An Rhein und Ruhr. Obwohl die Kitas mehr Kinder aufnehmen dürfen, müssen Hunderttausende noch zu Hause bleiben. Verdi fordert mehr Schutz für Erzieher und Kinder.
Wenn am Donnerstag die Kindertageseinrichtungen an Rhein und Ruhr mehr Kinder aufnehmen, müssen weiterhin Hunderttausende Kinder zu Hause bleiben. Eltern schlagen Alarm, weil sie Homeoffice, Haushalt und Kinderbetreuung kaum noch gemanagt bekommen. Die Gewerkschaft Verdi befürwortet die Öffnung der Kitas, „aber nicht zulasten der Gesundheit des Personals“, sagt Marlene Seckler. Ein Überblick.
Wie ist die Situation bisher?
Bisher dürfen Kinder von Eltern, bei denen einer in systemrelevanten Berufen arbeitet, und Kinder von Alleinerziehenden in die Notbetreuung. In Oberhausen zum Beispiel wurden gestern 728 Kinder in einer Kindertageseinrichtung betreut, 154 in der Kindertagespflege.
Was ändert sich?
Ab heute dürfen zunächst Vorschulkinder, die besonderen Förderungsbedarf haben oder Leistungen aus dem Bildungs-und-Teilhabepaket beziehen, in die Kindergärten kommen. Darunter fallen rund 70.000 Sechsjährige in Nordrhein-Westfalen. Zudem können Kinder mit Behinderungen und Beeinträchtigungen wieder betreut werden. In der Tagespflege dürfen seit diesem Donnerstag wieder Zweijährige betreut werden.
In einem weiteren Schritt dürfen ab dem 28. Mai alle Vorschulkinder wieder in die Einrichtungen, um vor der Einschulung Abschied von Kindern und Erziehern zu nehmen. Für die andere Hälfte der 700.000 Kinder in Kita und Tagespflege bleiben mindestens zwei Betreuungstage ab dem 10. Juni.
Was bedeutet das in Zahlen?
Ein Beispiel aus Mülheim an der Ruhr: Zu den bislang 732 betreuen Kindern (von insgesamt 5.592) kommen in städtischen Kindertageseinrichtungen 243 Vorschulkinder, 164 Kinder mit Beeinträchtigung. Und 676 Kinder ab zwei Jahren können nun in der Kindertagespflege betreut werden.
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Könnte das Kita-Personal nicht um Ergänzungskräfte oder Freiwillige aufgestockt werden, um so mehr Kinder betreuen zu können?
„Bereits jetzt ermöglichen wir, dass die Unterstützung bei der Betreuung ab bestimmter Gruppengrößen beispielsweise auch von Auszubildenden oder FSJ’lern erbracht werden kann“, erklärt ein Sprecher des NRW-Familienministeriums auf NRZ-Anfrage. Weitere Möglichkeiten würden geprüft.
Die Gewerkschaft Verdi hält davon nichts, weil solche Kräfte auch einer Betreuung und Beaufsichtigung bedürfen. Sie setzt auf geschulte Fachkräfte und vor allem auf Personal, das den Kindern bereits vertraut ist, erklärt Marlene Seckler von Verdi.
Den Kitas steht rund 20 Prozent weniger Personal zur Verfügung, weil ein Teil der Erzieherinnen zur Risikogruppe gehört. Können sie trotzdem eingesetzt werden?
Genau davor haben viele Mitarbeiterinnen Angst, sagt Marlene Seckler zur NRZ. Es handele sich lediglich um eine Empfehlung, dass Risikopersonen nicht vor Ort in der Kindertagesstätte arbeiten sollen, es ist kein Verbot.
Womit beschäftigen sich die Erzieherinnen und Erzieher, die zur Risikogruppe gehören und derzeit nicht in den Einrichtungen vor Ort arbeiten?
„Beispielhaft und situationsabhängig bieten sich für die Arbeit im Homeoffice folgende Tätigkeiten an: Arbeit an Bildungsdokumentationen, Organisation von Teamtagen über digitale Medien, Nutzung von Online Weiterbildungsressourcen, Erstellung von Spiel- und Lernmaterialien, ggf. auch von digitalen Angeboten für die Kinder sowie Informationen für die Eltern, Entwicklung geeigneter Formate des regelmäßigen (telefonischen/digitalen) Kontaktes mit den Familien, um weiterhin am Leben der Kinder teilzuhaben und die Erziehungspartnerschaft mit den Eltern zu pflegen. Die Ausgestaltung der pädagogischen Arbeit in und außerhalb der direkten Betreuung liegt in der Verantwortung der Träger“, heißt es aus dem Familienministerium dazu.
Wie können Erzieherinnen und Kinder geschützt werden?
Um das Infektionsrisiko so niedrig wie möglich zu halten, empfiehlt Verdi eine Gruppengröße von zunächst fünf Kindern, die vorrangige Nutzung des Außengeländes, keine gruppenübergreifenden Angebote, gestaffelte Abhol- und Bringzeiten, die Ausstattung mit Schutzausrüstung und Hygieneartikeln und die vermehrte Reinigung. Außerdem fordert Verdi die Einrichtung eines Krisenstabes mit Beteiligung von Betriebsärzten, Eltern, Erziehern und Trägern, und eine Zwischenauswertung der Situation durch das Familienministerium vor der nächsten Öffnungswelle am 28. Mai.
