Matthias Maruhn schreibt in seiner Kolumne „Bankgeheimnis“ dieses Mal über drei journalistische Sündenfälle in seinem langen Berufsleben.

Die große Schwüle ist verdunstet und unser Sommer wieder so lau wie er früher einmal war. Ich sitze auf der Vorderbank im Wagen am offenen Fenster, recke den linken Ellbogen spitz in den Fahrtwind wie einst Manfred im Manta, drehe das Radio laut und Bob Dylan meldet sich. Lay Lady Lay. Na, wir haben uns ja lange nicht mehr gehört. Ich singe mit und alles wird leicht.

Bob fragt inzwischen nach der Zahl der Straßen, die ein Mann gehen muss und ich sage keine Ahnung, und springe mit einem Seemannsköpper in die Vergangenheit . Ich tauche tief. Wie viele Straßen? Beruflich? Na gut, da war ich 45 Jahre auf Achse. So viele Kilometer, ganz links und auch mal auf dem Standstreifen. Und was ist mit Umleitungen, Irrwegen, Sackgassen? Oder mit der Märchenstraße?

Da fallen mir tatsächlich drei Fahrten ein, bei denen ich vom geraden Weg der Wahrheit abgekommen bin. Aus verschiedenen Gründen. Aus Dummheit. Aus Rücksicht. Aus Übermut.

In Bosnien als Kriegsreporter an der Front unterwegs

Die Dummheit. Ich saß allein im Spätdienst. Ein Foto kam rein, der Text auf englisch. Man sah einen Mann hoch oben in einem Baum im Central Park. Er kam nicht mehr herunter. Erst mit Hilfe zweier „Cherrypickers“ konnte er später gerettet werden. Ich hab dann den Text in die NRZ gesetzt und lustig darüber schwadroniert, wo man wohl so schnell zwei klettergewandte Kirschpflücker herbekommen habe. Am Morgen das große Schämen. Mehrere Leser riefen an und erklärten mir, dass Cherrypicker in den USA der Spitzname von stinknormalen Hubwagen ist. Peinlich.

Die Rücksicht. Ich war mit anderen Männern 1994 im Norden Bosniens an der Front unterwegs, um Hilfsgüter zu liefern. Wir gerieten in ein Maschinengewehr-Feuer, die Kugeln schlugen eine Handbreit über den Köpfen ein, wir warfen uns in den Graben, niemand wurde verletzt.

Natürlich hätte ich über den Angriff auf die Helfer berichten müssen, tat es aber nicht, weil mich Holger, einer der Männer, dringlich darum bat. Nie wieder, so sagte er, dürfe er einen Transport begleiten, wenn seine Frau von dem Angriff erführe. Wir diskutierten kurz und kamen alle Mann überein, die Ereignisse zu verschweigen. Holger ist vor Jahren gestorben, das Versprechen erloschen. Ob es aus journalistischer Sicht richtig war? Ich bin unsicher.

Früher gab’s in der Redaktion noch viel Handarbeit

Der Übermut. Früher, ganz früher, gab es in der Redaktion noch viel Handarbeit. Den Hägar-Cartoon aussuchen, TV-Programm abtippen, auch das Horoskop, das uns per Fax von einer Agentur geliefert wurde. Und da hat mich an einem Tag der Teufel geritten. Ich war schon beim Löwen angekommen. Den ersten Satz hatte ich geschrieben. Irgendwas mit Gesundheit.

Und dann übernahm der Schelm die Tastatur. „Laden Sie Ihren Partner doch mal wieder zum Essen ein?“ Einmal in Schwung legte ich nach: „Oder überraschen Sie ihn mit einer Nackenmassage.“ So ist es dann auch in der NRZ erschienen.

Ein Geständnis. Ich bin nicht stolz darauf. Schlimmer. Es hat nichts genutzt. Meine Frau, Löwin, hat es gelesen und nur kurz gemurmelt: Im Horoskop steht nur noch Müll.

Ich tauche auf, Bob singt gerade. I shall be released. Ich werde freigelassen. Glück gehabt.