Cleve. Was mag in ihr vorgegangen sein? Anna von Cleve soll die vierte Gemahlin von Heinrich dem VIII. werden – und damit Königin von England...

Wir schreiben den 23. November 1539 – heute vor 480 Jahren. Im Stadtschloss Düsseldorf, der Hauptresidenz der Vereinigten Herzogtümer von Cleve, Jülich-Berg und Geldern, erhallen ein paar Salven Freudensalut. Der Startschuss zur Brautreise der hiesigen Prinzessin ‘Anna von Cleve’ nach London in ihr waghalsiges Eheabenteuer mit dem berüchtigten „Ladykiller“ König Heinrich VIII. ist gefallen.

Das Burgfräulein Anna – pardon, Prinzessin ‘Anna von Cleve’, die zukünftige Königin von England – schaut erwartungsfroh aus dem Fenster ihrer Kemenate auf ‘Schloss Burg an der Wupper’ ins Tal. Sie ist gehörig aufgeregt. Ihre Entourage aus Düsseldorf wird bald eintreffen. Die standesgemäße Brautkutsche kommt aus Torgau. Damals, vor mehr als zwölf Jahren, ist ihre ältere Schwester Sibylle als zukünftige Kurfürstin von Sachsen damit hier auch abgeholt worden.

"Hans Holbein malt Anna von Cleve", 1972, Privatbesitz Paul Theissen (1915-1994), Ölgemälde Kunstdruckkarte (14,8 x 21 cm) 1992, hrsg. zur 750-Jahrfeier der Stadt Kleve. © mit freundlicher Genehmigung von Arion und Christiane Theissen

Jungherzog Wilhelm, der zukünftig wegen seiner Erbschaft der Herzogtümer und Grafschaften ‘der Reiche’ genannt werden will, gönnt seiner Schwester keine eigene Kutsche, so dass ihr geschätzter Schwager Johann Friedrich großzügig mit der sächsischen Kutsche aushilft. Mit Johann Friedrich, einem der beiden einflussreichen Führer des lutherischen ‘Schmalkaldischen Bundes’, sympathisiert Heinrich.

Der gewiefte Thomas Cromwell - Erster Minister und Sekretär des Königs - hatte sich das zunutze gemacht. Im Frühjahr waren unverhofft seine Mittelsmänner am Herzog- und Kurfürstenhof aufgetaucht, um gemeinsame politische Interessen in Verbindung mit einer möglichen Eheschließung auszuloten. Cromwell hat Anna ins Rampenlicht gerückt, alle Strippen der Eheanbahnung gezogen und gilt letztlich als der „Dealmaker“.

Nachdem den englischen Gesandten zwei avisierte Porträtgemälde der Schwestern Anna und Amalia aus der Kölner Werkstatt von Barthel Bruyn nicht zugesagt hatten, wurde am 10. August aus London Meister Holbein entsandt.

Im ‘Wasserschloss Burgau’ in Niederau hatte er beide Heiratskandidatinnen gemalt. Der König wählte Anna aus, und im September hatte sie ihrer Verheiratung im machtpolitischen Interesse ihres Vaterlandes zugestimmt. Anfang Oktober waren die Heiratsverträge von Juristen beider Hofkanzleien unterzeichnet worden. Mit 24 Jahren kommt Anna nun endlich unter die Haube.

Literatur zu Anna von Cleve – eine Auswahl

Campbell, Lorne / Foister, Susan 1986: Gerard, Lucas and Susanna Horenbout, in: The Burlington Magazine. Special Issue Devoted to British Art from 1500 to the Present Day, 128 (1986) 10, pp 719-727.

Crecelius, Wilhelm 1887: Tagebuch Konrads Heresbach aus den Jahren 1537-1544, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins (ZBGV), Band 23, Beilage. A., S. 57-83.

Dolman, Brett al. 2009: Henry VIII, 500 Facts, published by Historic Royal Palaces, Hampton Court Palace Surrey, London.

Lipscomb, Susannah 2009: 1536. The year that changed Henry VIII, Oxford;

MacCulloch, Diarmaid 2019: Thomas Cromwell. A Life, London.

„Haube“? Ein Understatement! Ihr steht die „Krone“ des mächtigen und wohlhabenden Königreiches von England in Aussicht! Anna ist jedoch klar, dass sie schlecht gerüstet ist. Nichts hat sie lernen dürfen: keine Fremdsprachen, kein Musikinstrument! Damals hatte ihr kluger Vater den Rat des großen Erasmus befolgt und den besten aller Lehrer des Landes für den Prinzen engagiert: Konrad Heresbach, Meisterschüler von Erasmus. Wenigstens etwas humanistische Grundbildung hat Anna mitbekommen.

