Fridays for Future heute ist: eine außerparlamentarische Bewegung, die durch öffentlichen Protest weltumfassende Probleme auf die politische Tagesordnung setzt.

Nun, es gibt Attac noch immer, den Aktivisten geht es längst nicht mehr nur um die Aufklärung über menschenfeindliche Finanzmärkte, in denen vor allem Gewinne, Profite und Renditen zählen. Eine Meinungsabfrage zu aktuellen Problemen, auch mit Blick auf die Kommunalwahl am 13. September.

Ein Kraftwerk im (nieder-)rheinischen Braunkohlerevier bei Grevenbroich. Spätestens 2038 soll hier der Betrieb enden.
Ein Kraftwerk im (nieder-)rheinischen Braunkohlerevier bei Grevenbroich. Spätestens 2038 soll hier der Betrieb enden. © pla | Ingo Plaschke

Klimanotstand

Weder der Kreis Kleve noch der Kreis Wesel haben den Klimanotstand ausgerufen; anders als die Städte Kleve, Neukirchen-Vluyn und Voerde oder der Kreis Viersen.

Klaus Kubernus-Perscheid: „Der Kreis Wesel hat anstatt den Klimanotstand eine sogenannte Klimaoffensive ausgerufen. Seitdem ist wenig passiert. Wir warten darauf, dass sich Planungen entscheidend ändern, damit auch hier die Klimaziele erreicht werden können, die Deutschland auf der UN-Umweltkonferenz in Paris im Jahr 2015 zugesagt hat. Den Klimanotstand auszurufen bedeutet, dass das Handeln der Verwaltung sich stets auch an der Frage der Auswirkung auf das Klima orientiert. Es geht also nicht nur um Symbolpolitik, sondern um Verantwortung, Verbindlichkeit und Verlässlichkeit.“

Verkehrswende

Täglich gibt es Staus auf der A57, B9 vor Kleve, B58 vor Wesel, um nur drei Straßen zu nennen. Stillstehende und stinkende Blechlawinen sind auch am Niederrhein längst Alltag. Jahrzehntelang wurden Städte autogerecht geplant, die Landkreise folgten.

Klaus Kubernus-Perscheid: „Die bisherige Verkehrspolitik bietet keine angemessenen Antworten auf die Frage, wie der CO2-Ausstoß in diesem Bereich signifikant reduziert werden kann. 2013 hatte der Verkehr mit etwa 34 Prozent den größten Anteil an den CO-2-Emissionen. Seitdem ist aber die Zahl der Autozulassungen enorm gestiegen, also dürfte auch der Emissionsanteil höher liegen. Hier muss schnell umgesteuert werden, um den Individualverkehr spürbar zu senken.

Um in Landkreisen eine ernstzunehmende Alternative zum Auto bieten zu können, muss der öffentliche Nahverkehr flächendeckend ausgebaut werden. Es geht um ein Stadt-Land-Bussystem mit langen Fahrplänen, kurzen Taktzeiten und dem Vorrang vor dem individuellen Pkw-Verkehr.

In Städten bietet eine Raumplanung nach dem Shared-Space-Prinzip andere und neue Möglichkeiten. Demnach teilen sich alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt den Platz, der allen zur Verfügung steht. Wie so etwas funktioniert, ist in Duisburg vor dem Stadttheater zu sehen. Es funktioniert!“

Radschnellwege

Die Mobilität ohne Auto wird insbesondere durch E-Bikes angetrieben. Um nicht nur im Freizeittempo vorwärts zu kommen, sind Radschnellwege notwendig. Fertig ist die Strecke Kleve-Nimwegen. Geplant und gebaut wird am RS1, der auch durch Duisburg führen und nach Krefeld verlängert werden soll. Eine Route, über die ernsthaft nachgedacht wird: Kamp-Lintfort-Moers.

Klaus Kubernus-Perscheid: „Damit das Fahrrad eine echte Alternative zum Auto sein kann, muss die Infrastruktur dafür verbessert werden, inner- wie außerorts. Der nahe Blick in die Niederlande zeigt, wie der Verkehr auf eigenen Radwegen besser, sprich flüssiger und sicherer, rollen kann.

Der Ausbau von Radschnellwegen zwischen Kommunen kann ein guter Weg sein. Die Strecken sollten möglichst kreuzungsfrei sein. In Städten und Gemeinden gibt es oftmals das Problem, dass Bürgersteige und Radwege eins sind, aus diesem engen Raum ergeben sich Gefahren für Fußgänger wie Radfahrer. Ideal wäre eine Trennung.

Zu E-Bikes ist aber, wie auch zu E-Autos, anzumerken: Ein Elektroantrieb macht noch lange keine Verkehrswende aus. Es stellt sich etwa die Frage, woher der Strom für den Antrieb kommt?“

Der Verkehr mit Bussen und Bahnen gilt als klimafreundlich, soll also ausgebaut werden, auch am Niederrhein.
Der Verkehr mit Bussen und Bahnen gilt als klimafreundlich, soll also ausgebaut werden, auch am Niederrhein. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Sozialticket

Das Bundesverfassungsgericht forderte 2014 den Gesetzgeber auf, dafür zu sorgen, dass der existenznotwendige Mobilitätsbedarf gedeckt werden kann. Der Hartz IV-Regelsatz für Mobilität beträgt monatlich 35,99 Euro. Das Sozialticket kostet im Kreis Kleve 39,95 Euro und im Kreis Wesel 38,60 Euro. Eine kleine Finanzierungslücke, die Betroffenen aber ein ein großes Problem bereitet, Monat für Monat.

