Rheurdt. 1996 wurde in einer Rheurdter Kiesgrube die völlig entstellte Leiche eines Mannes gefunden. Der Fall ist der einzige Cold Case im Kreis Kleve.
Nichts deutet an der steilen Böschung darauf hin, dass dieser Ort einmal Schauplatz eines Gewaltverbrechens war. An dem Hang der ehemaligen Hauser Kiesgrube wuchern Sträucher, dazwischen stehen Bäume, weiter unten verläuft ein Waldweg. Einige Meter weiter hat jemand alte Autoreifen abgeladen, ansonsten hört man an diesem sonnigen Novembertag nur die Vögel zwitschern.
Es ist ein einsamer Ort in der Nähe eines schmalen Waldweges, der von der L 140 zwischen den Rheurdter Ortsteilen Saelhuysen und Schaephuysen abführt. Hier fand an einem Sonntag im Dezember 1996 ein Jäger, der mit seinem Hund unterwegs war, die völlig entstellte Leiche eines Mannes.
Bis heute ist es der einzige ungelöste Mordfall im Kreis Kleve – und einer von zwei Mordfällen die für den Ersten Kriminalhauptkommissar Gerhard Hoppmann von der zuständigen Kripo Krefeld in seiner Karriere bislang ungeklärt blieben. Seit 23 Jahren versucht er mit seinem Team sowohl Opfer als auch Täter zu identifizieren. „Die Leiche wurde hier etwa zehn Meter tief hinuntergeworfen wie ein Sack Müll“, sagt der Kriminalpolizist mit Blick auf den steilen Abhang.
Wahrscheinlich entsorgten zwei Personen die Leiche
Er kann sich noch gut an den kalten, sonnigen Dezembertag erinnern, als die Kripo zum Fundort gerufen wurde. „Der Mann war nackt, so dass er nicht zu identifizieren war. Mit einem rohrähnlichen Gegenstand wurden ihm vor seinem Tod das linke Wadenbein und mehrere Finger zertrümmert“, erklärt Hoppmann. Und dieser Gegenstand war auch für den Tod des Mannes verantwortlich. „Mit mehreren Schlägen wurde ihm der Schädel zertrümmert“, schildert Hoppmann.
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Eine Woche lang lag die Leiche dort, ohne dass sie jemand fand. Die Ermittler waren sich schnell sicher: Zwei Personen entsorgten die Leiche, die zuvor wohl in einem Kofferraum zur Kiesgrube transportiert worden war. Und: „Bei so viel Brutalität muss ein persönliches Motiv hinter der Tat stecken“, so Hoppmann.
Er war damals als Sachbearbeiter unter anderem für den Fundort und die Obduktion zuständig, machte viele Filmaufnahmen an der Hauser Kiesgrube. Der heutige 60-Jährige ging bereits mit 15 Jahren per Sondererlaubnis zur Polizei, holte das Fachabitur nach und ging zur Fachhochschule. Schon seit 1984 ist er bei der Kripo Krefeld, seit 1999 leitet er die Dienststelle. 250 Mordermittlungen hat Hoppmann geleitet, 248 davon aufgeklärt.
Ende nächsten Jahres geht der Erste Kriminalhauptkommissar in Pension. Doch der ungelöste Fall in Rheurdt beschäftigt Hoppmann. „Dieser Mann hat wahrscheinlich eine Familie, die aber nie erfahren haben, was mit ihm passiert ist“, sagt er. Das sei für die Angehörigen sehr quälend und das Schlimmste an ungeklärten Todesfällen.
Jeder Bauernhof wurde abgegrast
Doch trotz aufwendiger und intensiver Ermittlungen der Mordkommission gibt es keine heiße Spur. An den Tagen vor dem Fund habe es viel geregnet, so dass etwaige Spuren in der Umgebung verschwanden. „Wir waren auf allen Bauernhöfen und Gartenbaubetrieben im Umkreis, haben alles mehrfach abgegrast“, erinnert sich Hoppmann. Die Polizei vermutet, dass das 35- bis 50-jährige Opfer im Kreis Kleve als Tagelöhner gearbeitet hatte, da in der Gegend sehr viele Garten- und Landschaftsbaubetriebe sind.
