An Rhein und Ruhr. „Gebraut nach dem Reinheitsgebot“ soll für Qualität und Natürlichkeit stehen, sagt die Bier-Industrie. Kleine Brauer sehen das Gebot kritisch.
Wasser, Malz, Hopfen und Hefe – fertig ist das Bier. Zumindest dann, wenn es nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut ist. Das Rezept simpel, der Erfolg einmalig. Im April 1516 auf Antrag von Herzog Wilhelm IV. im bayerischen Landtag beschlossen, gilt das Gebot heute als älteste, noch gültige Lebensmittelgesetzgebung der Welt. Auch wenn es längst durch modernere Gesetze ersetzt wurde, hat es der über 500 Jahre alte Grundtext immer wieder in die neuen Texte geschafft, wie der Deutsche Brauer-Bund betont: „Deutsches Bier muss in der Bundesrepublik Deutschland laut Gesetz auch heute noch ausschließlich aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser hergestellt werden.“
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An Aktualität scheint das Reinheitsgebot also nichts verloren zu haben. Ein Blick auf die Flaschenetiketten der großen Brauereien in den Supermarktregalen reicht: „Gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot“ – steht so oder so ähnlich auf fast jeder deutschen Bierflasche, egal ob Pils, Alt oder Weizenbier. „Das Reinheitsgebot steht für gute Qualität“, ist sich Marc-Oliver Huhnholz vom Deutschen Brauer-Bund sicher. Doch abseits vom Mainstream – vom Brauer-Bund und den großen Brauereien, die das Reinheitsgebot hoch halten – mehren sich die Stimmen, die mit dem Gebot nicht viel anfangen können.
Foodwatch nennt Verordnung „Scheinheitsgebot“
„Das Reinheitsgebot versteht sich heutzutage lediglich als Marketinginstrument“, sagt etwa Ferdinand Laudage. Der Biersommelier und Gründer der Bieragentur Dortmund betont weiter: „Es klingt nach „Made in Germany“ und soll den Qualitätsaspekt deutscher Brauerzeugnisse hervorheben.“ Und auch von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch kommen kritische Töne. Sie nennen das Reinheitsgebot sogar „Scheinheitsgebot“. Denn das Gebot „macht weder Vorgaben zur Qualität der Rohstoffe noch zu dem Herstellungsverfahren“, so Lena Blanken von Foodwatch. „Den Verbraucherinnen und Verbrauchern werden Pestizidrückstände bei Hopfen und Malz untergejubelt, und von den verschiedenen technischen Hilfsstoffen während des Produktionsprozesses erfahren sie nichts.“
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Gemeint ist etwa der Kunststoff Polyvinylpolypyrrolidon – kurz PVPP – den einige Brauereien bei der Produktion einsetzen, um das Bier zu filtern und Trübstoffe zu entfernen. Dieser muss ebenso wie andere technische Hilfsstoffe nicht auf der Flasche angegeben werden, was die Verbraucherschützer kritisieren. Auf dem Etikett erscheint PVPP nicht, weil es am Ende der Filterung „verlässlich aus dem Bier entfernt wird“, wie der Brauer-Bund versichert. Ebenso sei der Kunststoff „unlöslich und völlig geschmacksneutral“ und käme etwa auch in der Herstellung von Medikamenten zum Einsatz, so Brauer-Bund-Sprecher Huhnholz: „Auch wenn die Verwendung eines Kunststoff-Filters wie PVPP bei der Herstellung eines Lebensmittels möglicherweise zunächst ungewöhnlich anmutet, handelt es sich dabei keineswegs um einen ungewöhnlichen Stoff.“
Bierkreationen mit Melisse, Tee, Kaffee oder Schokolade
Während einige große Brauereien viel dafür tun, ihr Bier möglichst goldig-klar und dadurch besonders lange haltbar zu machen, probieren Brauer kleiner Brauereien andere Zutaten aus. So entstehen Bierkreationen auch mal mit Melisse, Tee, Kaffee oder Schokolade. Laut Marc-Oliver Huhnholz vom Brauer-Bund kein Problem: „Das ist viel Experimentieren und kein Infragestellen des Reinheitsgebots.“ Noch immer würden 99 Prozent der Biere in Deutschland nur mit Wasser, Malz, Hopfen und Hefe gebraut, erklärt der Verbandssprecher. Er sieht aber auch keine Notwendigkeit, andere Zutaten zu verwenden „Die große Kunst ist es, alles aus vier Zutaten zu kitzeln.“ Durch verschiedene Malz- und Hopfensorten könnten so über eine Million Varianten entstehen.
Biersommelier Ferdinand Laudage hingegen macht sich für den Einsatz ausgefallener Inhaltsstoffe stark: „Wenn Zutaten wie Kaffeebohnen oder Rote Bete in oder mit einem Bier harmonieren, dann spricht das in meinen Augen eher für die Vielfalt und weiß Gott nicht gegen eine Produktion dieser Neukreationen. Für den Kunden kann es nur von Vorteil sein, wenn sich das Angebot erweitert.“ Es gebe zwar immer noch den traditionellen Biertrinker, der an seinen Gewohnheiten festhalte, so Laudage, aber gerade die jüngere Generation habe für sich erkannt, dass Bier nicht immer gleich schmecken muss.
Natürlichkeitsgebot statt Reinheitsgebot
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Eine dieser Brauereien, die schon auf andere Zutaten setzt, ist das Brauprojekt 777 aus Spellen. Man habe zwar auch Biere im Programm, die nach Reinheitsgebot gebraut seien, wolle sich aber die eigene Kreativität nicht durch die Verordnung einschränken lassen, erklärt Torsten Mömken. So entstehen dann etwa Kürbis- oder Erdbeerbier. „Viele Leute wissen gar nicht so genau, was Reinheitsgebot überhaupt bedeutet.“
Das beobachtet auch Janna Klett in ihrem Bier-Fachgeschäft „Bierbude“: „Das Reinheitsgebot ist immer mal wieder Thema und vielen Kunden wichtig. Viele deuten es so, als sei es ein Natürlichkeitsgebot.“ Dabei sei das Reinheitsgebot genau das nicht. Einige kleine Brauereien wollen daher dem Reinheitsgebot ein neues „Natürlichkeitsgebot“ entgegensetzen. So soll es Brauern ermöglicht werden, mit allen natürlichen Rohstoffen und Zutaten zu brauen, während Farbstoffe und Konzentrate verboten wären. „Es geht um Transparenz und natürliche Zutaten“, sagt Klett, „das finde ich ganz gut.“ Und auch Arne Hendschke vom Brauprojekt 777 macht sich für Natürlichkeit beim Brauen stark: „Unsere Zutaten sind natürlich und wachsen auf dem Feld. Wenn mein Bier nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut ist, bedeutet das nicht, dass mein Bier schlecht ist.“