Ladykiller Heinrich – er konnte auch charmant sein

Ihre strenge, gottesfürchtige Mutter verordnete Bibel studieren und Handarbeiten – das genüge! So hockte Anna Jahr um Jahr auf der Burg, wurde zum Mauerblümchen und schämte sich wegen ihres pockigen Gesichts. Und diese altmodischen Klamotten, die sie zu tragen hatte: mehr Aschenputtel als Cinderella!

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Der Macho und ‘Ladykiller’ Heinrich ist Anna als „Womanizer“ beschrieben worden: hochgebildet, musisch, sportlich-athletisch, charmant, charismatisch und eloquent. Abseits aller Klischees gilt der skrupellose Souverän jedoch als ängstlich, wenig selbstbewusst und wankelmütig. Seine glanzvollen Zeiten gehören lange der Vergangenheit an.

Heinrich’s verhängnisvoller Turnierunfall beim Lanzenstechen am 24. Januar 1536 setzt ihn einem schleichendem Siechtum aus: schweres Schädelhirntrauma, offenes Bein und das Schlimmste: seine schwächelnde Manneskraft. Frust und Schmerz haben Heinrich völlig unberechenbar werden lassen, verstärken nur noch seine gnadenlose, blutrünstige Tyrannei und sind in eine schier grenzenlose Fresssucht ausgeartet.

Ihr zukünftiger Gatte zeigt sich Anna gegenüber jedoch überraschenderweise als äußerst fürsorglich. Mitte Oktober hat er Anna eine Mentorin auf Schloss Burg zur Seite gestellt: eine gewisse Lady Gylmyn (Gilman). Susanna Horenbout, wie sie mit Geburtsnamen heißt, stammt aus Gent und spricht den in den Niederrheinlanden üblichen Dialekt. Susanna ist Mitte 30, eine großartige, von Albrecht Dürer 1521 entdeckte Miniaturkünstlerin, des Königs engste Vertraute und persönliche Gesandte.

Sitten und Gebräuche am Tudorhof - das muss Anna alles noch lernen

Susannas „Sonderauftrag“ besteht darin, Anna mit Sprache, Sitten und Gebräuchen am Tudorhof vertraut zu machen. Jeden Tag hat Susanna mit Anna Englisch gepaukt und ihr des Königs Lieblingskartenspiel ‘Cent’ (frz. ‘Piquet’) für zwei Spieler beigebracht. Karten spielen - das sollte so ziemlich die einzige Leidenschaft zu Zweit werden, die Heinrich und Anna zukünftig verbinden würde. Annas Mutter ist dennoch beunruhigt und um Annas Leib und Leben besorgt.

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Von Heike Waldor-Schäfer

Meister Heresbach ist gebeten worden, kurzfristig nach London zu reisen, um eine Garantie ihres zukünftigen Schwiegersohnes einzuholen: Anna dürfe kein Haar gekrümmt werden! Kurz vor Annas Abreise hat Heresbach am 21. November das Anliegen mit dem König in seinem Lieblingsschloss ‘Hampton Court Palace’ in Surrey besprochen. Gegen alle Absprachen hat sich Heresbach vorgenommen, Anna unterwegs auf ihrer Brautreise zu treffen und persönlich zu informieren.

In England herrscht Anna-Fever

geschichte kleves neu erzähltIn England herrscht derweil „Anna-Fever“ - endlich wieder eine Königin! Das jahrelange Warten hat ein Ende. Die Bewerbungsschreiben aus Familien des Hochadels für die etwa 130 Stellen in Annas Hofstaat stapeln sich im Tudorhof. Anna kommt raus aus dem „Goldenen Käfig“, aus dem Mief des trostlosen Burglebens, weg von Nadel & Faden, von Häkeln & Stricken - mal Pause von der Bibel machen!

Wie sich das wohl anfühlen werde mit einem Mann, den sie zudem gar nicht kennt? Sie nimmt das Leben wie es kommt, sagt sich Anna, und vertraut ihrem Lebensmotto ‘A bon Fine’, alles werde gut enden. Möge aus der „Krone“ nur keine „Dornenkrone“ werden! Nun geht’s Hals über Kopf rein ins turbulente Lebens- und Eheabenteuer!