Düsseldorf. Florian ist vor zehn Monaten nach Deutschland gekommen. Er lebt in einer elenden Baracke. Wie er sind viele Menschen aus Osteuropa obdachlos.

Florian zeigt die rote Weihnachtsmann-Mütze und schimpft in gebrochenem Deutsch. Er wünsche den Leuten „Frohe Weihnachten“, aber niemand gebe ihm Geld. „Alle denken ich zappzarapp. Ich nix zappzarapp.“ Er ist kein Dieb, das ist ihm wichtig zu betonen. Er schmeißt die Mütze auf den Berg alter Klamotten, zuckt resignierend mit der Schulter. „Ist eine Katastrophe.“ Florian, 26, kommt aus Sibiu, dem früheren Hermannstadt in Rumänien, und er ist einer der vielen wohnungslosen Menschen aus Südosteuropa in Nordrhein-Westfalen. Besuch bei einem, der wortwörtlich am Rande der Gesellschaft lebt.

Das frühere Bahngelände im Düsseldorfer Stadtteil Flingern ist nur eine Brachfläche, die bebaut werden soll. Jetzt wuchern dort Brombeersträucher, manche Menschen nutzen das Gebiet als Müllabladeplatz. In das Gesträuch führt ein Trampelpfad zum Bahngleis, dahinter schmiegt sich an eine Mauer ein kleiner Schuppen, der einst von den Bahnern genutzt wurde. Hier leben Florian und seine Freunde. Ein überdachter, selbstgezimmerter Pavillon, unter dem ein Tisch und Stühle stehen, an einer moosgrünen Wand unter freiem Himmel ein Spiegel, darauf eine Bürste, davor Kanister. Fließend Wasser gibt es nicht.

Die Zahl der Obdachlosen aus Osteuropa nimmt zu

„Hallo, guten Tag“, ruft Jürgen Plitt fragend, er ist heute mit Michael Brandt hierhergekommen. Sie wollen nicht einfach mit der Tür ins Haus fallen. Die beiden arbeiten für die „Franzfreunde“, ein Sozialwerk, das sich für wohnungslose Menschen einsetzt. Plitt ist der zuständige Bereichsleiter, Brandt koordiniert das Streetworking. Seit einigen Jahren beobachten sie, dass die Zahlen obdachloser Menschen aus Südosteuropa steigen.

Das hat auch mit einer Gesetzesänderung vor drei Jahren zu tun. Seitdem haben EU-Bürger kein Anrecht auf Sozialleistungen, wenn sie arbeitslos sind und nicht nachweisen können, dass sie mindestens fünf Jahre in Deutschland gelebt haben.

Viele Städte verweigern die Unterbringung

Viele Städte leiten davon ab, dass sie diese Menschen auch nicht unterbringen müssen, wenn sie obdachlos sind. Etliche Bulgaren, Rumänen und Polen, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sind, verdingen sich in Tagelöhner-Jobs, die nicht sozialversicherungspflichtig sind, oft haben sie keine Dokumente. Die Folge: Die Hälfte aller Menschen, die in Nordrhein-Westfalen auf der Straße leben, stammen aus Osteuropa.

Auch interessant

Ein schmaler Gang führt an dem Schuppen vorbei, die erste Tür ist mit einem Vorhängeschloss gesichert. Florian lebt ganz hinten, in einem winzig kleinen Verschlag. Der junge Mann, mit den lackschwarzen Haaren ist ordentlich gekleidet, er trägt einen grauen, dicken Anorak, es ist kühl, eine Heizung hat er nicht. Er begrüßt die Gäste überrascht, aber freundlich, lädt in seine Behausung ein, öffnet den Plastikvorhang. „Bitte, bitte, komm herein.“

Er hat sich einen Altar gebaut: „Jesus ist mein Freund“

Eine dicke Schaumstoffmatratze hinter einer Wolldecke, an der er eine Lichterkette aus Plastikrosen befestigt hat, davor auf einem abgenutzten Teppich ein Holzhocker, daneben hat sich Florian einen kleinen Altar gebaut. Kerzen, eine silberne Bibel, zwei Ikonen, eine zeigt Jesus. „Jesus ist mein Freund“, sagt Florian.

