An Rhein und Ruhr. Ab dem 1. Juli dürfen in Pflegeeinrichtungen Besucher auf dem Zimmer empfangen werden. Die Sorge der Pflegekräfte vor Ansteckungen ist groß.
In den Pflege- und Alteneinrichtungen ist das Spannungsfeld in der Corona-Zeit besonders groß. Die Bewohner vermissen Familienmitglieder und anderen Menschen, die ihnen nahe stehen, fühlen sich zunehmend einsam. Telefonate und Besucher hinter der Glasscheibe sind da nur ein kleiner Trost. Auf der anderen Seite gehören Sie zur Risikogruppe und sollen besonders geschützt werden.
Ab heute (1. Juli) gilt eine neue Allgemeinverfügung des NRW-Gesundheitsministeriums. Die neuen Lockerungen sollen die Lebensqualität der Bewohner weiter steigern. "Dieses Mal ist die Allgemeinverfügung pünktlich gekommen, wir hatten genug Vorlaufzeit um uns vorzubereiten", freut sich Ralf Krause, Geschäftsführer beim Multikulturellen Seniorenzentrum "Haus am Sandberg" in Duisburg.
Neue Lockerungen: Besucher auf dem Zimmer erlaubt
Die neue Verfügung ermöglicht Besuche im größeren Stil. Ab sofort dürfen Heimbewohner Besucher in ihrem eigenen Zimmer empfangen. Zweimal täglich, je zwei Personen. Wer die Einrichtung verlässt, kann sich mit bis zu vier Personen treffen. "Das kommt sowohl bei Besuchern als auch Bewohnern sehr gut an, die Erleichterung ist groß", erklärt Krause. Um die Gefahr einer Infektion zu minimieren, müssen Besucher weiterhin einen Fragebogen ausfüllen.
Gibt es Symptome, die auf das Virus hindeuten? Gab es Kontakte zu einer infizierten Person? Anschließend messen die Mitarbeiter ab dem 1. Juli die Temperatur: Eintreten darf jeder, dessen Temperatur zwischen 35,4 und 37,4 Grad liegt. Im Haus selber muss ein Mund-Nasen-Schutz getragen, auf den Zimmern ist er verzichtbar - sofern ein Abstand von 1,5 Metern eingehalten wird. Und: Bereits seit dem 20 Juni ist Körperkontakt wie eine Umarmung mit Mund-Nasen-Schutz wieder erlaubt.
Während die Freude bei Bewohnern und Besuchern groß ist, steigt die Sorge beim Pflegepersonal: "Da kann man nur auf die Vernunft der Menschen hoffen", erklärt Krause. Die 80 Pflegekräfte im Haus am Sandberg haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten auch im privaten Umfeld eingeschränkt. Die Angst, dass sie das Virus in die Einrichtung tragen könnten, sei enorm groß.
Corona und Pflegeheime: Die Sorge vor Ansteckungen ist groß
Mit Skepsis beobachtet auch das Lambertus-Seniorenheim in Essen die neuen Lockerungen. "Die Sorge vor Neuansteckungen ist enorm", erklärt Tanja Rutkowski, Leiterin des Fachbereichs Gesundheit und Pflege bei der CSE, die gemeinsame Gesellschaft von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen. "Die Angehörigen werden jetzt mehr in die Verantwortung gezogen." Ein Corona-Ausbruch im Lambertus-Seniorenheim führte im März zur kompletten Isolation der Einrichtung: 36 Bewohner und 14 Pflegekräfte wurden damals positiv auf das Virus getestet, acht Bewohner starben in diesem Zusammenhang.
"Die Angst, wieder in die Isolation zurück zu fallen, ist schon groß", sagt Rutowski. Aber: Auch die seelische Gesundheit der Bewohner sei ihr wichtig, engerer Kontakt zu Angehörigen sei demnach unverzichtbar. "Daher die große Bitte an alle Angehörigen: Achtet auf eure Verantwortung!"
Lockerungen im Pflegeheim: Zwischen Freiheit und Sicherheit
Die Sorge, dass neue Lockerungen auch neue Risiken bergen, teilt auch Direktor Michael van Meerbeck vom Caritas-Verband Wesel und Dinslaken. "Wir verstehen, dass wir in der Schere zwischen Freiheit und Sicherheit stehen", erklärt er. "Bei mir bleibt die Angst um die Menschen, die uns anvertraut wurden." Zwar habe van Meerbeck größtes Verständnis für den Wunsch nach weiteren Freiheiten, geändert habe sich aber an der Corona-Situation bisher nichts. "Falls das jetzt schief geht, wer muss dann vor dem Haus stehen und erklären, wie es dazu gekommen ist?", fragt er nachdenklich. "Im Kreis Wesel sind die Infektionszahlen besonders hoch, viele benehmen sich, als gäbe es gar kein Virus."
Die Bewohner der insgesamt drei Seniorenpflegeheime in Dinslaken und Wesel nehmen die weiteren Lockerungen unterschiedlich auf. "Viele freuen sich, nun wieder mehr Kontakt zu haben", erklärt van Meerbeck. Andere seien zurückhaltender, bekunden Angst im Hinblick auf die Lockerungen. „Wir müssen alles daran setzen, dass sich die Menschen begegnen können. Und alles dafür tun, dass wir eine Infektion verhindern", betont van Meerbeck.