Mönchengladbach. Was ist mit Greta (3) in der Viersener Kita passiert? Die Ermittler erheben neue Vorwürfe gegen die Erzieherin, sie steht unter Mordverdacht.

  • Ein dreijähriges Kind aus einer Viersener Kita wurde am 21. April mit einem Atemstillstand in ein Krankenhaus gebracht.
  • Zwei Wochen später wird eine 25-jährige Erzieherin festgenommen. Sie soll das Kind ermordet haben.
  • Die Ermittler rekonstruieren nun die Tat. Gegen die Erzieherin gibt es weitere Vorwürfe: Auch in anderen Kitas, in denen sie zuvor gearbeitet hat, gab es wohl Zwischenfälle.

Update Freitag, 11.43 Uhr: Selbst wenn eine Erzieherin bei einem Arbeitgeber etwa wegen mangelnder Empathie auffällt, darf der das nach Angaben des Deutschen Kita-Verbands nicht einmal ansatzweise im Zeugnis erwähnen. „Deshalb sind letztendlich alle Zeugnisse Makulatur“, sagte die Verbandsvorsitzende Waltraud Weegmann dem WDR. Es bestehe eine Meldepflicht der Kitas gegenüber den Jugendämtern, wenn es konkrete Verdachtsmomente für körperliche Übergriffe gebe. „Die gibt es aber oft nicht“, sagte Weegmann.

Träger müssten sich grundsätzlich ein erweitertes Führungszeugnis von Bewerbern vorlegen lassen. Allerdings dauere es „eine Weile“ bis Vorfälle aktenkundig seien. Unter der Hand dürften sich die Einrichtungen aus rechtlichen Gründen nicht austauschen. Immer mal wieder würden Erzieherinnen nicht die besten Voraussetzungen für den Beruf mitbringen. „Insgesamt wird man diese Mitarbeiter überhaupt nur relativ schwer los.“ Arbeitsrecht und Datenschutz gingen häufig auf Kosten der Kinder. (mit dpa)

Mordverdacht gegen Viersener Erzieherin: Weitere Gewalttaten im Fokus

Update Freitag, 7.03 Uhr: Nach dem Mordverdacht gegen eine Viersener Erzieherin und einer möglichen Serie weiterer Gewalttaten in Kitas stehen nun mehrere Institutionen im Fokus. „Sollten sich die schrecklichen Vorwürfe bewahrheiten, muss auch im Detail vor Ort der Frage nachgegangen werden, ob ernsthafte Frühwarnzeichen ignoriert wurden und ob die Vorfälle dem zuständigen Jugendamt nicht gemeldet und keine Anzeigen erstattet wurden“, teilte das NRW-Familienministerium am Donnerstagabend auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

Atemstillstand in Kita: Verdacht gegen Erzieherin "wiegt schwer"

Die Vorfälle müssten gründlich und umfassend aufgeklärt werden. Das zuständige Landesjugendamt sei um einen Bericht gebeten worden. „Der Verdacht gegen die 25-Jährige wiegt schwer und ist unerträglich“, teilte das Ministerium mit. „Unser Mitgefühl gilt den Eltern und Angehörigen“
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Der 21. April ist für die kleine Greta der erste Tag, an dem sie wieder in ihre Kindertagesstätte „Am Steinkreis“ in Viersen gehen darf. Das Mädchen hat die drei Wochen zuvor bei einer Freundin seiner alleinerziehenden Mutter verbracht, an diesem Dienstag ist Greta das einzige Kind in der Notgruppe.

Kita-Kind: Mit Atemstillstand ins Krankenhaus

Am frühen Nachmittag wird das Kita-Kind mit einem Atemstillstand ins Krankenhaus gebracht. Am 4. Mai stirbt Greta, einen Tag nach ihrem dritten Geburtstag. Zwei Wochen später wird eine 25-jährige Erzieherin festgenommen. Sie soll das Kind ermordet haben. Möglicherweise hätte Gretas Tod verhindert werden können, wenn Warnhinweise ernst genommen worden wären.

