An Rhein und Ruhr. Warum machen die das? Drei Politiker aus Emmerich, Essen und Moers erzählen, warum die den anstrengenden Weg in die Kommunalpolitik gehen.
In Sitzungssälen hocken, sich durch Berge von Verwaltungsvorlagen graben und oft genug miterleben, dass der politische Gegner die eigenen Vorschläge torpediert und die Menschen einen für alles verantwortlich machen, was „die da oben“ so verbocken. Warum machen die das? Die NRZ hat nachgefragt.
Wie kamen Sie zur Politik?
Gerhard Gertsen (62), CDU-Ratsherr in Emmerich, verheiratet, eine Tochter (18), freigestellter Betriebsrat bei einem Maschinenbauer:
Daran ist meine Kinderstube schuld, ich habe früh in der Pfarrgemeinde Jugendarbeit gemacht, später bin ich in die Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung gegangen. Engagement gehört für mich immer dazu. Ich übe den Dreiklang, bin seit 2007 ehrenamtliches Vorstandsmitglied der IG Metall, bin in der KAB und in der CDU. Das ist nicht immer einfach, aber es hilft, andere Sichtweisen einzunehmen. Ich bin seit 21 Jahren im Rat, davon elf Jahre als Fraktionsvorsitzender. Es gibt auch am Niederrhein keine klaren Mehrheiten mehr, da muss man mit dem politischen Gegner verhandeln. Es gibt aber auch eine Rückbindung an die Partei und klare Positionen. Anträge der AfD werde ich niemals unterstützen.
Julia Kahle-Hausmann (48), SPD-Ratsfrau in Essen, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, Diplom-Kauffrau bei einer Kraftwerksschule: Ich habe in eine politische Familie eingeheiratet. Der konkrete Anlass, war, dass in unserer verkehrsberuhigten Straße immer gerast wird – und deswegen wollte ich da Bodenwellen haben. Da habe ich Blut geleckt und mich auch an anderen Themen beteiligt. Ich finde es wichtig, dass viele Stimmen Gehör finden – und ich wollte eine von den Stimmen sein. Seit 2009 bin ich im Essener Stadtrat, vorher, seit 2004 war ich in der Bezirksvertretung.
Gudrun Tersteegen, Ratsfrau in Moers, (57), verheiratet, eine erwachsene Tochter, seit 15 Jahren selbstständige Werbetexterin:
Ich war Gründungsmitglied der Grünen in Dortmund, Anfang der 80er in einem alten Kino, damals in den großen Zeiten der Friedens- und Frauenbewegung waren viele Mitschülerinnen politisiert. Vor rund zwölf Jahren bin ich nach Moers-Kapellen gezogen. Da waren wir mit der Auskiesungsthematik konfrontiert. Seit knapp zehn Jahren bin ich hier wieder bei den Grünen. Wir sind im Rat nur ein kleines Team von fünf Leuten, da ist man schnell in vielen Ausschüssen.
Politik – Lust oder Frust?
Julia Kahle-Hausmann: Wenn ich mit Bürgern rede, und man kann für sie was erreichen – das finde ich gut. Von dem, was ich kann und habe, will ich ein bisschen was an die Gesellschaft zurückgeben. Ich freue mich, wenn es gelingt, einige Rädchen ein paar Millimeter in die richtige Richtung zu drehen. Der Weg zur grünen Hauptstadt in Essen war etwas, das ich mitgestalten konnte. Und wir haben erreicht, dass das Stadtgrün insekten- und vogelfreundlicher wird. Im Moment kämpfe ich für eine Hundewiese das ist ein kleines, aber schwieriges Projekt. Frust empfinde ich, wenn ich angefeindet werde, nur weil ich für die SPD ein Mandat habe.
Gudrun Tersteegen: Meine Motivation ist mein Wissenshunger. In der Kommunalpolitik kann und muss ich mich in immer neue Projekte reinfuchsen. Ich merke, dass der direkte Kontakt zu 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger positiv ist, vor allem wenn sie merken, uns interessieren ihre Themen und man kann rückmelden: Du, da entsteht jetzt die neue Bushaltestelle. Wenn man dranbleibt, kann man hier und da Löcher in die dicken Bretter bohren. Frust gibt es, weil Kommunen immer mehr leisten müssen, aber die finanzielle Ausstattung fehlt.
