An Rhein und Ruhr. Seit einem Jahr sind E-Scooter in NRW unterwegs. Freude oder Hass: Kaum ein Verkehrsmittel spaltet so sehr die Gemüter. So soll es weitergehen.

Für manche ein Ärgernis und eine Gefahrenquelle im Stadtverkehr, für andere ein wichtiger Baustein bei der Verkehrswende oder Freizeitspaß: bei kaum einem anderen Verkehrsmittel gehen die Meinungen so konträr auseinander wie bei E-Scootern. Seit genau einem Jahr sind die elektronischen Tretroller jetzt auf deutschen Straßen zugelassen.

Aus dem Bild vieler Städte an Rhein und Ruhr sind die kleinen Flitzer heute kaum mehr wegzudenken. Zum Leidwesen einiger Bürger, die sich vor allem daran stören, dass Leih-Roller wild auf Gehwegen liegen und rücksichtslose Fahrer durch Fußgängerzonen fahren oder sich alkoholisiert hinter den Lenker stellen. Zum Jahrestag blickt die NRZ auf die Straßen unserer Städte.

E-Scooter mehr Freizeitspaß statt sinnvolle Ergänzung

„Das Bild ist noch recht wirsch und ich bin nach wie vor skeptisch“, sagt der Düsseldorfer Verkehrspolitiker Martin Volkenrath zur E-Scooter-Situation. Es sei zwar wichtig, bei der Mobilität neue Wege zu gehen, das Problem bei den elektronischen Tretrollern sieht der SPD-Politiker aber vor allem in der aktuellen Nutzung: „Die Leihroller stehen hauptsächlich im City-Bereich und werden dort meistens als Freizeitspaß oder von Touristen genutzt.“ Die Roller würden so dem Nahverkehr mehr Konkurrenz machen als ihn zu ergänzen, sagt Volkenrath.

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Die Stadt Düsseldorf, wo der Politiker dem Verkehrsausschuss der Stadt vorsitzt, hat nach den ersten Erfahrungen im vergangenen Sommer eine Sondernutzungserlaubnis für Leih-Scooter auf den Weg gebracht. Ziel: Anbieter stärker in die Pflicht nehmen und das wilde Abstellen von Rollern an öffentlichen Orten etwas besser in den Griff kriegen. Ein Schritt, der aus Sicht der Stadt gut bei den Einwohnern ankam: „Die Menschen in der Stadt haben die Entscheidung der Stadt begrüßt, das Angebot der Verleihsysteme zu reglementieren und durch die Sondernutzungserlaubnis das Verhalten im öffentlichen Straßenraum zu ordnen“, sagt ein Sprecher der Stadt auf Anfrage dieser Redaktion.

E-Roller stehen und liegen oft wild im öffentlichen Raum

Martin Volkenrath hat vor allem zur Parksituation einen durchwachsenen Eindruck: „Es wirkt insgesamt etwas aufgeräumter, manche Roller fliegen aber immer noch herum.“ Auch die Stadtverwaltung scheint das ähnlich zu sehen: „Eine Herausforderung ist nach wie vor, dass die E-Scooter von den Nutzern zum Teil nicht richtig im Stadtgebiet abgestellt werden.“ Derzeit würde die Einführung von sogenannten Parkzonen für E-Scooter geprüft, so ein Sprecher. Man wolle so das nicht korrekte Parken minimieren.

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Dass E-Scooter auch gefährlich sind, belegen Zahlen aus dem NRW-Innenministerium. Zwischen dem 15. Juni und dem 1. Dezember 2019 zählte man hier 208 meldepflichtige Unfälle mit E-Rollern. Fast immer waren demnach die Rollerfahrer schuld. In 172 Fällen waren die „Elektrokleinstfahrzeugführenden“ die „wesentliche Ursache“, so das Innenministerium. 42 Schwerverletzte und 164 Leichtverletzte zählte die Polizei im Zusammenhang mit E-Roller-Fahrten in dieser Zeit.

