Am Niederrhein. Im Alter von 14 Jahren wurde Maria von Kleve vermählt. Anno 1440 war das. Da wurde nicht aus Liebe geheiratet sondern aus politischem Kalkül.

Marias Geburt auf der Klever Schwanenburg 1426 fiel in eine Zeit, als das noch junge Herzogtum Kleve sich eng an das mächtige Herzogtum Burgund band, um mit Hilfe dieses bedeutenden Allianzpartners auch den Weg für den eigenen Aufstieg zu ebnen.

Politik in jener Zeit hieß zu einem Gutteil Heiratspolitik und gerade hier konnte die kinderreiche klevisch-märkische Dynastie dem burgundischen Herzog Philipp dem Guten behilflich sein. Philipp verfügte nur über einen einzigen legitimen Sohn und aus der zahlreichen Schar seiner illegitimen Nachkommen kam keiner für hochrangige Eheverbindungen in Frage.

Hier vermochte Herzog Adolf I. von Kleve nun auszuhelfen und vermählte auf Geheiß Philipps 1440 seine Tochter Maria (1426-1487) mit Karl von Valois, dem Herzog von Orléans (1394-1465). Worum es hierbei ging, war nichts weniger als aus einem Todfeind einen Bundesgenossen zu machen.

Maria von Kleve, Ausschnitt aus dem Gemälde, das im LVR-Niederrheinmuseum Wesel zu sehen ist.
Maria von Kleve, Ausschnitt aus dem Gemälde, das im LVR-Niederrheinmuseum Wesel zu sehen ist. © Tatjana Savchenko

Der Vater Philipps des Guten, Johann ohne Furcht, hatte Karls Vater 1407 ermorden lassen und fiel selbst 1419 einem Attentat zum Opfer, bei dem das Haus Orléans seine Hand mit im Spiele hatte. Inzwischen schien es Philipp dem Guten jedoch ratsam, eine politische Kehrtwende gegenüber dem Haus Orleáns zu einzuleiten. Die militärischen Erfolge und der Nimbus der Jungfrau von Orleans hatten Frankreich gestärkt und Burgund veranlasst, sich 1435 vom englischen Bündnispartner zu trennen und Einfluss auf den französischen Hof zu gewinnen. Diese Annäherung sollte jetzt über den Umweg über Orléans und die klevische Prinzessin Maria, die Nichte Philipps, erfolgen.

Maria war wie ihre Brüder Johann und Adolf am burgundischen Hof in Brüssel aufgewachsen und wurde nun 1440 im Alter von 14 Jahren im Interesse Onkel Philipps an den 46-jährigen Karl von Orléans vermählt. Karl war nach 25 Jahren Kriegsgefangenschaft aus England zurückgekehrt und Philipp zu Dank verpflichtet, der einen Großteil des von England geforderten Lösegeldes bezahlt hatte.

Ein „Prinz von Geblüt“ – aber 25 Jahre älter

Als „Prinz von Geblüt“ gehörte Karl von Orleans zu königlichen Familie. Auch wenn die politischen Ambitionen Philipps nicht aufgingen, so nahmen Karl und Maria aufgrund ihrer Stellung doch an den höfischen Lustbarkeiten des Königs teil. Als Karl VII. im Sommer 1445 in Nancy und Chalons residierte, erging sich die Hofgesellschaft in Turnieren und Banketten und die neunzehnjährige Maria stand im Mittelpunkt der Festivitäten.

Hier entspann sich eine Romanze zwischen der Herzogin von Orléans und dem 22-jährigen Ritter Jacquet de Lalaing, der Maria schon auf der Schwanenburg als Knappe ihrer Brüder Johann und Adolf begegnet war. Jacquets Chronist Chastellain beschreibt ihn als „ so schön und an allen Gliedern wohlgeformt, dass Gott und die Natur bei seiner Gestaltung nichts vergessen hatten.“

LVR-Niederrheinmuseum in Wesel

Dr. Veit Veltzke ist Leiter des LVR-Niederrheinmuseum Wesel (An der Zitadelle 14). 700 Jahre deutsche-niederländische Geschichte werden hier erzählt.
Für viele Jahrhunderte bildeten der Untere Niederrhein nördlich von Köln und die ostniederländischen Gebiete einen pulsierenden gemeinsamen Kultur- und Wirtschaftsraum: die Niederrheinlande. Derzeitige Dauerausstellung: Wesel und die Niederrheinlande. Die Ausstellung wird kontinuierlich erweitert.

