Gangelt. Menschen im Kreis Heinsberg, wo der erste Coronavirus-Fall in NRW bekannt wurde, stehen Schlange vor Apotheken und Supermärkten. Ein Ortsbesuch.

Die Nerven liegen bei Petra Dietz an diesem Donnerstag bereits am Mittag blank. „Schon weit vor 8 Uhr standen die Kunden vor der Tür Schlange“, erzählt die Angestellte der Grenzland-Apotheke in Gangelt. In der 12.500-Einwohner-Gemeinde im äußersten Westen von NRW ist seit Mittwochabend das Corona-Virus angekommen. Es sind die ersten beiden Fälle in NRW, ein 47-Jähriger hat sich infiziert, ebenso seine Frau, die Kindergärtnerin ist.

Und die Bürger in der Gemeinde an der deutsch-niederländischen Grenze wollen jetzt offenbar vorsorgen. „Wir hatten noch über 100 Atemschutzmasken auf Lager, die waren nach kurzer Zeit verkauft“, erzählt Dietz. „Da geht jetzt schon bei einigen die Angst um, gerade bei älteren oder kranken Menschen“, so die Angestellte. Den ganzen Vormittag sei es in der Apotheke mitten im Ort brechend voll gewesen. „Wir haben noch mehr Desinfektionsmittel angefordert, das ist auch ausverkauft“, so Dietz. Es sei aber sehr unsicher, ob schnell Neues nachkommen werde.

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Leere Straßen, volle Supermärkte

Gleich zwei Einkaufswagen schob dieses Paar in Gangelt aus dem Supermarkt. Die Menschen fangen dort an, Hamsterkäufe zu tätigen.
Gleich zwei Einkaufswagen schob dieses Paar in Gangelt aus dem Supermarkt. Die Menschen fangen dort an, Hamsterkäufe zu tätigen. © dpa | Henning Kaiser

Auch in der zweistündigen Mittagspause fahren immer wieder Autos vor. „Ich hatte gehofft, dass heute den ganzen Tag geöffnet ist“, sagt Edith Hahnen. Sie ist aus dem Gangelter Ortsteil Stahe hierher gekommen. „Langsam macht man sich Sorgen“, so Hahnen. „Bisher war das Virus weit weg, jetzt ist es in unserer kleinen Gemeinde angekommen.“ Die Stimmung sei sehr gedrückt.

Tatsächlich sind die Straßen fast leergefegt, nur wenige Menschen sind unterwegs, nur vereinzelt fahren Autos durch den Ort. An vielen Arztpraxen und Geschäften hängen Infoblätter, die auf das Virus hinweisen.

Der Landrat des Kreises Heinsberg, Stephan Pusch, übermittelte in einem Facebook-Video die Botschaft, dass die Menschen im Kreis „Massenansammlungen oder Besuche in Gemeinschaftseinrichtungen“ am besten vermeiden sollten. Wenn möglich, sollten sie ganz zuhause bleiben. Das scheinen viele auch gemacht zu haben.

Kein Desinfektionsspray, keine Hygienetücher mehr

Hochbetrieb herrscht aber in den Supermärkten, viele fahren vollbepackte Einkaufswagen durch die Gänge. „Brechend voll“ sei es den ganzen Tag, beschreibt eine Kassiererin bei Rewe. „Diesen Andrang erleben wir sonst nur vor Weihnachten“, sagt sie. In den Regalen, wo sonst Desinfektionsspray, Hygienetücher und Reiniger stehen, ist jetzt gähnende Leere. „Nichts mehr da“, sagt die Kassiererin. Sie glaube nicht, dass schnell Nachlieferungen kommen. Viele würden auch auf haltbare Lebensmittel setzen, einfach viel mehr als sonst kaufen.

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Das Virus ist Thema Nummer eins, ob an der Wursttheke oder beim Bäcker. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Karnevalsveranstaltungen abgesagt worden wären“, meint eine Kundin bei Rewe. Das am Virus erkrankte Ehepaar hatte noch voll am gesellschaftlichen Leben teilgenommen, auch Karnevalssitzungen besucht. Da sei die Ansteckungsgefahr besonders hoch, so die Kundin. „Bei mir ist es jetzt eine Mischung aus Wochenendeinkauf und Hamstern“, erzählt die junge Frau.

Haltbare Lebensmittel sind gefragt

Sie hat zahlreiche Tiefkühlpizzen, Brot und Obst in den Einkaufswagen gelegt. „Damit ich in den kommenden Tagen nicht so oft raus muss.“ Partys und andere größere Veranstaltungen wolle sie meiden. An der Hand hat sie ihren Sohn, er hat schulfrei. Alle Schulen und Kitas im Kreis Heinsberg haben erst einmal geschlossen, für viele ist jetzt die Kinderbetreuung ein Problem.

Auf dem Pausenhof der Gesamtschule Gangelt-Selfkant spielt heute niemand, nur die Lehrer sind anwesend und bereiten den Unterricht vor. Lehrer Arnold Frenken erhielt am Vorabend gegen 22 Uhr von einem Freund die erste Nachricht vom Corona-Fall in NRW. Der infizierte Mann sei im Ort gut bekannt, sagt Frenken – auch dessen Frau. Viele würden sich Sorgen machen und hätten Mitgefühl.

Geschäftsleute sind verunsichert

   Menschenleer: Auf den Straßen von Gangelt war am Donnerstag nichts los, nur die Supermärkte und Apotheken hatten großen Zulauf.  
   Menschenleer: Auf den Straßen von Gangelt war am Donnerstag nichts los, nur die Supermärkte und Apotheken hatten großen Zulauf.   © Anika Bloemers

Rasend schnell hat sich die Nachricht am Mittwochabend in der Gemeinde und über die sozialen Netzwerke verbreitet und landete auch bei Friseurin Michaela Loomans. Sie ist aufgewühlt, wie viele andere. Loomans hat sich fast die ganze Nacht mit Freunden, Nachbarn und Geschäftspartnern ausgetauscht. „Ich habe kaum geschlafen“, erzählt sie in ihrem Friseur-Laden. „Ich habe darüber nachgedacht, das Geschäft heute zu schließen.“ Zum Schutz. Für sich und ihre Kinder. Aber wer weiß schon, wie lange „das alles“ gehen wird.

Sie hat mit anderen Geschäftsleuten darüber gesprochen und dann doch geöffnet. Für ihre Kunden nicht selbstverständlich: Die ersten am Morgen haben vorsichtshalber angerufen und nachgefragt, ob sie bedient werden. Von Panik ist Loomans aber noch weit entfernt. „Wir können das Virus nicht aufhalten, dafür ist die Welt zu offen“, sagt sie. Aber sie will sich bei der Arbeit schützen und doch noch versuchen irgendwo Desinfektionsmittel herzubekommen.

Bürgerin setzt auf Einweghandschuhe und Hygiene

Rosemarie Kasper setzt auf eine weitere Strategie. Sie war gerade wie so viele andere einkaufen, nun sitzt sie in ihrem Auto und hat gerade ihre Einweghandschuhe ausgezogen. „Die ziehe ich mir jetzt immer an, wenn ich den Einkaufswagen nehme“, sagt sie. Dann legt sie die Handschuhe weg und greift nach einer Sprühflasche mit Desinfektionsspray. Gegen Coronavirus, steht kleingedruckt auf der Rückseite.

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Mann und Sohn haben auch so eine Flasche im Auto. Die 75-Jährige war früher Pflegerin. Hygiene ist für sie in dieser Situation alles. „Bleiben Sie gesund“, sagt sie zum Abschied. (mit dpa)