Viele Anzeigen, weil Fahrer sich nicht an die Verkehrsregeln halten

Außerdem kassierten E-Roller-Fahrer in dem genannten Zeitraum in NRW fast 1500 Ordnungswidrigkeitenanzeigen – größtenteils für das Fahren auf nicht zugelassenen Verkehrsflächen, also Gehwegen oder in Fußgängerzonen. Etwa 500 mal wurden Menschen erwischt, die zu zweit oder mit sogar noch mehr Personen auf einem E-Scooter unterwegs waren. Wie sich Unfallzahlen und Verstöße im Winter und während der Corona-Zeit entwickelt haben, kann das Innenministerium derzeit nicht sagen.

In der Zeit dürfte sich die Situation aber etwas entspannt haben, denn die großen Leih-Anbieter haben ihre Flotte in dieser Zeit entweder ganz oder zu einem großen Teil von den Straßen geholt. So hat etwa Anbieter Lime, der in fünf NRW-Städten zu finden ist, sein Leih-Geschäft in dieser Zeit pausiert, wie Alexander Graf von Pfeil, General Manager bei Lime in Deutschland, erklärt. Er geht aber davon aus, gestärkt aus der Krise hervorgehen zu können: „Inzwischen wurde der Betrieb in Köln, Düsseldorf, Dortmund und vielen weiteren Städten wieder aufgenommen und wie viele Experten gehen auch wir davon aus, dass individuelle Mobilität ein neues Hoch erleben wird.“

Weniger, dafür längere E-Scooter-Fahrten während der Corona-Pandemie

Mitbewerber Tier, aktuell in zwölf NRW-Städten vertreten, hat hingegen den Betrieb aufrecht erhalten. In dieser Zeit gab es zwar deutlich weniger Einzelfahrten, hat Matthias Kwasnitza, City Manager für das Ruhrgebiet, beobachtet, „allerdings waren die einzelnen Fahrten deutlich länger.“ Die Nachfrage nach individueller Mobilität sei also immer gegeben gewesen, so Kwasnitza. Auch Lime hat nach der Wiederaufnahme des Angebots ähnliche Erfahrungen gemacht: im Schnitt seien die Fahrten 25 Prozent länger als noch vor der Pandemie.

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Beide Anbieter zeigen sich nach dem ersten Jahr zufrieden mit der Nachfrage. Während Lime keine Angaben zur Flottengröße in NRW macht, spricht Tier von 10.000 E-Rollern an Rhein und Ruhr. Über die einzelnen Städte verteilen sich die Angebote unterschiedlich: Bei der Stadt Düsseldorf sind aktuell 6200 Roller von fünf Anbietern angemeldet, die Stadt Essen spricht von aktuell 540 Fahrzeugen.

Über eventuelle Expansionspläne geben sowohl Lime als auch Tier keine Auskunft. Lime-Manager Alexander Graf von Pfeil sieht hier allerdings auch Nachholbedarf bei der Infrastruktur: „Um unser Angebot langfristig zu erweitern, bedarf es einem Umdenken der Städte, denn wir können die Verkehrswende in Deutschland nur schaffen, wenn die Städte die entsprechende Infrastruktur für nachhaltige Mobilitätsoptionen schaffen. Das heißt konkret: Fahrradwege und -spuren ausbauen und eine ausreichende Anzahl an PKW-Parkplätze in Stellflächen für Fahrräder, Lastenräder und E-Scooter umwandeln.“

Einige Leih-Anbieter könnten schnell wieder vom Markt verdrängt werden

Neben den fast schon etablierten Anbietern drängen aber auch immer weitere Firmen auf den Markt. Bei der Stadt Essen haben etwa zwei weitere Anbieter ihr Interesse bekundet, Scooter in den öffentlichen Raum zu stellen. SPD-Mann Martin Volkenrath ist von solchen Plänen irritiert: „Mich wundert, dass sich die Firmen das finanziell leisten können.“ Er und auch andere Verkehrsexperten gehen deshalb davon aus, dass sich der Markt in nächster Zeit bereinigt und einige Anbieter wieder verschwinden werden. Die E-Scooter werden aber vorerst bleiben.