Auch am Niederrhein. Verlassene Orte, Lost Places, haben eine geradezu magische Anziehungskraft. Daniel Boberg hat sie fotografiert – in ganz NRW
Man sieht überall noch Spuren des Lebens. Alles was war, hat auch ein Jetzt. Ein Herz, das schlug, eine Geschichte, die Freude und ganz sicher auch Leid in sich trägt. Jeder Gegenstand von Menschen berührt und mit einer Aufgabe versehen – irgendwann liegen gelassen, vergessen, mit der Zeit gegangen.
Verlassene Orte haben etwas Magisches, geradezu Mystisches. Sie haben eine Seele, ziehen uns an und stoßen uns ab, dieses Miteinander von schön und fies sein erinnert uns an die Vergänglichkeit – und lässt uns zugleich fasziniert schauen, wie sich das Vergängliche entwickelt – ohne uns.
Tausende von Kilometern ist der Fotograf durch NRW gefahren, um schöne verlassene Orte zu finden
Und so ist es ja kein Wunder, dass Fotografen solche verlassenen Orte immer wieder aufsuchen – dem Leben in die Vergangenheit nachreisen. Daniel Boberg aus Hamm (31 Jahre alt) hat nun seinen dritten Bildband vorgelegt.
Tausende von Kilometern, sagt er, ist mit dem Auto durch NRW gefahren, um schöne verlassene Orte zu entdecken.
„Ich hätte nicht erwartet, dass es hier so schwierig ist, solche Orte zu finden. Entweder sind sie bereits abgerissen worden oder so stark bewacht, dass ein Betreten unmöglich ist.“ – Was die Anmerkung erfordert, dass es Regeln gibt, wenn man solche verlassenen Orte entdeckt und besucht.
Das Buch
Daniel Boberg, „Verlassene Orte Nordrhein-Westfalen. Die Faszination des Verfalls“, 120 hervorragende Aufnahmen aus besonderen Blickwinkeln mit einer ganz eigenen Bildsprache.
Erschienen im Verlag Sutton, 29,99 Euro.
Viele der im Buch vorgestellten Lost Places wurden auch in Videos dokumentiert. Zu entdecken unter www.pixel-granaten.de – Übersicht unter verlasszination.de
Nun, Daniel Boberg hat sich auf Industriebrachen und in verfallenen Gebäuden umgeschaut – schwerpunktmäßig im Ruhrgebiet, in Essen, in Wuppertal, aber auch in Duisburg.
„Lost Places gibt es überall auf der Welt“, sagt er. „Und die Faszination ist allerorts dieselbe. Meist informiere ich mich vor meinen Besuchen über die Vergangenheit und den Werdegang des Objekts. So hat man während des Besuchs die Möglichkeit, sich vorzustellen, wie es dort einmal gewesen sein könnte.“
In Duisburg also das Areal des alten Güterbahnhofs. Die Loveparade-Katastrophe hat sich hier ereignet, 2010. Viele Jahre zuvor schon standen die Gebäude leer – eine Art Liste des Scheiterns begleitet das Areal. Möbelhäuser sollten dort entstehen, das Einkaufszentrum „Multi Casa“, ein Outletcenter. Nichts von dem wurde verwirklicht.
Ein Blumenstrauß dörrt vor sich hin
„Man erkennt kaum noch, was hier einmal gewesen ist“, beschreibt Daniel Boberg seinen „Besuch“. Eine der großen Hallen ist komplett zugewachsen, ein „Tropenhaus“. „Die Decken, Wände und Treppen einiger Nebengebäude sind teilweise eingestürzt. Einrichtungsgegenstände sucht man vergebens.“
Und so wirken die Fotos noch intensiver, man spürt förmlich den Geruch verbrannter Balken in der Nase, den dunklen Mief von Moder und Dreck.
Lost Places – schön und hässlich zugleich
Man blättert durch den Foto-Band, entdeckt die verlassene gelbe Villa, in der in einer angeschimmelten Nische noch ein Blumenstrauß vor sich hindörrt – wie lange wohl schon? Wer hat die Blumen dort einst liebevoll drapiert? Was ist dann passiert?
So düster die vielen Fotos vergangenen Lebens sind, so spannend ist es, sich durchzugucken, zu blättern, zu staunen und sich bewusst zu machen: Nichts dauert ewig. Aber es ist auch immer etwas, das bleibt.