Kolumnist Matthias Maruhn schreibt über seine Erlebnisse in Corona-Zeiten. Dieses Mal über seinen Geburtstag und einen Besuch im Einkaufszentrum.

Der 63. ist mein erster Pandemie-Geburtstag. Ein ruhiger Tag. Natürlich keine Party. Aber immerhin ein Nachmittag mit Mummenschanz im Vorgarten der Verwandten. Tässchen Kaffee, zwei Meter Abstand, Kuchen, den mir meine Schwägerin Marion, vorne im Foto, extra gebacken hat. Und auch Facebook zeigt sein freundliches Gesicht: noch nie habe ich so viele Gratulationen von den „Freunden“ erhalten. Noch nie habe ich mich auch so gerührt darüber gefreut. Corona macht uns alle weich.

Ein Beispiel aus dem Alltag. Der Rasen muss gemäht werden. Aber auch in meiner Brust wohnen zwei Seelen. Also noch einige mehr, aber zwei, die den Ton angeben. Ich nenne sie den Deutschen und Bruder Leichtfuß. Normalerweise mäht der Deutsche. Den Rasen schnurgerade hoch, wenden, Rasen gerade runter. Bahn für Bahn. Jeweils die Vorspur um 3,8 cm überlappend, damit kein Halm unrasiert bleibt.

Der erste Besuch im Einkaufszentrum seit Einführung der Maskenpflicht

Und jetzt: Der Leichtfuß übernimmt die Kontrolle. Ich mähe Inseln. Da stehen sie dann ungeköpft auf dieser Augenweide, die Gänseblümchen und die Pusteblumen. Nur mein Deutscher ist ein wenig irritiert. „Entspann Dich“, rat ich ihm.

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Nachbarn haben mir ein Buch geschenkt. Ich freue mich, kenne es aber schon. Den Umtausch mache ich selbst. Erster Besuch im großen Einkaufszentrum seit Einführung der Maskenpflicht. Aus Lautsprechern in der Decke erklärt eine Männerstimme die neue Ordnung. Für einen Moment bin ich Komparse in einem Science-Fiction-Film. Fehlen nur noch die Außerirdischen. In der Buchhandlung muss man einen Korb nehmen, den eine Mitarbeiterin zuvor desinfiziert. Die Kundin hinter mir weiß mehr und ermahnt die Frau: „Nehmen Sie nicht so viel von dem Zeugs. Datt gibt Krebs.“

„Meine Frau hat mir eine Zweitmaske genäht“

Zurück ins Freie. Da wartet eine mobile Pommesbude. Hab ich ja ewig nicht mehr. „Einmal Spezial bitte.“ Genau: Mayo, Sauce, Zwiebeln. Ich muss mich erden. Mit dem Zeigefinger löse ich eine Schlaufe der Maske und lasse sie am anderen Ohr baumeln. Hab ich bei jüngeren Männern abgeschaut, die sehen dann wie Chirurgen nach getaner Arbeit aus, ich wohl eher wie ein Bankräuber, dem während des Überfalls das Gummiband gerissen ist.

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Meine Frau hat mir vorgestern eine Zweitmaske genäht. Sehr bunt. Sie hängt jetzt immer griffbereit im Auto am Rückspiegel. Machen viele. Und zahlreiche Männer, so habe ich gelesen, nehmen sich den Bart ab, damit die Maske sitzt. Ich habe ihn auch auf drei Tage runtergesenst. Dabei fiel mir eine gruselige Parallele aus der Geschichte ein. Vor über 100 Jahren ließen sich die Soldaten in den Schützengräben die Bärte auf einen kleinen Rest unter der Nase stutzen, damit die Gasmaske sitzt. Einer dieser Soldaten hieß Adolf. Meine Großväter trugen auch dieses Hitlerbärtchen, beide.

Wieder zu Hause leere ich zunächst meine vollgestopften Jeans- und Jackentaschen. Acht Einkaufszettel, vier Quittungen. Mein Leben ist Einkauf. Dann dieses Geräusch draußen vor der Tür. Was ist das? Ich kenn es wohl. Von früher. Der Blick aus dem Fenster: Es regnet. Gott segnet. Endlich. Ich marschiere eilig in den Garten, schaue in der Regentonne nach dem aktuellen Wasserstand. Richtig, mein Deutscher hat sich von dem Schrecken erholt.