Wesel/Kamp-Lintfort/Moers. Ein Weseler Soldat hat vor Gericht den Missbrauch an mehreren Kindern zugegeben. Der Prozess gehört zum Missbrauchskomplex Bergisch-Gladbach.

Konzentriert und ohne große Gefühlsregung berichtet der schmallippige Mann mit dem Kinnbart davon, wie er seine junge Tochter, seinen Stiefsohn, seine Nichte und die Tochter eines Chatbekannten missbraucht hat. Bastian S. ist Soldat und einer der Angeklagten in dem Kindesmissbrauchs-Komplex Bergisch Gladbach, dessen Dimensionen alle bekannten Rahmen sprengen.

Am Dienstag begann in Moers der Prozess gegen den 27-Jährigen. S. ist des sexuellen Kindesmissbrauchs in 33 Fällen und der Verbreitung kinderpornografischer Schriften angeklagt. Zum Prozessauftakt räumte er die Taten, die ihm vorgeworfen werden, weitgehend ein.

Vor Gericht steht ein junger Mann, schlaksig, mit modischer schmaler Brille, in blauem T-Shirt und Jeans, der freimütig davon berichtet, wie aus pädophilen Fantasien Taten wurden, deren Opfer kleine Kinder zwischen zwei und sieben Jahren wurden. Intaktes Elternhaus, Pfadfinder, Ausbildung zum IT-Assistenten, Bundeswehr, keine Vorstrafen, eine unauffällige Biografie. So schildert der 27-Jährige seinen Werdegang.

Zweijährige Tochter wurde in Kamp-Lintforter Wohnung missbraucht

2014 lernt er seine spätere Ehefrau kennen, sie bringt einen Sohn aus einer früheren Beziehung mit in die Ehe, im Mai 2016 wird die gemeinsame Tochter geboren. Sie ist seine erste Beziehung, vorher hat er vergebens Kontakte im Internet gesucht, zu Frauen und Männern. Im Internet stößt er 2013 auf Bilder, die ihn ansprechen. Hentais, japanische Comics mit sexuellem Inhalt. 2014 klickt er sich durch „FKK-Bilder“, auf denen Minderjährige zu sehen sind. Warum er nach diesen Bildern gesucht hat, will der Vorsitzende Richter wissen. S. zuppelt unruhig an seinem T-Shirt. „Ich weiß es nicht, warum.“ Immer dann, wenn er nach seinen Beweggründen gefragt wird, wird er nervös.

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Mitte 2018 beginnt schließlich in der Wohnung in Kamp-Lintfort der Missbrauch der Tochter, die zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre alt ist. Die Taten passieren am Wochenende, wenn seine Ehefrau beruflich abwesend ist. „Ich wollte das machen, was ich auf den Bildern gesehen habe“, sagt der 27-Jährige nach langem Zögern. Im Herbst 2018 stößt er bei einem Lehrgang in Norwegen auf ein Pädophilen-Netzwerk bei Skype mit Tausenden Teilnehmern aus vielen Ländern. Er trifft dort den heute 43-jährigen Jörg L. aus Bergisch Gladbach.

L. ist selbst Vater einer im April 2017 geborenen Tochter. Der Chat-Partner aus Bergisch Gladbach habe ihn dazu angeregt, auch seinen heute sechsjährigen Stiefsohn zu missbrauchen, nachdem man sich das erste Mal persönlich in einer Sauna in Essen getroffen habe. Zusammen mit den „Mädels“, den beiden kleinen Töchtern. Bei diesem Treffen Anfang 2019 habe er auch die Tochter von L. missbraucht, räumt S. ein. Er spricht von einem „Grundsatz“, den beide Männer gehabt hätten. Sie hätten nichts gegen den Willen der Kinder tun wollen. Die beiden treffen sich immer wieder, einmal besucht S. seinen Partner mit seiner gesamten Familie. Sie tauschen in Chats ihre Fantasien aus, wollen im Laufe der Zeit immer mehr.

Missbrauch: Weseler zeigte sich im Juni 2019 selbst an

Von manchen der Übergriffe auf seine Tochter und seinen Stiefsohn fertigt der 27-Jährige Videos und Bilder an. Damit sich die Chat-Partner „aufgeilen“ können, wie er sagt. Im Juni 2019 offenbarte sich sein Stiefsohn der Mutter. S. muss die gemeinsame Wohnung verlassen und zeigt sich auf Anraten des Jugendamtes selbst an. Die Staatsanwaltschaft verzichtete allerdings auf eine Hausdurchsuchung. Wenige Monate später missbraucht S. nach eigenen Angaben seine damals siebenjährige Nichte, im Haus seiner Mutter. „Leider Gottes“ habe ihm seine Schwester trotz seiner Selbstanzeige zu sehr vertraut, sagt er.

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„Leider Gottes“ ist eine Phrase, die er immer wieder benutzt. „Leider Gottes“ habe der Wickeltisch seiner kleinen Tochter eine gute Höhe für den Missbrauch gehabt, hat er in einer polizeilichen Vernehmung zu Protokoll gegeben. „Leider Gottes“ habe er nicht darüber nachgedacht, was ein zweijähriges Kind nach einem Missbrauch auf die Frage „War das schön?“ seinem Vater wohl antworten soll.

Zu einem mit L. geplanten gemeinsamen Missbrauch der Nichte und der Tochter des Bergisch Gladbachers, für den L. bereits Reizwäsche für die Kinder erworben hatte, kommt es nicht mehr. Im Oktober 2019 durchsucht die Polizei die Wohnung von L. und stellte umfangreiches Beweismaterial sicher, das die Spur zu zahlreichen weiteren Tatverdächtigen legt. Kurze Zeit später wird auch S. in Untersuchungshaft genommen.

Missbrauchskomplex: Bislang sind 31 Opfer identifiziert

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Der erste Prozess in dem Missbrauchskomplex hatte Ende vergangenen Monats in Mönchengladbach begonnen. Dort stehen zwei 39-jährige Männer aus Krefeld und Viersen vor Gericht, die wegen sexuellen Missbrauchs in 79 Fällen angeklagt sind. Sie sollen zwischen 2015 und November 2019 immer zwei Mädchen missbraucht haben, der eine Mann seine Tochter, der andere Angeklagte seine Nichte. Bundesweit sind mittlerweile 31 Opfer identifiziert. Die Ermittlungen erstrecken sich nun auf alle Bundesländer.

Allein in Nordrhein-Westfalen gelten 21 Männer als Beschuldigte, neun von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. Sieben sind bislang angeklagt worden. Es dürfte deutlich mehr werden, ist der Kölner Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer überzeugt. Bislang sind nur Männer angeklagt worden, denen sexueller Missbrauch vorgeworfen wird. Diejenigen, die nicht selbst missbrauchten, aber Kinderpornografie horteten und verbreiteten, sind noch nicht angeklagt worden. Der Mann aus Bergisch Gladbach, bei dem die Ermittlungen ihren Anfang nahmen, war in zahlreichen Pädophilen-Chats unterwegs. Einer soll mehr 1800 Mitglieder gehabt haben. „Die Zahl der Beschuldigten wird sich deutlich erhöhen“, ist Bremer sicher.