Xanten. Astrid Gerdes betreibt einen Archehof mit gefährdeten Nutztierrassen in Xanten. Das Konzept würdigt, dass Tiere mehr sind als Fleisch.

Einmal hat sich Astrid Gerdes Sorgen um ihren Praktikanten gemacht, um den Vegetarier, der bei ihr auf dem Gamerschlaghof lernte, worauf es ankommt in der Landwirtschaft – vor allem am Ende. „Ich hatte Angst, der rennt mir schreiend über die B 57 davon. Der war schweigend dabei, im Schlachthof, auch beim Ausblutenlassen und beim Borsten abschrubben und zerlegen.“ Am Abend, wieder auf dem Hof, sprach der Vegetarier wieder – und forderte „Jetzt will ich aber auch was von dem Tier essen!“

Warzenente, ein Hahn und eine Pute: Zahlreiche Geflügelrassen gehören mit zum Archehof Gamerschlagshof bei Xanten, wo es gleich zwei dieser Höfe gibt.
Warzenente, ein Hahn und eine Pute: Zahlreiche Geflügelrassen gehören mit zum Archehof Gamerschlagshof bei Xanten, wo es gleich zwei dieser Höfe gibt. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Astrid Gerdes mag solche Anekdoten mit Widerhaken. Vermutlich, weil sie klarmachen, dass die Dinge nicht so eindeutig sind. „Wir sind Archehof, aber kein Biohof“, sagt sie beispielsweise. Weil sie zumindest von einem Teil der Bioauflagen nichts hält. „Das alte Brot, dass ich meinen Schweinen füttere, kommt von einer Bäckerei hier in der Nähe. Ich müsste stattdessen Brotabfälle einer Biobäckerei aus Bochum nehmen.“ Doch Nähe geht bei ihr vor Zertifikaten. Lieber das konventionelle Heu vom Nachbarn als Bioware von Irgendwo.

Seit 2010 lebt Astrid Gerdes auf dem sieben Jahrhunderte alten Gutshof, der sich zwischen kleinen Wäldern zwischen Xanten und Birten in den Weiten des Niederrheins versteckt. Seit 2013 hat die gelernte Betriebswirtin und Hotelbetreiberin hier einen Archehof aufgebaut und hält Nutztiere, für die in der industrialisierten Landwirtschaft kein Platz mehr ist. Die größten und mittlerweile prominentesten sind die Bunten Bentheimer Schweine.

Am liebsten würde sie die Schweine in den Wald jagen

Die Eber liegen vorn beim Hoftor faul in der Matsche, die Ferkel und Sauen sind nebenan im Stall. „Am liebsten würde ich sie ja in einen Hütewald jagen“, sagt Astrid Gerdes. Indes: Die Bedrohung durch die Schweinepest verbieten das. Letztens hat sich einer ihrer mittlerweile über 100 Praktikanten beschwert: Eine der Sauen hat Ferkel geworfen – ohne sich vorher, wie vorgeschrieben in ein eigenes Gehege zu begeben. Und selbstverständlich ohne Kastenstand, der in der konventionellen Landwirtschaft die Sau einkerkert und bewegungsunfähig macht, angeblich, damit sie die Ferkel nicht erdrückt.

„Wenn Platz genug ist, können die Ferkel immer ausweichen“, sagt Agnes Gerdes. In den ganzen sieben Jahren sei noch nicht ein Ferkel von seiner Mutter erdrückt worden. „Aber so ist es in der Landwirtschaft halt oft“, bedauert sie. „Wir brechen lieber den Ebern die Stoßzähne raus, als den Dichtestress zu verringern durch größere Gehege.“

Die alten Rassen, nicht angepasst an enge Ställe und maschinengleiche Mastbetriebe - sie brauchen mehr Platz zur Entfaltung. Sie weiß aber auch: „So wie ich wirtschafte, kann man kein ganzes Land ernähren.“ Aber immerhin ernährt der Hof sie selbst und einen weiteren Angestellten und meist einen Praktikanten.