Gerhard Gertsen: Frust habe ich nicht. Sonst würde ich nicht antreten. Die etablierten Parteien tun sich mit der Unterstützung durch Bund und Land einfacher, wir haben im Kreis je einen Bundestagsabgeordneten von SPD und CDU und sind auch im Land gut vertreten. Als Fraktionsvorsitzender bekam ich mal eine Einladung zur Polizei, weil wir auf einer Liste des NSU stand. Da hieß es, wir sollten aufpassen, ob wir was Verdächtiges bemerkt haben. Da macht man sich so seine Gedanken. Vor Ort habe ich nie eine Bedrohung erlebt.
Wie hoch ist der Aufwand?
Gudrun Tersteegen: In den Sitzungsperioden – das sind vier pro Jahr – gibt es pro Woche bis zu vier Fachausschusssitzungen. Das sind dann so ca 25 bis 30 Stunden pro Woche. Die Unterlagen für die Ausschüsse haben ein paar hundert Seiten und oft braucht man noch Hintergrundinfos, die man sich in Gesprächen, in Fachliteratur oder im Internet sucht. Denn mit der ehrenamtlichen Aufgabe ist ja amtliche, justiziable Verantwortung verbunden. Da dürfen keine Fehler gemacht werden.
Gerhard Gertsen: Wie viele Stunden das pro Woche sind, habe ich nicht zusammengerechnet. Ich bin ja noch für Gewerkschaft und KAB unterwegs. Ich muss immer schmunzeln, wenn jemand sagt: Diese Woche bin ich zwei Abende unterwegs. Ich bin froh, wenn ich zwei Abende zuhause bin. Netflix und Sky brauche ich nicht.
Julia Kahle-Hausmann: In den Sitzungswochen sind das schon mal 20 Stunden pro Woche. Manchmal bin ich von morgens bis nachmittags in Sachen Politik unterwegs. Vor den Ratssitzungen haben wir noch Fraktionssitzung, das dauert dann schon mal von 14 Uhr an bis nach Mitternacht. Das fordert einem einiges ab. Da muss man halt versuchen, am Folgeabend früh schlafen zu gehen.
Und was gibt es dafür an Geld?
Was verdient man als Kommunalpolitiker so? Vor allem Träger von Einzelmandaten entdecken oft, dass es sich als Fraktion besser leben lässt. Denn Fraktionsvorsitzende bekommen doppelte Aufwandsentschädigung. Deren Höhe richtet sich nach der Größe der Kommune und ist in einer Landesverordnung festgelegt. Die meisten zahlen einen Mix aus Pauschale und dem Sitzungsgeld, das in jedem Fall 20,30 Euro beträgt, abgerechnet werden können zwei Sitzungen pro Tag.
Gerhard Gertsen bekommt in der 30.000-Einwohner-Stadt Emmerich 197,70 Euro pro Monat (bei Städten unter 20.000 Einwohner wären es 117,90 Euro). „Für das Geld muss und kann man das nicht machen, das ist maximal nettes Beiwerk, aber nicht Motivation, Politik zu machen. Rund ein Drittel der Einkünfte geht laut Satzung an die Kreispartei, damit werden u.a. Weiterbildungen finanziert. Ich war mal in einem Aufsichtsrat der Emmericher Gesellschaft für kommunale Dienstleistungen.“
Julia Kahle-Hausmann bekommt als Ratsmitglied in Essen 492,90 Euro plus Sitzungsgelder. „Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende waren das alles in allem bis zu 1400 bis 1700 Euro im Monat – vor Steuern. Als ich selbstständig war, ging davon noch die kompletten Beiträge für die Sozialversicherungen ab. Etwas mehr als ein Drittel der Einkünfte geht nach Steuern in die Parteikasse – dafür gibt dann wieder eine Spendenquittung für die Steuer.“
Gudrun Tersteegen bekommt in Moers 295,30 Euro (in Städten zwischen 150.000 und 450.000 Einwohnern sowie für Kreistagsmitglieder in Kleve und Wesel gibt es 395,30 Euro – immer plus Sitzungsgeld) „Wenn es viele Sitzungen gibt, bleiben netto 300 bis 400 Euro. Davon führe ich zwischen 30 und 50 Prozent an die Partei ab – noch 30 für die Fraktionskasse. Ich bin nur in meinem Verwaltungsrat, was ich da bekomme, muss ich versteuern, da bleiben im Jahr etwa 2000 Euro.“