An Rhein und Ruhr. Seit 2005 gibt es das „Limes-Projekt“: die alte Grenze des römischen Reichs soll auch in NRW zum Weltkulturerbe werden. Die Chancen stehen gut.

Das Erstaunlichste an der Römerzeit ist vor allem, dass sie immer noch nicht vorbei ist, sondern, ganz im Gegenteil, gerade erst begonnen zu haben scheint, auch und vor allem am Niederrhein: Erst in den letzten Jahren und Jahrzehnten ist dank moderner archäologischer Methoden der Niedergermanische Limes quasi wieder aufgetaucht – wie vor vier Jahren eine Limesstraße im Reichswald bei Kleve.

Der Niedergermanische Limes – entstanden zum Cäsars Zeiten

Etwa 50 vor Christus, unter Julius Cäsar, begann die Befestigung der Grenze zu Germanien. Zeitweise hatten die Römer bis zu 30 000 Soldaten am „nassen Limes“, dem Rhein, stationiert. Erst im dritten Jahrhundert nach Christus überrannten die Franken die Grenze zum Reich auf Dauer.

Heute noch sind der Statthalterpalast der Provinzhauptstadt in Köln oder die Überreste der römischen Stadt Colonia Ulpia Traiana bei Xanten Publikumsattraktionen. In Neuss und Bonn sind die Straßen der Legionslager noch im Stadtbild sichtbar.

2012 wurde bei Wesel-Flüren ein Übungslager gesichtet, in dem römische Soldaten exerziert hatten. Bei Kalkar wurden die Reste eines Reiterlagers entdeckt. Der NRW-Abschnitt des Limes ist 220 Kilometer lang, 19 Kommunen sind beteiligt.

Doch mit jedem Fund wird eine schmerzhafte Lücke in der touristischen Vermarktung immer spürbarer. Der Limes ist kein Weltkulturerbe. Noch nicht. Anders als der Hadrianswall zwischen England und Schottland oder der obergermanische-raetische Limes von Rheinbrohl bei Neuwied bis Regensburg.

Doch das soll sich jetzt nach dem Willen zweier Bundesländer und fünf niederländischer Provinzen ändern. Problem des Niedergermanischen Limes: Die Grenze ist fließend. Der Rhein bildete von seiner damaligen Mündung bei Valkenburg bis zum Vinxtbach bei Bad Breisig eine natürliche Barriere, eine nasse Grenze, die aber gerne auch mal die Befestigungen an ihrem Ufer wegspülte. Mit dem Ergebnis, dass mittlerweile manche Fundstätte die Rheinseite gewechselt hat.

Eines aber blieb der Limes immer: Die Grenze zwischen dem zivilisierten römischen Rheinland und den wilden Germanen vom anderen, linksrheinischen Ufern. Doch die Römer wollten nicht nur das Ufer verteidigen, sondern auch den Fluss selbst. „Für die Römer war das der wichtigste Handelsweg“, erklärt Jörg Wegmann, beim Landschaftsverband Rheinland im Limes-Projektteam.

Die Römer erfuhren, wie das so ist als Besatzungsmacht: Man muss die eigenen Truppen versorgen – und die auf der britischen Insel gleich auch noch. „Und man wollte auch kontrollieren, was reinkam und was rausging, was auf dem Strom und über den Strom transportiert wurde“, sagt Wegmann. Das sorgte schon damals für viel Verkehr auf dem Rhein. Und wegen der strategischen Bedeutung des Flusses gab es circa alle 25 Kilometer eine Festung – und vieles drumherum: Händler, Dienstleister, Gewerbe, Märkte, Unterhaltung, Gasthäuser.

Drei Bände, rund 1000 Seiten – das ist der Antrag an die Unesco

Dies alles hat man nun in den Niederlanden und beim LVR gebündelt und aufgeschrieben und ein großes bordeauxfarbenes Paket in drei Bänden mit rund 1000 Seiten auf den Weg gebracht: Den offiziellen Antrag, den niedergermanischen Limes bei der Unesco als Weltkulturerbe einzutragen. Übrigens: Offiziell beantragt haben die Niederlande. Was den charmanten Vorteil hat, dass Deutschland in 2020 noch einen weiteren Antrag stellen könnte – was aber viel Arbeit bedeutet: In dem voluminösen Antrag belegt eine deutsch-niederländische Kommission den „außergewöhnlichen universellen Wert“ des Objekts, dokumentiert „Integrität und Authentizität“ der Limes-Spuren und erklärt, wie Schutz und Management des Welterbes in spe gewährleistet werden.