Das liegt auch an den zahlreichen Geflügelrassen. Bei ihr bollern die Bronzeputer und lassen den Boden vibrieren wie die Bässe in der Disko. Bronzeputer heißen sie, weil das Gefieder so bräunlich schimmert, wenn die Sonne scheint. Und anderes als die üblichen Geflügel kommen ihre Tiere tatsächlich in den Genuß von Sonne und niederrheinischem Wind unter den Flügeln.

Zu den Putern kommt der Tierarzt vor Weihnachten - für seinen Braten

Bunte Bentheimer Schweine - warum die so heißen, ist schnell klar. Weil die agilen Tiere für den heutigen Fleischgeschmack zu fettreich sind, waren sie vom Aussterben bedroht.
Bunte Bentheimer Schweine - warum die so heißen, ist schnell klar. Weil die agilen Tiere für den heutigen Fleischgeschmack zu fettreich sind, waren sie vom Aussterben bedroht. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

„Zu meinen Putern kommt der Tierarzt nur kurz vor Weihnachten, um sich seinen Braten auszusuchen, weil er weiß, dass die Tiere frei von Antibiotika sind“, sagt Gerdes. Und dass Tiere, die flattern können, manchmal sogar hinauf aufs Stalldach, fitter, muskulöser und am Ende schmackhafter sind, gehört halt auch zur Geschichte. Die Puter teilen sich das Areal mit Warzenenten – die ein paar namengebende Pocken auf dem Schnabel haben . „Im Laden heißen die Barbarie-Enten, das verkauft sich besser.“

Ansonsten braucht Astrid Gerdes für den Verkauf ihrer Tiere nicht groß Werbung machen. Als sie die ersten Rinder ihrer Scottish-Highlands nebenan in Kalkar hatte schlachten lassen und das Fleisch bei Pascal - so nennen die Xantener einen ihrer zwei Edeka-Läden (der andere heißt Benni) - in der Vitrine lag, war nach wenigen Tagen alles weg. „Eigentlich hätten die Tiere zum Laden laufen können“, sagt Gerdes. Immerhin: Der Schlachter war auch fast um die Ecke, in Kalkar.

Doch zur Wahrheit über unsere Fleischkonsum gehört auch: Skandalschlachter Tönnies war auch einer der größten Bioschlachter im Land. Mögen die Tiere auch anders gelebt haben - nur wenige Ökoverbände können auch bei Transport und Schlachtung eigene, artgerechtere Maßstäbe setzen. „Über Jahrzehnte haben die EU-Vorschriften dafür gesorgt, dass kleinere Betriebe und Metzgereien nicht mehr konkurrenzfähig sein können und heute haben wir die langen, tierquälerischen Transportwege“, kritisiert Astrid Gerdes.

Am liebsten würde sie die Rinder auf der Wiese erschießen

Für die Rinder war der Weg und den Stress für die Tiere kurz halten. Am liebsten würde die Frau mit Jagdschein ihren Tieren den Transport komplett ersparen – und auf der eigenen Wiese des 30-Hektar-Betriebes ihre Rinder schießen. „Das ist für das Tier am unstressigsten.“ Doch derzeit ist eine Schlachtung im Wild-West-Stil nicht erlaubt. Doch die 58-Jährige ist davon überzeugt: Wer seine Tiere liebt, aber Fleisch essen möchte, der sollte sie dort töten, wo sie auch gelebt haben. Und noch etwas gehört zu ihrer Überzeugung: „Wenn ich schon ein Tier töte, dann sollte ich es auch ganz verwenden.“


Und noch etwas gehört zu ihrer Überzeugung: „Wenn ich schon ein Tier töte, dann sollte ich es auch ganz verwenden.“ Wer samstags in ihrem Hofladen einkauft, bekommt (falls er Glück hat und etwas da ist) vom Bunten Bentheimer oder von den (Nicht-Arche)-Rindern Fünf beziehungsweise Zehn-Kilo-Gebinde. „Weil Tiere Lebewesen sind, die nicht nur aus Filet und Schinken bestehen“, sagt Astrid Gerdes. Und vielleicht sogar aus mehr als nur Knochen, Fleisch und Blut: Einmal, sagt sie, habe sie den Fehler gemacht, sich beim Schlachter noch einmal umzudrehen – gerade in diesem Augenblick schaute ihr Bentheimer Schwein zurück. „Nicht schön“, sagt sie.