An Rhein und Ruhr. Mit 8,8% war die Selbstständigenquote in NRW zuletzt eher niedrig. Michael Rüscher von der Niederrheinischen IHK wünscht etwas mehr Risikofreude.

Die Selbstständigenquote war im Jahr 2018 in Nordrhein-Westfalen mit 8,8% eher niedrig. Der an diesem Montag (18. November 2019) vom Statistischen Landesamt veröffentlichte Wert ist typisch für Zeiten, in denen der Konjunkturmotor brummt und Firmen Fachkräfte suchen. Üblicherweise wagen dann weniger Menschen den Schritt in die Existenzgründung. Im Jahr 2011, mitten in der Eurokrise, lag die Selbstständigenquote den Statistikern zufolge bei 11%.

Die Quote gibt den Anteil der Selbstständigen unter den 25- bis 64-jährigen Erwerbstätigen wieder. In NRW fällt sie örtlich sehr unterschiedlich aus. In Duisburg (6%) zum Beispiel liegt sie den aktuellen Zahlen zufolge extrem niedrig, in Gelsenkirchen (6,7%) oder Oberhausen (7%) ist es kaum besser. Andere Städte an Rhein und Ruhr liegen darüber – Essen schafft fast zehn Prozent (9,6%), Düsseldorf fast elf (10,7%). Ähnlich ist es am Niederrhein – der Kreis Kleve zum Beispiel kommt auf 11,1%, der Kreis Wesel auf 9,3%.

Im EU-Vergleich liegt Deutschland hinten

„Etwas mehr Mut, etwas mehr Risikobereitschaft täte gut“, meint Michael Rüscher mit Blick auf Existenzgründungen. Der Geschäftsführer der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Duisburg verweist darauf, dass Deutschland bei der Selbstständigenquote im EU-Vergleich auf dem viertletzten Platz liege – vor Schweden, Luxemburg und Dänemark, alles Länder mit umfassender sozialer Sicherung. An der Spitze liegen Griechenland und Italien, mit Abstand gefolgt von Rumänien, Polen, Tschechien und den Niederlanden.

Bei der Existenzberatung in den Startercentern erlebe man immer wieder auch, dass Geschäftsidee und Businessplan von Kandidaten zwar gut seien: „Der Mut zum letzten Schritt in die Existenzgründung fehlt dann aber“, bedauerte Rüscher im Gespräch mit der Redaktion. Der IHK-Geschäftsführer glaubt, dass das viel mit der Mentalität zu tun habe und speziell damit, dass ein etwaiges Scheitern bei einer Existenzgründung in Deutschland immer noch eher als Versagen empfunden werde. Ganz falsch, meint Rüscher – „aus meiner Sicht sollte eher der Mut von Gründern herausgestellt werden“.

Vorbild Niederlande?

Das Nachbarland Niederlande taugt aus Sicht von Arbeitnehmervertretern nicht als Vorbild für Gründergeist sondern spiegelt einen Wandel der Arbeitsverhältnisse. Die Selbstständigenquote lag dort im vergangenen Jahr mit 17,4% zwar fast doppelt so hoch wie in NRW – das ist aber, wie auch die Statistiker sagen, dem dort sehr hohen Anteil an Solo-Selbstständigen geschuldet, also von Selbstständigen ohne Mitarbeiter.

Quer durch alle Branchen war seit Mitte der 90-er Jahre die Selbstständigkeit von Beschäftigten vorangetrieben worden, besonders betroffen war unter anderem der Bau. „Hier wurden Risiken auf die Schultern von Beschäftigten verlagert“ klagt Wilco Veldhorst, Sekretär beim niederländischen Gewerkschaftsbund FNV, auf Nachfrage der Redaktion. Zudem sei auch die Selbstständigkeit von Beschäftigten genutzt wurden, um den in den Niederlanden schon länger geltenden Mindestlohn zu unterlaufen.

Grundrente von über 1000 Euro

Karin Schulze Buschoff von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung betont, dass Solo-Selbstständigkeit nicht erstrebenswert sei. Sie gibt aber zu bedenken, dass es in den Niederlanden weniger prekäre, also nicht die Existenz sichernde Solo-Selbstständigkeit gebe. Als vorbildlich nennt sie z. B. die Alterssicherung. Während Solo-Selbstständige und Kleinstgewerbetreibende in Deutschland oft kein Geld zur Vorsorge beiseite legen könnten, gebe es in den Niederlanden eine garantierte Grundrente für alle Wohnbürger von über 1000 Euro. Die Gewerkschaften in den Niederlanden hätten sich sehr engagiert für Solo-Selbstständige eingesetzt, sagte Schulze Buschoff.

Das NRW-Wirtschaftsministerium zeigte sich mit einer Bewertung zurückhaltend. Im Vergleich mit den Niederlanden müsse berücksichtigt werden, ob Selbstständige von ihrem Einkommen leben können und wie viele Arbeitsplätze konkret geschaffen werden. „Beides ist bei einem hohen Anteil an Solo-Selbstständigen nicht immer gegeben“, hieß es auf Nachfrage. Darüber hinaus könne die geringere Selbstständigenquote in NRW „auch auf die anhaltend gute Konjunkturlage zurückgeführt werden, in der ein festes Beschäftigungsverhältnis vielen attraktiver erscheint“.