Essen. Für Förderschüler in NRW gibt es mittlerweile vielerorts ein „Speed-Dating“ mit potenziellen Arbeitgebern. Ein Erfolg, sagen die Veranstalter.
Im vergangenen Jahr war sie zum ersten Mal dabei. Und wurde von der Nachfrage fast überrollt: Ein gutes Drittel der 120 Jugendlichen wollten damals zum „Speed Dating“ mit Primark. „Das ist halt die Altersgruppe unserer Kunden – und wir liegen natürlich in deren Budget“, sagt Sabrina Wojtenek von der Modekette „Primark“, durchaus umstritten wegen der Herstellungsbedingungen und der Umweltfolgen der schnelllebigen „Fast Fashion“
„Man kann sagen, was man will, aber hierzulande gibt es mehrere dieser Modeketten, die in Sachen Beschäftigung von Schwerbehinderten vorbildlich sind“, sagt Guido Konrad vom Gastgeber, der IHK in Essen. In deren Plenarsaal sitzen heute Vertreter der Deutschen Post/DHL, der Fleischhof Rasting, Vonovia und Covestro, die sich ebenfalls einlassen auf die Begegnung mit Jugendlichen, meist zwischen 14 und 16 Jahre alt, von Förderschulen im Umkreis.
Seit vier Jahren veranstaltet der Landschaftsverband Rheinland in Kooperation mit der Industrie- und Handelskammer, der Handwerks- und der Landwirtschaftskammer derartige Speed-Datings, unter anderem in Köln, Düsseldorf, Essen und Münster.
Jugendliche mit Langstock,Rollstuhl oder Gebärdendolmetscher
Heute kommen 80 Jugendliche in den Plenarsaal, manche im Rollstuhl, manche mit dem Langstock eines Sehbehinderten und manche nutzen die Gebärdendolmetscher, um mit dem potenziellen Arbeitgeber ins Gespräch zu kommen. Der Weg auf den Arbeitsmarkt – er ist steinig für die jährlich rund 13.000 Schüler mit Behinderung in NRW.
Behinderte auf Jobsuche – es gibt viele Hilfen
Wenn Behinderte einen Job suchen, gibt es viele Hilfen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber finden Ansprechpartner bei den Kammern von Industrie-, Handel, Handwerk, Landwirtschaft. Orientierung für Betroffene bieten Kontakt-, Koordinierungs- und Beratungsstellen (Kokobe).
Bei den Jobagenturen gibt es in aller Regel einen Integrationsfachdienst, der sich um die (Wieder-)Eingliederung von behinderten Menschen bemüht. Dies kann durch persönliche Assistenz aber auch durch technische Hilfen erfolgen. Zudem gibt es vielfach Zuschüsse und Prämien.
Das muss auch Andreas erfahren. Der 16-Jährige von einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache will Kfz-Mechatroniker werden, aber weder Vonovia noch Rasting hatten für ihn ein entsprechendes Praktikum. Dabei steht bei Rasting durchaus ein umfangreiches Portfolio auf dem Plakat: Klar sucht der Fleischhof Schlachter, aber auch Lagerarbeiter, Logistiker, Betriebsanlagenbetreuer und Kraftfahrer.
Vielleicht hätte es Andreas mal bei der Post versuchen sollen. „Bei uns geht das Angebot vom klassischen Zusteller über den Paketboten bis in viele weitere Bereiche, zum Beispiel eben auch den Kfz-Mechatroniker“, sagt Katrin Tremel.
Köln. Düsseldorf, Münster: Speed-Dating-Börsen haben Konjunktur
Die Speed-Dating-Börse, bei der die Jugendlichen in anderthalb Stunden mit einem Dutzend potenzieller Arbeitgeber in Kontakt kommen können, hält sie für eine gute Sache. Immerhin zwei Praktikanten hat sie gewonnen. „Nicht schlecht für einen Vormittag.“ Der große Vorteil des Speed-Datings: Vielen Schülern fällt der direkte Kontakt deutlich leichter, als einfach eine Mail mit den üblichen Schreiben auf den Weg zu bringen.
Zudem sind hier auch direkt die Experten vor Ort, die Hinweise zur beruflichen Eingliederung geben können. „Am einfachsten geht das, wenn es um technische Hilfen geht“, sagt Guido Konrad von der IHK Essen. Die Bildschirmlupe für den Sehschwachen ist schnell installiert, eine Tragehilfe für Menschen, die maximal fünf Kilo heben dürfen auch. „Die meisten technischen Probleme lassen sich innerhalb weniger Tage lösen“, so der gelernte Elektroingenieur.
Manche künftigen Arbeitnehmer brauchen auch anfangs eine persönliche Assistenz, die die Schwierigkeiten im neuen Umfeld zu umschiffen hilft. „Schwierig ist es vor allem bei Autisten“, sagt Konrad. Nicht alle haben eine Sonderbegabung wie jene, die in Filmen wie „Forrest Gump“ Karriere machen, es gibt auch welche, die an der Steuererklärung verzweifeln – und dann irgendwas eintragen. Konrad bedauert die vielen Lehr-Abbrüche bei dieser Klientel.
Ausbildungskoordinatorin Sabrina Wojtenek hat heute gleich drei Mitstreiter mitgebracht, so begeistert ist sie vom Speed-Dating des Vorjahres. Sie ist von der Diakonie zu Primark gewechselt, hebt die Inklusionsvereinbarungen und die Jobangebote hervor. Man kann auch erstmal „Praktikant zum Verkäufer“ werden. Weil viele der Jugendlichen zwar in der Praxis gut sind, in der geforderten Theorie jedoch scheitern.
„Viele brauchen einfach mehr Zeit“, sagt sie und wechselt kurz ins Marketing-Sprech: „Der Return on Investment ist riesig.“ Will sagen: Die längere Ausbildungszeit lohnt sich. „Diese Menschen strahlen und sind unsere loyalsten Arbeitnehmer.“ Nadia, Svea und Anna-Marie hören sehr aufmerksam zu. Zum einen, weil sie eine Hörbehinderung haben. Zum anderen, weil sie dort unbedingt ein Praktikum haben wollen. Glaubt man Sabrina Wojtenek, stehen die Chancen des Trios gut.