Jens Wegmann ist einer der Mitarbeiter beim Limes-Projekt. Der Mann vom LVR sitzt im Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege in Bonn.   
Jens Wegmann ist einer der Mitarbeiter beim Limes-Projekt. Der Mann vom LVR sitzt im Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege in Bonn.   © Foto: Olaf Ostermann/LVR

Bis das alles gelesen und bewertet ist, „das wird jetzt so etwa anderthalb Jahre dauern“, sagt Jörg Wegmann. Die Unesco ernennt Gutachter, die werden nicht nur die Unterlagen prüfen, sondern auch Fragen stellen und sich vor allem auch die bisher geleistete Arbeit vor Ort angucken. Im Juli 2021 könnte dann die Entscheidung fallen.

Doch es gilt: Kein Weltkulturerbe ohne Konzept, ohne touristische Ankerpunkte, Erschließung, Erreichbarkeit und all diesen weltlichen Dingen. Genug zum Staunen und Entdecken gibt es für den kundigen Touristen schon heute. Klar, den Archäologischen Park Xanten, der bei den Limesexperten nur „CUT“ für „Colonia Ulpia Trajana“ heißt, hat jeder mindestens einmal als Schüler durchschritten. Dass Nimwegen, Neuss und Köln römische Wurzeln haben, ist auch lange bekannt.

Ein offizielles Weltkulturerbe hingegen sorgt für deutlich mehr Resonanz. „Nach der Ernennung des Obergermanischen Limes gab es dort einen deutlichen Besucheranstieg, der sich mittlerweile auf einem hohen Niveau etabliert hat“, weiß Wegmann. Aber Jörg Wegmann hat noch ein paar andere Lieblingsorte. „Beispielsweise Haus Bürgel bei Monheim ist sehr beeindruckend, da steht man vor vier Meter hohen Mauern, die noch original aus der Römerzeit sind“. Auch die Struktur der Anlage habe sich bis heute kaum verändert.

In Kalkar gab es einen antiken Tempel, im Wald bei Wesel-Flüren Übungslager der Legion

Wichtig ist die Vielfalt der verschiedenen Kulturerbestätte. So gibt es bei Kalkar einen antiken Tempel, auch erst 2009 entdeckt. Oder in Wesel-Flüren, dort wo die Bundeswehr ein paar Kilometer weiter immer noch übt, hatten auch die Römer schon „Übungslager“, 2012 ans Licht gekommen. Dies würde, genauso wie die Festung Wertheim in Duisburg, die durch nachbarschaftliches Engagement entstandenen Hinweise auf das Lager in Moers-Asberg, der römische Brückenkopf in Köln-Deutz und vieles andere mehr unter einer Dachmarke vereint – dem Weltkulturerbe „Niedergermanischer Limes“, dessen Anerkennung mutmaßlich im Laufe des Jahres 2021 erfolgt.

Ein Lager in der typischen „Spielkartenform“: Burgnatium in der Nähe der heutigen Stadt Kalkar, sichtbar gemacht durch Bodenradiologie, erst vor wenigen Jahren aufgespührt.
Ein Lager in der typischen „Spielkartenform“: Burgnatium in der Nähe der heutigen Stadt Kalkar, sichtbar gemacht durch Bodenradiologie, erst vor wenigen Jahren aufgespührt. © LVR

Und Jörg Wegmann verleiht dem Projekt auch so etwas wie eine politische Bedeutung. „Unsere Arbeitsgruppe ist eingebunden in die Kooperation „Grenzen des römischen Reichs“, die Welterbe-Stätten entlang der Grenzen des einstigen römischen Reiches unter seinem Dach vereint.“ Und das ist groß: Vom Schottland bis in die Türkei und quer durch Nordafrika und zurück bis Portugal – mehr als 7500 Kilometer Grenzbefestigungen auf drei Kontinenten, die mehr als vier Jahrhunderte Bestand hatten und sich heute auf 20 Länder verteilen. Und der Niedergermanische Limes – er ist heute Teil einer Grenze, die mehr Länder vereint als er damals getrennt hat. Vielleicht ist das der beste Grund, warum er Teil des Kulturerbes der Menschheit werden sollte.