Klaus Kubernus-Perscheid: „Der ÖPNV ist grundsätzlich zu teuer. Die Preise für Einzeltickets sind viel zu hoch. Eine Fahrt von Wesel nach Duisburg kostet 12,80 Euro. Viele Menschen empfinden solche Tarife als eine Zumutung – und fahren nicht mit der Bahn oder dem Bus. Ein Umstieg vom eigenen Pkw auf den öffentlichen Personennahverkehr kann nur erreicht werden, wenn Busse und Bahnen deutlich billiger werden.

Zu berücksichtigen ist auch, dass zum Beispiel im Kreis Wesel mehr als 50.000 Menschen von Transferleistungen leben. Mit den aktuellen Regelsätzen für Hartz-IV-Empfänger ist ihr Recht auf Mobilität eingeschränkt. Sie können sich die hohen Fahrpreise überhaupt nicht leisten. Es gilt, den ÖPNV nicht nur zu stärken, weil er klimafreundlich ist, er muss auch sozial gerecht gestaltet werden.“

Flugscham

Als die Corona-Krise ausbrach, wurde der Flugverkehr binnen weniger Tage lahm gelegt und kam fast zum Stillstand. Doch schon vorher galten Flugzeuge auf Grund der Kohlendioxid-Belastung als Klimakiller. Ein weiteres Argument für Kritiker gegen den Regionalflughafen Niederrhein. Zuletzt forderte die Umweltschutzorganisation BUND die Schließung des Airport Weeze, an dem die dortige Gemeinde und der Kreis Kleve in Millionenhöhe beteiligt sind.

Klaus Kubernus-Perscheid: „Wenn ein Flughafen subventioniert werden muss, weil er nicht wirtschaftlich betrieben werden kann, dann sollte er geschlossen werden. Dieser Maßstab gilt für alle Standorte, also auch für den Airport Weeze.

Im Flugverkehr ist es leider so, dass die wirklichen Kosten auf die steuerzahlende Allgemeinheit abgewälzt wird. So sind Flugtickets viel zu billig. Sie sind so günstig, weil in Deutschland keine Steuer auf Flugtreibstoff erhoben wird. Außerdem müssen Fluggesellschaften viel zu wenig für Emissionszertifikate bezahlen, oder auch gar nichts.

Wenn Fluggesellschaften wie Flugpassagiere einen gerechten Preis bezahlen müssten, wären viele Regionalflughäfen gar nicht mehr geschäftsfähig – und müssten geschlossen werden.“

Kohleausstieg 1

2018 stieg Deutschland aus der Förderung der Steinkohle aus. Kohlekraftwerke dürfen bis spätestens 2038 weiter Strom produzieren. Der Standort in Duisburg-Walsum – betrieben von der Steag, an der auch die Stadt Dinslaken beteiligt ist – soll irgendwann nach dem 31. Dezember 2026 abgeschaltet werden.

Klaus Kubernus-Perscheid: „Der letzte Block im Kohlekraftwerk in Walsum ging erst 2013 in Betrieb, wir waren bereits gegen den Bau. Dass solche Kraftwerke die schlechtestes Klimabilanz aller Energieträger haben, ist bekannt. Zu bedenken gilt: Kraftwerksbetreiber wie die Steag gehen davon aus, ihren Betrieb 40 Jahre laufen zu lassen. Dafür werden sie kämpfen.“

Kohleausstieg 2

Auch die Förderung, Verbrennung und Verstromung von Braunkohle soll bis zum Jahr 2038 in Deutschland eingestellt werden. Damit würde der Tagebau im (nieder-)rheinischen Revier enden. Dort werden alle Anlagen von Energiekonzern RWE betrieben, von dem der Kreis Kleve ein Aktienpaket hält.

Klaus Kubernus-Perscheid: „Was für die Steinkohle gilt, gilt noch mehr für die Braunkohle. Wer Aktien eines Unternehmens besitzt, trägt damit auch einen Teil der Verantwortung für die Firmenpolitik.“

Der Flughafen Niederrhein war schon vor seiner Inbetriebnahme umstritten, bis heute.
Der Flughafen Niederrhein war schon vor seiner Inbetriebnahme umstritten, bis heute. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

INFO: Über Attac am Niederrhein

Im Oktober 2020 gründete sich in Xanten das globalisierungskritische Bürgerbündnis: Attac Niederrhein. Die Regionalgruppe sollte in den Landkreisen Kleve und Wesel aktiv sein. Später bildete sich für das Kleverland eine eigene Kreisgruppe heraus. Attac Niederrhein im Kreis Wesel zählt nach eignen Angaben rund 70 Mitglieder. Info im Internet: attac-niederrhein.de.

Im Dezember 1997 hatte der Chefredakteur der französischen Tageszeitung „Le Monde“, Ignacio Ramonet, einen Aufruf zur Kontrolle der Finanzmärkte publiziert. Dieser sollte als eine Antwort auf die gigantische Spekulationswelle verstanden werden, die im selben Jahr Teile von Südostasien in eine Finanz-, Währungs- und Wirtschaftskrise riss. Aus diesen Forderungen entwickelte sich 1998 das globalisierungskritische Netzwerk: Attac. Die Abkürzung bedeutet übersetzt: Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.