Am Niederrhein. Alle zehntausend Meter ein Stein – so hat man einst den Rhein vermessen. Heute noch kann man Myriametersteine rechts und links des Rheins sehen.

Hochwasserschutz und Förderung der Schifffahrt waren seit alters her die Herausforderungen für die am Rhein liegenden Territorien. Bereits im 17. und 18. Jahrhundert trafen die Landesherren am Niederrhein daher Vorkehrungen, um die Ufer des Rheins vor dem aufprallenden Wasser in den zahlreichen Flusswindungen besser zu schützen. Mit Dutzenden von Durchstichen ließen sie den Flusslauf begradigen und beschleunigten so die Fließgeschwindigkeit.

Treidelpfade

Infotafel zum Myriameterstein mit der Nennung LXII am Rhein bei Duisburg-Baerl.
Infotafel zum Myriameterstein mit der Nennung LXII am Rhein bei Duisburg-Baerl. © FUNKE Foto Services | Stephan Eickershoff

Allerdings musste Sorge dafür getragen werden, dass die Treidelpfade zum Schleppen der Lastkähne stromaufwärts erhalten blieben und nicht allzu weit vom Ufer entfernt waren. Nach den Erfahrungen des Niederrheins wurde ab den 1830er Jahren auch der Verlauf des Oberrheins deutlich begradigt, so dass nach Abschluss sämtlicher Arbeiten der neue Rhein ca. 80 km kürzer geworden war.

Der Rhein wurde neu vermessen

Auf Verlangen der „Central-Commission für die Rhein-Schiffahrt“, die 1815 auf dem Wiener Kongress gegründet worden war und als älteste internationale Organisation (Sitz Straßburg) gilt, sollte ab 1864 der Rhein neu vermessen werden.

Seit den 1840er Jahren hatte die Dampfschifffahrt zu einer rapiden Ausdehnung des grenzüberschreitenden Transports auf dem Rhein geführt.

Um die auf dem Fluss zurückgelegten Strecken für den Zoll exakt bestimmen und bei Havarien den Unfallort genau lokalisieren zu können, ordnete die Kommission die Gesamtvermessung des Rheins an.

Der gesamte Rhein in den Augen der Kommission erstreckte sich von Basel bis nach Rotterdam. Die Einbeziehung des Hochrheins ab Konstanz und die Fortführung bis zur Mündung bei Hoek van Holland mit einer heutigen Gesamtlänge von 1032,8 km war damals noch nicht vorgesehen.

Die Neuberechnung des Flusses sollte auch sichtbar gemacht werden und den Schiffern zur Orientierung dienen, so dass in einem Abstand von je zehntausend Metern Markierungen gesetzt wurden.

Unterer Teil des Myriametersteines  in Wesel-Büderich, Strom- und Talseite.
Unterer Teil des Myriametersteines in Wesel-Büderich, Strom- und Talseite. © Thomas Ohl, LVR Niederrheinmuseum Wesel

Diese Myriametersteine (Myria, griech. = 10.000) wurden einheitlich gestaltet und auf beiden Ufern des Rheins aufgestellt. In der Zeit bis 1867 wurde der Rhein von der mittleren Brücke in Basel (heute Rheinkilometer 166,6) bis zum Rotterdamer Hafen vermessen und anschließend mit den neuen Wegmarken aus Ibbenbürener Sandstein gekennzeichnet.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich Längenangaben eher an Körpermaßen (z. B. Fuß, Elle) orientiert

Für die damaligen Zeitgenossen und –genossinnen vermutlich geradezu revolutionär waren die Eintragungen der Maßangaben im metrischen System! Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich Längenangaben eher an Körpermaßen (z. B. Fuß, Elle) orientiert und bestanden in einer Vielzahl unterschiedlichster Definitionen in den einzelnen Ländern und Territorialstaaten nebeneinander her.

Die Vereinheitlichung der Maßangaben mit dem Meter als Basiseinheit wurde erst im Deutschen Kaiserreich zum 1. Januar 1872 eingeführt, so dass die Maßeinheiten auf den Myriametersteinen in gewisser Weise ihrer Zeit voraus waren.

Die Steine haben einen quadratischen Grundriss mit einer Kantenlänge von ca. 50 cm bei einer Gesamthöhe von etwa 120 cm und einer vierseitigen pyramidalen Abdeckung. Auf den vier Seiten der Steine sind Markierungen zur eindeutigen Bestimmung des Standorts eingraviert.

Stein Nr. LXIV (= 640 km bis Basel)

Auf der Landseite befindet sich die Eintragung der Gesamtlänge (824,450 km) – allerdings unterteilt in die beiden Teilstrecken bis Basel und bis Rotterdam! Auf der Bergseite ist am Niederrhein die Wegstrecke bis zur damaligen Grenze zwischen Hessen und Preußen bei Bingen angegeben, auf der Talseite befindet sich die entsprechende Entfernungsangabe bis zur Grenze zwischen Preußen und Holland bei Emmerich. Auf der Stromseite ist die Nummer des Steins in römischen Ziffern angegeben mit einer Höhenmarkierung über dem entsprechenden Referenzwert.

Unser Autor, Thomas Ohl, ist Wissenschaftlicher Referent im LVR-Niederrheinmuseum in Wesel.
Unser Autor, Thomas Ohl, ist Wissenschaftlicher Referent im LVR-Niederrheinmuseum in Wesel. © FUNKE FotoServices | Norbert Prümen

In Wesel-Büderich ist das der Stein Nr. LXIV (= 640 km bis Basel), 22,871 Meter über dem Amsterdamer Pegel. Noch heute ist der Amsterdamer Pegel die Bezugsgröße unserer Bezeichnung Normalhöhennull (NHN), und auch das heutige Weseler Maß (24 Meter über NHN) liegt nicht weit von der historischen Höhe entfernt.

Von den ursprünglichen Myriametersteinen sind heute noch etwa 70 am gesamten deutschen Rheinverlauf erhalten.

Einheitliches Maßsystem

Die Erhaltungszustände sind sehr unterschiedlich. Bei einigen Steinen sind die Markierungen kaum noch leserlich, andere sind restauriert oder sogar rekonstruiert. Es gibt am Niederrhein noch eine Anzahl von Original-Myriametersteinen, die am ursprünglichen Standort verblieben sind (z. B. Duisburg-Baerl). Einige Steine wurden von ihrem Originalstandort entfernt und in restaurierter Form an anderer Stelle neu positioniert (z. B. Büderich).

Diese Steine stehen dann natürlich nicht mehr im richtigen Verhältnis zur Originalmessung. Viele Steine sind als Kleindenkmäler in die örtlichen Denkmallisten eingetragen und bleiben uns so als Zeugnisse für die erste internationale Rheinvermessung mit einem einheitlichen Maßsystem erhalten.