Essen. Unser Autor hat an der Elbe Urlaub gemacht und nach Monaten seine Mutter wieder besucht. Und dabei eine Überraschung erlebt.
Die Bank im Pool. Pure Notwehr. Nur so lässt es sich ertragen. Wieder so ein Sommer, der in der Sahara geboren wurde. Nur hin und wieder twittert ein Gewitter etwas Kühle in die Welt, dann übernimmt schnell wieder der große Stahlkocher hoch oben das Zepter, die Hitze lähmt die Lider und die Glieder und stellt auch manchem Gedankengang hinterhältig ein Beinchen. Es ist nicht leicht in diesen Tagen, immer einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber man muss es versuchen.
Ich habe leicht reden und einen Kurzurlaub gerade hinter mir. Am Elbufer, östlich von Hamburg, haben wir gecampt, einen Geburtstag gefeiert, im Fluss gebadet, im Sand gesessen und den Elbkähnen hinterhergeguckt. Schön. Zweimal haben wir den Urlaub einfach um zwei Tage verlängert. So schmeckt die Freiheit.
Essen beim Inder in der Nachbarstadt
Von der Freiheit ist dann auch am Abend die Rede. Wir sind in die Nachbarstadt gefahren, zum Inder, wir lieben beide indisches Essen. Wir haben dann mit dem Wirt und dem jungen Kellner zunächst über den Schärfegrad von Linsengerichten gesprochen, um dann doch, wie das oft so geht, auf die Biografien der beiden Herren zu kommen.
Der Wirt war schon in den 70er Jahren aus politischen und religiösen Gründen aus Indien geflüchtet, der Kellner vor vier Jahren aus dem Iran. Und der Wirt sagte dann zwei bemerkenswerte Sätze: „Schau dir die ganze Welt an. Nur hier, in der Mitte Europas, kann ein Mensch wirklich frei leben.“ Und der junge Iraner nickt und sagt, was alle jungen Leute derzeit so gerne sagen: „Genau.“ Es ist manchmal beruhigend, über die Freiheit zu reden.
Zurück an die Ruhr, ein anderes Thema. Meine Mutter habe ich endlich wieder besucht. Nach Monaten. Sie lebt in einem Seniorenheim und nicht mehr so recht in dieser Welt, am Samstag wird sie 94.
An der Pforte wird die Temperatur gemessen
Lange war der Besuch verboten, wegen Corona, klar. Jetzt wird zunächst an der Pforte an meiner Stirn die Körpertemperatur gemessen, ich muss den Schmuck ablegen, Ring und Armband, die Hände nochmals desinfizieren, die stete Maske ist selbstverständlich.
Auf ihrem Zimmer wartet meine Mutter im Ohrensessel, sie lächelt mich an und sagt dann: „Haben Sie denn auch gut geschlafen, Schwester?“ Meine Mutter erkennt mich nicht mehr. Zum ersten Mal. Aber klar, denke ich, die Maske. Und wegen der langen Haare hält sie mich für eine Pflegerin.
Das ist schon amüsant. Immer diese Haare. Was haben wir uns vor 50 Jahren deshalb gefetzt. Ich kannte bei dem Thema keinen Kompromiss, ich ließ mich zuwuchern wie der Wald im Märchen von Dornröschen. Sie hasste diesen „Gammel-Look“ und hoffte stets auf eine Soft-Version: „Trag die Haare doch lang und gepflegt wie dieser schwedische Tennisspieler, dieser Björn Borg.“ Niemals. Meine Mutter erhebt sich mit ihrer immer noch eisernen Disziplin aus dem Sessel, greift sich den Rollator. „So Schwester, ich würde jetzt gerne frühstücken gehen.“ „Selbstverständlich, Frau Maruhn.“ Meine Mutter rollt los. Sie lächelt milde, zufrieden. Und so ist mein Schmerz nichtig und klein.