Der junge Mann ist seit zehn Monaten in Deutschland, er schlägt sich mehr schlecht als recht durch, wie er radebrechend erzählt. Er zeigt einen Schein, der ihn als Verkäufer einer Straßenzeitung ausweist. Wenn er vor Penny oder Netto steht, geht das nur eine kurze Zeitlang gut. Dann werde er vertrieben. Er wühlt eine leere Flasche aus einem Berg Wäsche. Auch als Pfandsammler ist er unterwegs. „Ist aber alles scheiße“, grummelt er und pfeffert die Flasche zurück. Er will arbeiten, aber was? Er hat keine Papiere.

Systematische Ausbeutung von Osteuropäern

In NRW leben nach Angaben des Integrationsministeriums 134.000 Menschen aus Rumänien. Immer wieder gibt es Berichte darüber, dass sie ausgebeutet werden. Leiharbeiter, die in den Niederlanden für den Mindestlohn in Schlachthöfen schuften, aber für die Unterbringung in alten Häusern diesseits der Grenze am Niederrhein horrende Summen zahlen müssen. Rumänen und Bulgaren, die im Ruhrgebiet von Vermietern abgezockt werden und schwarz malochen müssen. Frauen, die in die Prostitution gezwungen werden. Von denen, die obdachlos sind, sind etliche suchtkrank. Alkoholismus ist ein Problem.

Streetworker Michael Brandt an der Baracke der Rumänen.
Streetworker Michael Brandt an der Baracke der Rumänen. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

In Düsseldorf könnten Florian und seine Freunde theoretisch die Nacht in einer Unterkunft verbringen. Gerade erst haben die Franzfreunde eine neue eröffnet, an der Graf-Adolf-Straße. 80 Menschen können dort übernachten.

„Die Stadt Düsseldorf bringt erfreulicherweise anders als viele andere Städte auch obdachlose Menschen aus den EU-Mitgliedsstaaten in den Notschlafstellen unter, die kein Anrecht auf Sozialleistungen haben“, sagt Jürgen Plitt.

Sein Kollege Brandt versucht, Florian zu erklären, dass er und seine Leute in die Notunterkunft kommen können. Der junge Rumäne reagiert abweisend, er hat wohl Angst davor, in der Unterkunft bestohlen zu werden. „Zappzarapp.“

Streetworker wollen keine Zwangsmaßnahmen

Brandt erklärt, dass es in der Unterkunft Spinde gibt und Duschen. „Wir müssen neue Flyer machen“, sagt Plitt. Sie wollen bald wiederkommen, möglichst mit einem rumänischen Menschen, der die Unterkunft kennt und seinen Landsleuten die Angst nimmt.

„Es braucht bei unserer Arbeit viel Fingerspitzengefühl“, sagt Plitt. An und auf dem Bahngelände in Flingern lebten bis zu 25 Menschen, die er und seine Mitarbeiter noch nicht erreicht hätten. „Zwangsmaßnahmen sollten aber vermieden werden“, betont er. „Die Annahme unserer Hilfe ist immer freiwillig“, sagt Brandt.

Eine Frau fragt: „Entschuldigung, ist der Mann tot?“

Wenige Meter neben dem Verschlag von Florian steht ein provisorisches Zelt. Es ist offen, auf die Rufe der beiden Sozialarbeiter meldet sich niemand. Von der Brücke über den Schienen ruft eine Frau in abgerissener Kleidung herunter: „Entschuldigung, ist der Mann tot?“. Nein, nur nicht zu Hause.

In seinem Verschlag macht Florian zwei Kerzen an, die auf seinem kleinen Altar stehen. Das Tageslicht verschwindet allmählich. Morgen wird er wieder rausgehen und sein Glück versuchen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag hat er Geburtstag.