Die Kinder sollen alle vor den Sommerferien für (mindestens) zwei Tage in die Kita. Versteht das ein Zweijähriger? Wäre es nicht besser, alle Kinder für eine längere Dauer in die Kita zu schicken? Kurzum: Ist das Risiko für zwei Tage unverhältnismäßig?
Die Landesregierung strebe an, allen Kindern deutlich mehr als zwei Tage in der Kindertagesbetreuung vor der Sommerpause zu ermöglichen, erläutert ein Ministeriumssprecher. Es werde von der Bewertung des Infektionsgeschehens und der Zahl der Fachkräfte abhängen, welche weiteren Öffnungsschritte im Juni möglich sind.
Ist eine Betreuung von Kleingruppen sinnvoller als volle Spielplätze, bei denen niemand mehr Infektionsketten nachvollziehen kann?
Die Gruppengrößen in den Kitas werden derzeit eingeschränkt. „Gegenwärtig ist soweit wie möglich sicherzustellen, dass eine Rückverfolgbarkeit von möglicherweise eintretendem Infektionsgeschehen gegeben ist. Dies kann in den Kindertagesbetreuungsangeboten aber beispielsweise auch bei einer privaten Betreuung in Kleingruppen mit immer den gleichen Kindern sichergestellt werden, da jederzeit bekannt ist, wer von wem betreut wurde und welche Kontakte es gab. Für Spielplätze sieht die Coronaschutzverordnung aus Gründen der fehlenden Umsetzbarkeit in der Tat keine Abstandsregelungen für spielende Kinder vor. Die Landesregierung vertraut darauf, dass Eltern bzw. Begleitpersonen die Kinder dazu anhalten, beispielsweise bewährte Hygieneregeln zu befolgen. Hinzu kommt, dass Kinder sich auf Spielplätzen in der Regel nur eher kurze Zeit aufhalten“, lautet die Antwort des Ministeriums.
Schwächt man durch die nun stattfindende Stärkung von Tagepflege die Regel-Kitas, die für kleinen Kinder erst im September öffnen können?
Das Familienministerium bewertet die Kindertagespflege in NRW im U3-Bereich als gleichwertiges Betreuungsangebot. „Die Kindertagespflege spielt in Nordrhein-Westfalen eine große Rolle, die von der Landesregierung überaus geschätzt wird, völlig unabhängig von der aktuellen Situation. Jedes dritte unter Dreijährige Kind, das in NRW betreut wird, besucht dieses familiennahe Setting. Wegen der Überschaubarkeit der Kindertagespflege, der kleinen Gruppen mit fester Bezugsperson und der guten Verfolgbarkeit der Infektionsketten hat die Landesregierung entschieden, auch hier zunächst den Zugang für die Gruppe der dort Ältesten, das heißt den Zweijährigen, zu öffnen. Die Landesregierung hat das Ziel, dass alle Kinder in KiTas und auch in Kindertagespflege deutlich vor September einen eingeschränkten Regelbetrieb besuchen können“, lautet die Antwort des Ministeriums.
In selbst organisierter Kinderbetreuung von Eltern dürfen bis zu fünf Kinder betreut werden. Wie können hier Infektionsketten nachgewiesen werden?
„Wenn und soweit Betreuungsmöglichkeiten noch nicht wieder zur Verfügung stehen, kann auch eine privat organisierte Betreuung in Kleingruppen in Betracht gezogen werden. Es sollte sich dabei möglichst um Gruppen mit immer den gleichen Kindern handeln. Daneben sollen Familien weitere Sozialkontakte soweit möglich vermeiden. Wichtig ist auch, dass die Kontakte jederzeit nachvollzogen werden können. Deswegen sollten Eltern, die diese Form der Kinderbetreuung wahrnehmen, alle nicht nur flüchtigen Sozialkontakte erfassen und auch täglich dokumentieren. Die Betreuung sollte so oft wie möglich im Freien stattfinden“, sagt ein Sprecher des NRW-Familienministeriums.
Der Landeselternbeirat der Kindertageseinrichtungen in NRW hat in einem offenen Brief an Ministerpräsident Armin Laschet u.a. kritisiert, dass kreative Betreuungskonzepte fehlen – zum Beispiel die Betreuung von Kindern in Parks, Wäldern, Sporthallen etc.. Warum gibt es solche Konzepte nicht?
Das Familienministerium gibt den Staffelstab in dieser Frage an die Träger weiter: „Die konkrete Ausgestaltung der Betreuungskonzepte in den Einrichtungen vor Ort liegt in der Verantwortung der Träger und muss unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes und pädagogischer Aspekte von dort bewertet werde“, erklärt ein Ministeriumssprecher. Verdi fordert indes Land und Kommunen auf, nach Betreuungskonzepten zu suchen. Denkbar sei, leerstehende Gebäude für pädagogische Angebote zu nutzen.