Kleve/Duisburg/Essen/Beirut. Viele Duisburger und Essener haben keinen Kontakt zu Angehörigen in Beirut. Erste Helfer aus der Region sind nach Beirut geflogen..

Muhammed Nemer war gerade am Strand, als sich die verheerende Explosion im Hafen von Beirut ereignete. "Es fühlte sich an wie ein Erdbeben", erzählt der. 25-jährige Essener. "Mein Kollege und ich, wir haben gedacht, der Flughafen wird bombardiert." Sie sprangen ins Auto, zunächst wollten sie weg von der Stadt - aus Sorge vor weiteren Angriffen.

"Dann haben wir gehört: Es ist ein Unglück." Sie fuhren in Richtung des Explosionsortes. "Da lagen überall Leichen und viele Menschen waren blutüberströmt." Sieben Verletzte sammelten sie ein in ihren zwei Autos und machten sich auf die Suche nach einer Klinik. "Viele Kliniken in der Stadt sind total zerstört, oder sie sind völlig überlaufen und überfordert." Bis zu 40 Kilometer weit in die Berge mussten sie fahren, um Mediziner zu finden, die den Verletzten helfen konnten.

"Bin in Duisburg aufgewachsen, habe nie Katastrophen erlebt"

"Ich bin in Duisburg geboren und aufgewachsen, habe nie Krieg oder Katastrophen erlebt", sagt Nemer. "Gestern stand ich noch total unter Schock." Eigentlich war er vor gut zwei Wochen nach Beirut geflogen, um Urlaub zu machen und Familienangehörige zu treffen: Unter anderem lebt seine Großmutter nur rund zwei Kilometer vom Explosionsort entfernt. "Weil es bis 18 Uhr Strom gibt und die Klimaanlage lief, hatte sie die Fenster geschlossen. Die sind jetzt alle kaputt", erzählt er. Sonst ist er heilfroh, dass ihm und seinen Freunden und Angehörigen nicht viel passiert ist: "Nur ein paar Schrammen."

Damit geht es Nemer besser als vielen anderen libanesisch-stämmigen Menschen in unserer Region. Viele bangen um ihre Freunde und Verwandte in Beirut. Nach der verheerenden Explosion schweben viele noch immer in großer Ungewissheit. Melih Keser, grünes Ratsmitglied aus Duisburg, führt derzeit viele Gespräche mit Menschen mit libanesischen Wurzeln. "Manche haben immer noch nichts von ihren Freunden und Verwandten gehört und fürchten, dass sie womöglich noch unter den Trümmern sind", berichtet er.

Der Verein Laissez-passer, der sich in Essen und Duisburg für die Belange libanesisch-stämmiger Menschen einsetzt, zeigt sich "zutiefst erschüttert über die verheerenden Explosionen in Beirut mit zahlreichen Opfern. Unser tiefstes Mitgefühl gilt den Angehörigen der Verstorbenen und den zahlreichen Verletzten."

Nur Sachschaden bedeutet oft: Kein Dach mehr über dem Kopf

Weiter heißt es von Seiten des Vereins: "Die Menschen im Libanon wurden durch die Corona-Pandemie und die schlimmste Wirtschaftskrise in der Geschichte des Landes sehr hart getroffen. Es fehlt ihnen an grundlegenden Dingen wie Strom und Wasser." Eine Einschätzung, die auch Keser teilt: "Viele aus der Gemeinschaft haben zunächst gesagt: Zum Glück haben wir nur Sachschaden. Aber das heißt oft eben auch: Wir sind jetzt obdachlos oder haben unsere Arbeitsstelle verloren."

Der Verein Laissez-passer ruft zu Spenden an das Rote Kreuz oder den Roten Halbmond im Libanon auf und appelliert "an alle libanesisch-stämmigen Mitbürger*innen, wegen der anhaltenden Corona-Pandemie keine Demonstrationen oder Kundgebungen zu organisieren oder an ihnen teilzunehmen."

Rettungsorganisation I.S.A.R. aus Duisburg sondiert Lage vor Ort

Unterdessen kommt auch aus der Region Hilfe für die Betroffenen in Beirut. Die Duisburger Hilfsorganisation I.S.A.R. Germany entsandte am Mittwochabend ein Expertenteam in die libanesische Hauptstadt. Michael Lesmeister, I.S.A.R-Geschäftsführer aus Kleve, leitet den Einsatz. Zum Expertenteam gehören ein Arzt aus Essen, ein Experte für Gefahrstoffe und zwei Logistiker. Sie unterstützen im Rahmen einer Einsatzkooperation das Team des Technisches Hilfswerk (THW).

Außerdem fliegt ein Erkundungsteam der Hilfsorganisationen I.S.A.R (Internationale Suche und Rettung). und BRH Bundesverband Rettungshunde e.V. in die libanesische Hauptstadt, um den Einsatz einer medizinischen Notfall-Einheit zu prüfen und gegebenenfalls vorzubereiten.

Verschüttete lokalisieren, Schäden beurteilen und die Botschaft unterstützen

Insgesamt werden sieben Experten aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Berlin in das Katastrophengebiet entsandt. Das Technische Hilfswerk (THW) entsandte ein Team der Schnellen-Einsatz-Einheit Bergung Ausland (SEEBA) sowie ein Botschaftsunterstützungsteam am Mittwoch. „Vor Ort werden unsere Einsatzkräfte unter anderem die Lage erkunden und beurteilen, Verschüttete lokalisieren und retten, Gebäudeschäden beurteilen und die Botschaft unterstützen“, sagte THW-Vizepräsidentin Sabine Lackner.

Mit Verbandsmaterial, medizinischer Ausrüstung, Schmerzmitteln, Antibiotika und anderen Medikamenten stattet die Gesundheitsorganisation "Action medeor" aus Tönisvorst das Deutsche Rote Kreuz und die Helfer von Premiere Urgence aus. Eine erste Hilfslieferung hat heute das Lager von action medeor verlassen, weitere Lieferungen werden in den nächsten Tagen folgen.

Die Hilfslieferung vom Niederrhein wird unter anderem für die medizinische Versorgung der vielen Verletzten gebraucht, die nach der verheerenden Explosion in Beirut dringend auf internationale Unterstützung angewiesen sind. Die Gesundheitsorganisation hat ihren verschiedenen libanesischen Partnern Medikamente und medizinische Ausrüstung im Wert von 30.000 Euro angeboten.

„Wir sondieren gerade, welche Hilfe konkret benötigt wird und auf welchem Weg wir sie am besten in das Katastrophengebiet bringen können“, erläutert Sid Peruvemba, Vorstandssprecher von action medeor. „Wir wollen mit unserer Spende dazu beitragen, dass es nicht zu Engpässen kommt“, so der Vorstandssprecher, „und sehen das auch als ein Zeichen unserer Solidarität mit den Opfern der Katastrophe und ihren Hinterbliebenen.“

"Wir haben schon die ersten Helfer hier gesehen vom THW", erzählt auch Muhammed Nemer. "Das macht einen dann schon ein bisschen stolz, dass man aus Deutschland kommt und das Land hier so schnell hilft."