Die Obduktion ergab, dass der Mann wahrscheinlich aus dem Osten Europas stammte. „Darauf deuteten zum Beispiel seine Zähne hin, die vorne kariös waren, hinter aber frische Plomben mit Amalgamfüllungen hatte“, erklärt Hoppmann. Diese seien damals in Osteuropa erlaubt gewesen, in Deutschland aber aufgrund des hohen Quecksilbergehalts verboten gewesen.
Zwei Mal bei Aktenzeichen XY
Eine Isotopenuntersuchung ergab zudem, dass er höchstwahrscheinlich in Polen an der Grenze zur Ukraine gelebt hatte. Deswegen habe man auch mithilfe von Dolmetschern mit vielen Erntehelfern gesprochen, die sich dort aufhielten. „Die Fluktuation war aber sehr hoch, es kamen zu dieser Zeit sehr viele junge Männer mit dem Auto, die sich abends oft auf den Parkplätzen in der Region aufhielten“, so der Kriminalhauptkommissar, der selbst am Niederrhein lebt. Dabei sei häufig viel Alkohol getrunken worden und es auch schon mal zu Streitereien gekommen.
Bereits Ende 1997 berichtete die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ zum ersten Mal mit einer Phantomzeichnung über den Fall. Die Spuren verliefen jedoch im Sand. Eine Fahndung in Polen blieb ergebnislos. „Der Mann ist dort bis heute nicht vermisst gemeldet worden“, so Hoppmann. Normalerweise werde nach einigen Monaten ohne heiße Spur zwar weiter ermittelt, neue Fälle erhalten aber Vorrang.
Hoffnung auf neue Hinweise
Erst Anfang diesen Jahres kam wieder Bewegung in den Fall: Mithilfe einer neuen Computertechnik des Landeskriminalamts NRW konnte die Polizei eine Gesichtsrekonstruktion des Opfers anfertigen lassen. Dabei werden beispielsweise Kopfumfang, Augenabstand, Haare und Ohren digital vermessen, um ein möglichst realitätsnahes Bild zu erzeugen.„Daraufhin meldeten sich Rettungskräfte bei uns und berichteten von einem tödlichen Unfall mit polnischen Insassen“, sagt Hoppmann.
Das Fahrzeug sei etwa eine Woche vor dem Fund der Leiche in der Nähe des Tatortes gegen einen Baum gefahren. In einem der Reifen habe ein Schraubendreher gesteckt, der offenbar Ursache für den Unfall gewesen war. Die Ermittler gehen deshalb davon aus, dass beide Fälle miteinander in Verbindung stehen.
Ende August war der Fall deswegen erneut bei Aktenzeichen XY. „Dabei haben wir 50 Hinweise erhalten, denen wir nachgehen“, so der Erste Kriminalhauptkommissar. Das finde neben aktuellen Ermittlungen statt – neben Todes- und Brandermittlungen ist das Kriminalkommissariat mit seinen 20 Mitarbeitern auch für Sexualdelikte, Kinderpornografie, schwere Körperverletzung, Vermisstenfälle und Erpressung zuständig. Allein 450 Todesermittlungen pro Jahr gebe es, so Hoppmann.
Im Fall des toten polnischen Mannes habe es nach der letzten Aktenzeichen XY-Sendung auch sehr konkrete Hinweise gegeben. „Diese Person konnten wir aber in Zusammenarbeit mit den polnischen Behörden ausschließen.“ Der 60-Jährige hofft trotzdem, dass noch mehr Personen sich melden, die etwas zu den Ermittlungen beitragen können.
Das ist die Beschreibung des Mannes:
- zwischen 35 und 50 Jahre alt
- etwa 1,70 Meter groß
- Schuhgröße 40/41
- Gewicht 76 Kilogramm
- mittelkräftiger Körperbau
- dunkelbraune, gegebenenfalls leicht gelockte Haare, im Bereich der Schläfen grau durchsetzt
- Mittel-blonder Oberlippenbart an Kinn und Wangen ein „Dreitagebart“
- größere ältere Narbe am rechten Unterschenkel
Zeugen, die Angaben zur Identität des Opfers oder zur Tat machen können, werden gebeten, sich unter 02151-6340 oder hinweise.krefeld@polizei.nrw.de bei der Polizei Krefeld zu melden. Für Hinweise, die zur Aufklärung des Gewaltverbrechens führen, ist eine Belohnung in Höhe von 1000 Euro ausgesetzt.