Am Niederrhein. Erst im November wurde der Ausbau beendet: 23 der 24 Plätze in der Jugendforensik beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) sind schon belegt.
Körperverletzung oder gar Tötungsdelikte, Raub und Brandstiftung, Sexualverbrechen: Wer in der jugendforensischen Abteilung der LVR-Klinik in Viersen behandelt wird, hat gravierende Straftaten begangen, ist zwischen 15 und 21 Jahren jung und psychisch krank. Die einzige Jugendforensik im Rheinland ist frisch ausgebaut – und schon jetzt wieder fast voll belegt.
Erst im November war die Zahl der der Betten von 12 auf 24 verdoppelt worden, aus einer Abteilung wurden zwei. Pläne für den Ausbau hatte es schon länger gegeben. „23 Betten sind bereits belegt“, berichtete Dr. David Strahl an diesem Donnerstag (5. Dezember 2019). Der Chefarzt der jugendforensischen Abteilung geht davon aus, dass Patient Nr. 24 noch im laufenden Jahr hinzu kommen könnte.
Vermehrt junge Psychose-Patienten nach Tötungsdelikten eingewiesen
„Das kann sehr schnell gehen“, meinte Strahl am Rande einer Fachtagung, zu welcher der Landschaftsverband Rheinland (LVR) auf das Klinikgelände nach Viersen-Süchteln geladen hatte. Aktuell haben es Strahl und seine Mitarbeiter vermehrt mit jungen Leuten zu tun, die unter Psychosen leiden und nach Tötungsdelikten eingewiesen werden. „Im laufenden Jahr haben wir alleine deswegen drei oder vier Patienten bekommen“, erzählte der Chefarzt.
Bisher nur männliche Patienten
Bisher sind in der Jugendforensik in Viersen ausschließlich männliche Patienten untergebracht. Grundsätzlich sei man auch in der Lage, einen Teil räumlich abzutrennen, um dann auch Patientinnen aufnehmen zu können, erklärte Chefarzt Strahl. Bislang habe man davon aber nicht Gebrauch gemacht. Aktuell gebe es im Rheinland per Gerichtsbeschluss nur eine Forensik-Patientin unter 18 Jahren im Rheinland - und die sei in der Frauen-Forensik in Bedburg-Hau bei Kleve untergebracht. (dum)
In dem extra gesicherten Backsteinbau auf dem LVR-Gelände in Viersen erhalten die Patienten umfassende Therapieangebote. Eine weitere solche Einrichtung in NRW gibt es im sauerländischen Marsberg. Fast die Hälfte der jungen Leute hat Suchtprobleme – Cannabis oder Amphetamine: „Alkohol spielt eigentlich keine Rolle“, sagt Strahl. Viele Patienten haben auch Persönlichkeitsstörungen und/oder sind minderintelligent (IQ unter 70). Die Einweisung erfolgt auf zunächst unbestimmte Zeit.
Bisher kein Rückfall nach einer Entlassung mit guter Prognose
Im Schnitt aber bleiben die jungen Patienten 47 Monate, also fast vier Jahre. Sie wechseln dann in eine Erwachsenen-Forensik oder werden entlassen – wie bei bisher insgesamt 18 Patienten der im Jahr 2013 eröffneten Jugendforensik geschehen. Die Hälfte von ihnen hatte von Ärzten und Therapeuten eine günstige Prognose erhalten: „Von denen ist bisher niemand rückfällig geworden“, berichtete Strahl.
Die anderen neun hingegen verließen die Einrichtung durch eine Gerichtsentscheidung. Vier wurden rückfällig, einer wegen Vergewaltigung. „Er ist mittlerweile im Erwachsenen-Maßregelvollzug untergebracht“, erzählte der Chefarzt. Was auch zum Rückblick auf die bisher sechs Jahre Jugendforensik in Viersen gehört: Es gab einen schweren Zwischenfall und nur eine Flucht.
Entwichener Patient klopfte nach zwei Stunden wieder an
Bei dem Zwischenfall versuchten zwei Patienten, einen dritten mit einem Kabel zu strangulieren. Forensik-Personal konnte rechtzeitig dazwischen gehen, die beiden Täter sind mittlerweile verurteilt. Und bei der Entweichung hat ein Patient beim Müllrunterbringen das Weite gesucht und sich unter einem Busch versteckt. „Der hat dann aber nach zwei Stunden selbst wieder bei uns angeklopft“, erzählte Chefarzt Strahl.
Was ist, wenn die nun ausgebaute Jugendforensik - absehbar - an ihre Kapazitätsgrenzen stößt? Weitere junge Patienten, über die 24 hinaus, würden solange „in anderen LVR-Kliniken untergebracht“, bis in der Jugendforensik wieder ein Platz frei sei, erklärte ein LVR-Sprecher auf Nachfrage der Redaktion. Strahl und seine Mitarbeiter arbeiten aktuell in Viersen allerdings auch am Aufbau einer jugendforensischen Ambulanz. Einzelnen Patienten habe man bereits helfen können, um die kümmere sich jetzt ganz intensiv unter anderem die Jugendhilfe.
Praktikumsplätze und Lehrstellen dringend gesucht
Was Chefarzt Strahl sehr am Herzen liegt und wichtig für die Therapie ist: „Alle unsere Patienten haben Träume und Wünsche, einige auch durchaus realistische.“ Die jungen Leute wollten Schulabschlüsse machen oder wünschten sich eine Lehrstelle, etwa im Gartenbau. Die Jugendforensik sucht dringend externe Praktikumsplätze oder Lehrstellen. Firmen aus der Region können sich bei der LVR-Klinik in Viersen melden (Mail: klink-viersen@lvr.de).