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Der Fall, der die 76.000 Einwohner zählende Stadt aufgerüttelt hat, ist einer, der „große Betroffenheit auch bei hartgesottenen Ermittlern“ auslöst, sagt Kriminaldirektor Manfred Joch, der Leiter der Kripo in Mönchengladbach. Dorthin hatten Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag geladen, um über den Stand der Ermittlungen zu berichten. Sie äußern einen ungeheuerlichen Verdacht: Anscheinend hat die unter Mordverdacht stehende Erzieherin bereits in drei anderen Kindertagesstätten in Kempen, Krefeld und Tönisvorst Kinder angegriffen.

Was ist in der Viersener Kita passiert: Die Ereignisse am 21. April

Guido Roßkamp, der Leiter der Mordkommission rekonstruiert die Geschehnisse am 21. April und an den Tagen danach: Am frühen Nachmittag dieses verhängnisvollen Tages wird Greta von ihrem Bezugsbetreuer und der 25-Jährigen zum Schlafen gelegt. Der Betreuer beendet seinen Dienst, die Erzieherin ist allein mit dem Kind. Alle Viertelstunde, so will es die Vorschrift, muss kontrolliert werden, ob das Kind atmet.

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In einer späteren Vernehmung erklärt die 25-Jährige, dies so getan zu haben. Um 14.45 Uhr habe sie festgestellt, dass das Kind nicht mehr atme und nicht mehr auf Ansprache reagiere. Sie verständigt mit zwei anderen Erzieherinnen Rettungskräfte, führt Reanimationsmaßnahmen durch. Greta wird ins Krankenhaus gebracht.

Dort erlangt das Kind nicht mehr das Bewusstsein. Weil sich die Ärzte nicht erklären können, was die Ursache für Gretas Zustand ist, ziehen sie die Gerichtsmedizin zu Rate. Auf den Augenlidern des Kindes sind Petechien, stecknadelkopfgroße Einblutungen, die sich nur durch eine Gewalteinwirkung erklären lassen. Das Krankenhaus verständigt am 29. April die Polizei.

Tod eines Kita-Kindes: Die Beamten verhören die Mutter und die Erzieherinnen

Die Beamten verhören die Mutter, die Erzieherinnen. Am 4. Mai stirbt Greta. Bei einer Vernehmung am 12. Mai erhärtet sich der Verdacht gegen die 25-jährige Erzieherin. Es konnte kein Außenstehender die Kita betreten haben. Am 19. Mai wird sie festgenommen, am 20. Mai kommt sie in Untersuchungshaft.

In einer Kita in Viersen ist ein dreijähriges Mädchen getötet worden. Eine Erzieherin steht unter Mordverdacht.
In einer Kita in Viersen ist ein dreijähriges Mädchen getötet worden. Eine Erzieherin steht unter Mordverdacht. © dpa | Marius Becker

Die Ermittler wühlen in der Vergangenheit der Frau und entdecken Erschreckendes. In allen Kindertagesstätten, in denen sie zuvor beschäftigt war, gab es Zwischenfälle. In Krefeld, wo sie zwischen August 2017 und Juli 2018 ihr Anerkennungsjahr macht, wird ein dreijähriger Junge im November nicht ansprechbar und mit verdrehten Augen im Schlafraum aufgefunden.

Es ist die heute 25-Jährige, die den Vorfall meldet. Das Kind wird ins Krankenhaus gebracht. Im Februar kommt es zu zwei ähnlichen Vorfällen. Die Mutter des Kindes berichtet den Beamten, ihr Junge habe Angst gehabt, in die Kita zu gehen. Die Angst habe sich schlagartig gelegt, als die Erzieherin die Einrichtung verließ.

Kita in Krefeld stellt verheerendes Zeugnis aus: Weitere Vorwürfe gegen Erzieherin

Das Zeugnis, dass der Frau von der Krefelder Einrichtung ausgestellt wird, ist verheerend, berichtet Joch. Sie sei völlig empathielos und für den Beruf nicht geeignet. Trotzdem erhält sie ihre Anerkennung als staatlich geprüfte Erzieherin und wird in einer städtischen Kindertagesstätte in Kempen angestellt.

