An Rhein und Ruhr. Erste-Hilfe-Kurse kennt jeder. Relativ neu sind hingegen Letzte-Hilfe-Kurse, die sich mit dem Sterben beschäftigen. Mancher Ratschlag überrascht.
Die Atmosphäre hier im obersten Stockwerk des Essener Hochhauses ist angenehm, ja, sogar fast entspannt. Sanfte Worte, eine angemessene Lautstärke, Gebäck und Knabberzeug, hin und wieder ein Lächeln. Selbstverständlich ist das nicht, denn es geht um ein unangenehmes Thema. Wir reden über den Tod.
Einen Erste-Hilfe-Kurs hat jeder schon einmal gemacht, weiß, wie man Menschen in Not helfen, Leben retten kann. Doch wie begleitet man Menschen und vor allem seine Angehörigen oder Freunde in den Tod? Was brauchen sterbende Menschen? Und was besser nicht? Andrea Reimann und Astrid Köhne vom Essener ambulanten Hospiz „Cosmas und Damian“ erklären an diesem Abend genau das den rund 30 Teilnehmern des Letzte-Hilfe-Kurses.
Seit dem vergangenem Jahr bietet das ambulante Hospiz diese Kurse für Menschen wie du und ich an. Ziel ist es, über den Sterbeprozess aufzuklären und den Menschen ein Stück Sicherheit in dieser schwierigen Situation zu geben. „Ängste abbauen, die richtigen Worte finden“, steht auf bunten Pappkärtchen, die an einer Pinnwand hängen. Hier haben die Teilnehmer ihre Erwartungen an den Kurs formuliert.
Viele, die an diesem Abend hier sind, betreten allerdings kein komplettes Neuland, weil sie bereits eine gewisse berufliche Beziehung zu dem Thema haben. Sie sind Pflegekräfte, Betreuer oder lassen sich gerade selbst für den Hospizdienst ausbilden.
Keinen Hunger, keinen Durst
Und doch lernen sie viel Neues. Zum Beispiel, dass man Sterbende nicht drängen sollte, zu trinken. „Es ist normal, dass Sterbende aufhören, zu essen und zu trinken“, sagt Reimann. Denn: Alle Körperfunktionen werden schwächer, der Körper benötigt nicht mehr so viel Energie. Das Wasser könne nicht mehr verarbeitet werden, es kann zu Beulenbildungen kommen. „Man stirbt nicht, weil man aufhört, zu essen und zu trinken“, sagt Reimann, „sondern man hört auf, zu essen und zu trinken, weil man stirbt.“ Eine Teilnehmerin ist dankbar für diese Information: „Das hilft, dass Sie das sagen.“
Stattdessen sei es viel wichtiger und für den Sterbenden angenehmer, für eine gute Mundpflege zu sorgen. Angehörige können den Betroffenen zum Beispiel Eiswürfel aus verschiedenen Substanzen zubereiten: gefrorenen Eierlikör, geeiste Tomatensuppe, Cola, pürierte Banane oder auch Bier. „Kreative Mundpflege“ nennen die Kursleitungen das. „Ich hätte gern etwas mit Minze“, sagt Reimann. Das alles sei nicht nur Spielerei oder ein Geschmackserlebnis, sondern helfe auch, ein Durstgefühl zu lindern. In dem Letzte-Hilfe-Kurs können Teilnehmer Kostproben nehmen.
Entwickelt von Palliativmediziner Georg Bollig
Diese Kurse sind sehr stringent durchdirigiert. Entwickelt hat sie der Palliativmediziner Georg Bollig, die ersten Kurse gab es im Jahr 2014 in Norwegen, 2015 in Dänemark und Deutschland. Sie dauern vier Stunden und gliedern sich in vier Teile. Im ersten Teil beschäftigen sich die Teilnehmer mit dem Sterben als Teil des Lebens, der zweite Teil widmet sich der Vorsorge und den Fragen, ob überhaupt und wie man eine Patientenverfügung abschließen sollte und was bei einer Vorsorgevollmacht zu beachten ist.
Eine Frage in die Runde an diesem Abend in Essen zeigt: Der Großteil der Teilnehmer hat eine Patientenverfügung abgeschlossen. Andrea Reimann rät, genau zu bedenken, was darin stehen soll. Die Formulierung sei oftmals schwierig. Ein Beispiel: Wenn jemand angibt, nicht an Schläuchen hängen zu wollen, sollte man sich fragen: Wie kommen dann Medikamente in meinen Körper? Ihr Tipp: In die Patientenverfügung sollte geschrieben werden, dass man eine palliative Versorgung wünsche, denn das beinhalte die Schmerzlinderung und nehme den Erhalt der Lebensqualität in den Fokus. Beratungen und Informationen gebe es bei den Gesundheitsämtern.
Im dritten Teil beschäftigt sich der Kurs mit der Linderung des Leids. Wie kann man Sterbende unterstützen, wenn sie Schmerzen verspüren, Angst haben, hoffnungslos sind, unter Übelkeit oder Atemnot leiden? Der wohl wichtigste Tipp: Einfach da sein und zuhören. Auch leichte Massagen, Berührungen oder Hilfe bei Bewegungen des Kopfes, der Füße, Hände oder Schulter können helfen, erklären die beiden Kursleiterinnen.
Sanftes Hinübergleiten in den Tod
Doch Achtung: Jeder sollte vorher mit dem Betroffenen sprechen, ob er das auch möchte. Es gebe durchaus Menschen, die nicht berührt, deren Hand nicht gehalten werden soll, weiß Andrea Reimann. Auch über Medikamente, die Schmerzen lindern und die sogar dafür sorgen können, dass Sterbenden ein sanftes Hinübergleiten in den Tod erfahren, soll man mit Sterbenden reden. Palliative Sedierung heißt das im Fachjargon. Andrea Reimann und Astrid Köhne weisen ausdrücklich daraufhin, dass es sich dabei nicht um aktive Sterbehilfe, die in Deutschland nicht erlaubt ist, handele.
Die beiden Frauen schaffen es, dass die Teilnehmer mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. Vielleicht haben sie ein Stück Sicherheit gefunden, vielleicht auch nicht. Aber sie wissen nun, dass sie unsicher sein dürfen – und damit nicht alleine sind.
>>> Info: Kursangebote in der Region
Kurse gibt es zum Beispiel am 22. November beim Malteser Hilfsdienst in Kalkar ( 0151-226 030 52), am 29. November beim Netzwerk Palliativmedizin Essen ( 0201-174 49990), am 22. Januar 2020 bei „Die Pflege GmbH“ in Moers ( 02841 - 93456) und am 30. Januar in Duisburg ( 02841 - 93456). Weitere Kurstermine und Infos gibt es auf www.letztehilfe.info. Das Angebot des Essener Cosmas und Damian-Hospizvereins ist auf www.hospizverein-essen.de zu finden.