An Rhein und Ruhr. Über 140 Flüchtlinge stecken sich in St. Augustin an. Es ist die sechste Masseninfektion in einer Sammelunterkunft. Grüne fordern Gegenmaßnahmen.

Männer in weißen Schutzanzügen, mit Mundschutz, Gesichtsschild und Handschuhen verlassen die Unterkunft, vor der Polizisten Wache stehen. Wer in ihr lebt, darf sie nicht verlassen, sie steht unter Quarantäne. Einmal mehr ist in einer Sammelunterkunft für Flüchtlinge in NRW Corona ausgebrochen, diesmal in St. Augustin bei Bonn. 143 Geflüchtete und zehn Mitarbeiter sind infiziert.

Nachdem der erste Bewohner der Unterkunft Ende vergangener Woche positiv getestet worden war, ordnete die Bezirksregierung Köln eine flächendeckende Testung an. 489 Flüchtlinge sind in der Sammelunterkunft gemeldet, allerdings waren nur 312 in der Einrichtung, als der Corona-Ausbruch bekannt wurde. Wo sich die anderen Bewohner aufhalten ist unklar, so eine Sprecherin der Bezirksregierung auf Anfrage unserer Redaktion.

11.000 Flüchtlinge in Sammelunterkünften

In den Sammelunterkünften des Landes sollen Flüchtlinge möglichst bis zum Ende ihres Asylverfahrens wohnen, bevor sie auf die Kommunen verteilt werden. Seit Mitte März ist die Zuweisung in die Kommunen komplett ausgesetzt. Rund 11.000 Flüchtlinge leben derzeit in Nordrhein-Westfalen in Sammelunterkünften des Landes.

Der Flüchtlingsrat NRW hatte zu Beginn der Corona-Krise vergeblich gefordert, diese Unterkünfte mit ihren Mehrbettzimmern und Gemeinschaftsbädern zu evakuieren, weil in ihnen körperliche Distanz kaum möglich ist. Stattdessen setzt das Land auf die Ausweitung von Unterbringungskapazitäten, etwa durch die Anmietung von Jugendherbergen oder die Reaktivierung geschlossener Einrichtungen.

Der sechste Corona-Ausbruch in einer Sammelunterkunft

Vor dem Corona-Ausbruch in St. Augustin kam es bereits in Landeseinrichtungen in Bonn, Bielefeld Euskirchen und Marl sowie in einer städtischen Sammelunterkunft in Mettmann zu Massen-Infektionen, sämtliche Einrichtungen wurden unter Quarantäne gestellt. „Das ist Freiheitsentzug und völlig unverhältnismäßig“, kritisiert Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats. Insgesamt wurden in den Landesunterkünften 286 Flüchtlinge positiv getestet, berichtet das Landesflüchtlingsministerium.

Das Verwaltungsgericht Münster hatte am 7. Mai in einem Eilverfahren gegen die Bezirksregierung Arnsberg entschieden, dass eine schwangere Asylbewerberin und ihr Ehemann nicht verpflichtet werden könnten, in einer Sammelunterkunft in Rheine zu wohnen. Begründung: unzureichende Hygienezustände.

Einige Menschen leiden unter Panik-Attacken

Die Bezirksregierung Köln als Betreiberin der Einrichtung in St. Augustin ist nun hektisch bemüht, die Situation zu entschärfen. 61 Bewohner sind nach Angaben einer Sprecherin bislang verlegt worden, in eine Flüchtlingsunterkunft in Schleiden bei Aachen und eine Bonner Jugendherberge. Eine weitere Jugendherberge sei bereits angemietet worden. Zudem sollen positiv und negativ getestete Flüchtlinge separiert werden.

Im Einsatz sind in St. Augustin auch zwei Psychologen. „Man kann nicht sagen, dass das ganz ruhig abläuft“, so die Sprecherin der Bezirksregierung. Manche Flüchtlinge hätten „kleine Panikattacken“ erlitten. Zudem hätten die Ursprungspatienten, die als erste positiv getestet wurden, in den betroffenen Einrichtungen oft geschützt werden müssen, weil sie von anderen Flüchtlingen für die belastende Situation verantwortlich gemacht würden. Immerhin: Bislang sei noch keiner der Corona-Infizierten in St. Augustin schwer erkrankt, betont die Sprecherin.

Keine neuen Corona-Beschränkungen

Die Menschen im Rhein-Sieg-Kreis, in dem St. Augustin liegt, müssen vorerst trotz des Ausbruchs in der Sammelunterkunft nicht befürchten, dass die Lockerungen der Corona-Einschränkungen zurückgenommen werden. Die von Bund und Ländern festgelegte Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner ist noch lange nicht erreicht, da in dem Kreis rund 600.000 Menschen leben.

Berivan Aymaz, die integrationspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion kritisiert die Zustände in den Sammelunterkünften scharf: „Das Zusammenleben auf engstem Raum in Massenunterkünften bringt Geflüchtete und Personal in große Gefahr und kann ein Herd für eine rasante Infektionsausbreitung sein“, sagte Aymaz unserer Redaktion. Die Landesregierung müsse „ihrer Fürsorgepflicht endlich gerecht werden“ und die Unterbringung in Sammelunterkünften schnellstmöglich beenden.

Grüne bringen Antrag im Landtag ein

Die Grünen wollen jetzt im Landtag einen Antrag einbringen, in dem sie unter anderem die schnelle Verlegung von 1700 besonders gefährdeten Flüchtlingen, die Erstellung eines landesweit gültigen Hygiene- und Schutzkonzeptes für die Sammelunterkünfte, flächendeckende Tests und die Aussetzung von Abschiebungen bis zum Ende der Corona-Krise fordern.