Dort ist sie zwischen August 2018 und Juli 2019 beschäftigt, auch dort kommt es zu insgesamt vier Zwischenfällen. Betroffen ist ein zweijähriger Junge, der einmal mit Atemnot und „krampfartigen Verhalten“ ins Krankenhaus eingeliefert werden muss.

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„Es kommt leider immer wieder zu Vorfällen, bei denen ein Notarzteinsatz erfolgt. Im vorliegenden Fall haben die Ärzte keine Auffälligkeiten diagnostiziert“, begründet ein Sprecher der Stadt Kempen, warum damals nicht die Alarmglocken schrillten. Solche Unfälle würden dem Jugendamt über die Unfallkasse gemeldet. „Die Unfallanzeigen wurden ordnungsgemäß nach unseren Vorgaben überprüft und weitergeleitet. Es lagen keine Anzeichen vor, in eine andere Richtung zu denken.“

Einen Vorfall soll es auch in Tönisvorst gegeben haben

Erneut wechselt die Erzieherin die Stelle. Zwischen dem 9. September und dem 30. November 2019 arbeitet sie in einer Kindertagesstätte in Tönisvorst. Über die Probezeit kommt sie dort nicht hinaus, auch dort wird nach Angaben der Ermittler ihr beschienen, nicht geeignet für den Beruf zu sein. Und auch in Tönisvorst muss ein Kind mit einem Atemstillstand ins Krankenhaus gebracht werden, ein zweijähriges Mädchen, das mit der jungen Frau allein in der Wickelstation ist.

Guido Roßkamp (l), Leiter der Mordkommission, und Lothar Gathen, Sprecher der Staatsanwaltschaft, sitzen während einer Pressekonferenz nebeneinander. Bei den Ermittlungen gegen eine wegen Mordes an einem dreijährigen Kita-Kind verdächtigen Erzieherin in Viersen sind die Behörden auf weitere Vorfälle in früheren Kindergärten der Verdächtigen bis ins Jahr 2017 gestoßen.
Guido Roßkamp (l), Leiter der Mordkommission, und Lothar Gathen, Sprecher der Staatsanwaltschaft, sitzen während einer Pressekonferenz nebeneinander. Bei den Ermittlungen gegen eine wegen Mordes an einem dreijährigen Kita-Kind verdächtigen Erzieherin in Viersen sind die Behörden auf weitere Vorfälle in früheren Kindergärten der Verdächtigen bis ins Jahr 2017 gestoßen. © dpa

Ihr Vater berichtet, das Kind habe später erzählt, dass die Erzieherin ihr „fest auf den Bauch gedrückt“ habe. In diesem Fall wirft die Staatsanwaltschaft der jungen Frau Misshandlung von Schutzbefohlenen, möglicherweise in Tateinheit mit Körperverletzung vor.

Danach fängt die Erzieherin an, in der Kindertagesstätte in Viersen zu arbeiten.

Im Mai 2019 erfindet die junge Erzieherin einen Überfall in Moers

Ermittler Roßkamp berichtet von einem weiteren merkwürdigen Vorfall. Im Mai 2019 alarmiert die junge Frau selbst die Polizei. Sie habe bei einem Waldspaziergang in Moers einen über eine Frau gebeugten Mann gesehen. Als sie eingeschritten sei, habe sie dieser Mann mit einem Messer im Gesicht geritzt. Eine Gerichtsmedizinerin stellt fest, dass sie sich die Verletzungen selbst beigebracht hat. Die junge Frau räumt ein, die Tat erfunden zu haben.

Die Staatsanwaltschaft Kleve stellt ein Verfahren wegen Vortäuschung einer Straftat rasch ein. Der jungen Frau wird geraten, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ob sie das jemals getan hat, wissen die Ermittler nicht.

Seit ihrer Festnahme schweigt die 25-Jährige eisern.