Öffnungszeiten: Di - So, 11-17 Uhr. An jedem 1. Freitag im Monat ist der Eintritt frei. Ansonsten: Erwachsene 4,50 Euro, unter 18 Jahren gratis.

www.niederrheinmusuem-wesel.lvr.de

Marias Gatte hingegen wurde nach 25 Jahren Kriegsgefangenschaft als gänzlich ergrauter alter Mann geschildert. Kein Wunder, dass Marias Herz dem strahlenden Ritter und Bekannten aus Klever Kindertagen zuflog. So erkor sie ihn wohl nicht nur beim Turnier in Nancy zu ihrem Ritter, wo Jacquet eine prunkvolle Helmzier trug, die Maria ihm verehrt hatte.

Marias Ehemann, Karl von Orléans, schrieb poetische Texte – auch für Maria

Nach der Trennung von Jacquet, als das Herzogspaar wieder in ihr Schloss nach Blois zurückgekehrt war, befiel Maria eine schwere Krankheit. Ihr schriftgewandter Ehemann Karl kümmerte sich jedoch rührend um sie und drückte ihr in Balladen seine Liebe aus.

Tatsächlich nimmt Karl von Orléans mit seiner sprachlichen Brillianz einen beachtlichen Rang in der französischen Poesie ein. In Blois versammelte er einen Dichterkreis, an dessen Austausch auch die poetisch talentierte Maria teilnahm. In ihrem melancholisches Gedicht „En la forest de Longue Attente“ („Im Wald der sehnsüchtigen Erwartung“), das seinen Platz in der französischen Literatur gefunden hat, gesteht Maria: „Im Wald der sehnsüchtigen Erwartung folgte ich einem Pfad, von dem ich mein Herz nicht losreißen kann.“

Anreise, Öffnungszeiten etc LVR Niederrheinmuseum Wesel

Erst 17 Jahre nach der Eheschließung sollten sich Kinder beim Herzogspaar einstellen: 1457 und 1464 zwei Töchter und 1462 der männliche Erbe Ludwig. Ein Jahr zuvor hatte der geschickte Machtpolitiker und skrupellose Ränkeschmied Ludwig XI. den französischen Königsthron bestiegen, der die inzwischen verwitwete Maria unter Drohungen zwang, ihren Sohn Ludwig mit seiner verwachsenen Tochter Johanna zu verheiraten. Des Königs Kalkül: die nach ärztlichem Urteil unfruchtbare Johanna werde dem Haus Orléans keinen Erben gebären und dessen Ländereien dann an die französische Krone fallen.

Die Rechnung aber ging nicht auf

Die Rechnung Ludwigs XI. ging jedoch nicht auf. Nach dem Tod seines Thronnachfolgers 1498 sollte der Sohn Marias als Ludwig XII. die Krone Frankreichs tragen, ließ die Ehe mit Johanna annulieren und heiratete erneut. Seine älteste Tochter Claude de France, die Enkelin Marias, wird von ihr den klevischen Schwan als Wappentier übernehmen und einen der bedeutendsten französischen Monarchen, Franz I., heiraten.

Diese günstige Entwicklung ihrer Dynastie erlebte Maria nicht mehr. Allerdings fühlte sie sich nach dem Tode ihres Mannes von ihrem 18 Jahre jüngeren Hausverwalter Jean de Rabodanges aufgefangen. Mit der „Ehe zur linken Hand“, die Maria als Herzogin-Witwe mit Herrn Rabodanges aus niederem Adel einging, verletzte Maria zwar die höfischen Konventionen, fand aber für lange Jahre wohl doch noch ihr spätes Glück.