An Rhein und Ruhr. Bundesweit sind 50.000 Krebsoperationen wegen Corona aufgeschoben worden - auch am Niederrhein und im Ruhrgebiet berichten die Kliniken davon.

Verschobene Operationen, ausgefallene Therapietermine, verunsicherte Patienten: Vor allem in Krankenhäusern waren die Auswirkungen des Coronavirus zu Beginn der Pandemie spürbar. Auch Krebsbehandlungen wurden nach Angaben der Deutschen Krebshilfe reihenweise verschoben. Rund 50.000 Operationen seien bis Mitte Juni bundesweit ausgefallen – darunter womöglich auch medizinisch nicht vertretbare Fälle, befürchtet die Stiftung. Doch wie ist die Situation am Niederrhein und im Ruhrgebiet? Wir haben uns bei Krebszentren in der Region umgehört.

„Ja, viele Kliniken haben OPs zum Teil in dramatischem Ausmaß verschoben“, sagt Dr. Kato Kambartel, Leiter des Onkologischen Zentrums im Krankenhaus Bethanien in Moers. „Wir werden wahrscheinlich am Ende des Jahres mehr inoperable Tumorerkrankungen haben“, so Kambartel. In seinem eigenen Lungenzentrum seien zwar keine Krebsbehandlungen ausgefallen, doch auch dort gebe es „Engpässe“ in der Nachsorge.

Expertin erklärt: „Krebs ist nicht immer ein Notfall“

„Nach einer Umfrage unter deutschen Urologen, die aktuell zur Publikation eingereicht ist, war das Verhalten in den einzelnen Kliniken sehr unterschiedlich“, sagt Prof. Boris Hadaschik, Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie der Universitätsmedizin Essen. „Es gab Häuser, wie das unsere, die rigoros verschoben haben und andere, die fast keine Patienten verschoben haben.“ In Bezug auf Prostatakrebs seien Verzögerungen aber in der Regel unbedenklich. „Die Vorgabe, wie und was urologisch verschoben wurde, ist in enger Abstimmung mit der Europäischen und Deutschen Gesellschaft für Urologie erfolgt“, so Hadaschik.

„Krebs ist nicht immer ein Notfall“, bestätigt Dr. Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes am Deutschen Krebsforschungszentrum. „Die Verläufe und Therapieverfahren unterscheiden sich je nach Tumorart.“ Auch Dinah Oelschläger, Pressesprecherin der Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen, verweist auf die unterschiedlichen Krankheitsverläufe: „Ob bei den angenommenen 50.000 verschobenen Operationen auch onkologisch nicht vertretbare Verzögerungen vorkamen, lässt sich mit der vorgelegten Studie nicht klären.“

Keine bedrohlichen Versorgungsengpässe – aber Einzelfälle

In der Helios St. Elisabeth Klinik in Oberhausen werden laut Pressesprecherin Christina Fuhrmann weiterhin alle Maßnahmen und Eingriffe durchgeführt, die aus medizinischer Sicht keinen Aufschub erlauben. „Wir sind der Aufforderung der Bundesregierung und des Landes NRW gefolgt, planbare Operationen zu verschieben und Intensivkapazitäten für potenzielle Corona-Patienten vorzuhalten.“

Dringend behandlungsbedürftigen Krebspatienten drohe aber keine Verzögerung, versichert Fuhrmann. Auch im Alfried Krupp Krankenhaus in Rüttenscheid beschränke sich die reduzierte OP-Saal-Kapazität laut Pressesprecherin Anette Ehrke-Schön auf verschiebbare Eingriffe.

Laut Dinah Oelschläger von der Krebsgesellschaft NRW sei die Versorgung diagnostizierter Patienten trotz aller organisatorischen Schwierigkeiten grundsätzlich gewährleistet gewesen. „Es gab keine systematischen oder bedrohlichen Versorgungsengpässe für Krebspatienten“, bekräftigt auch Weg-Remers. „Über die an uns gerichteten Anfragen sind uns allerdings Einzelfälle bekannt, in denen eine dringliche Behandlung verschoben wurde“, kritisiert die Leiterin des Krebsinformationsdienstes.

Patienten meiden aus Angst vor Corona das Krankenhaus

Prof. Hadaschik vom Uniklinikum Essen verweist auf ein anderes Problem: „In meinem Fach bedenklicher war die Tatsache, dass Patienten seltener in die Klinik gekommen sind und daher die Diagnose – nicht die Behandlung – von Tumoren verzögert wurde.“ Dabei stelle das Aufschieben von Diagnostikterminen laut Weg-Remers gerade bei Krebserkrankungen ein hohes Risiko dar, „da sich die Prognose bei Tumoren im fortgeschrittenen Stadium erheblich verschlechtert“.

Die Helios St. Elisabeth Klinik biete deshalb seit Kurzem unter anderem für das Hauttumorzentrum eine Videosprechstunde an. „So erreichen wir Patienten, die sich trotz aller Schutzmaßnahmen womöglich nicht getraut hätten, eine Klinik aufzusuchen“, so Fuhrmann. Auch die Evangelischen Kliniken Essen-Mitte haben nach Angaben von Pressesprecherin Sabine Loh frühzeitig eine Beratungshotline für Krebspatienten eingerichtet, die deutschlandweit genutzt werde.

Große Verunsicherung: Krebspatienten nutzen Beratungsangebote

Wie groß insbesondere zu Beginn der Corona-Krise das Bedürfnis nach medizinischer Beratung war, zeige auch die gestiegene Zahl der Anfragen an den Krebsinformationsdienst. „Wir haben im März rund 4200 Anfragen individuell beantwortet“, sagt Weg-Remers. „Sonst beantworten wir durchschnittlich 2.800 pro Monat. An einzelnen Tagen drehten sich bis zu 80 Prozent der Anfragen um Corona und Krebs.“ Mittlerweile habe sich Situation wieder weitgehend normalisiert.

Ein Telefongespräch ersetze aber nicht den Kontakt zu Familienmitgliedern und Freunden: „Neu ist, dass Krebspatienten uns schildern, dass sie unglücklich über die Kontaktbeschränkungen und die Einschränkungen von Besuchen in Kliniken sind“, so Weg-Remers. „Gerade in einer solchen Situation möchte man mit Angehörigen und Freunden enger zusammenrücken.“ Damit Krebspatienten bestmöglich betreut und beraten werden, fordert Oelschläger, schnellstmöglich zum Regelbetrieb zurückzukehren.