Hünxe. Mit 14 Jahre suchte Rosi Penders einen Brieffreund - und fand ihn in Reinhard Strehle (DDR). Die Mauer hielt sie von dieser Freundschaft nie ab.

57 Jahre Freundschaft, hunderte Briefe, unzählige Anrufe und gegenseitige Besuche: Rosi Penders und Reinhard Strehle verbindet eine ungewöhnliche Geschichte über die Mauer hinweg. 1962 – Rosi Penders war 14 Jahre und begann gerade ihre Ausbildung bei der Stadt – suchte sie über den Micky-Maus-Club einen Brieffreund. Penders bekam eine Adresse im sächsischen Meißen und schrieb Reinhard Strehle zum ersten Mal, ein Jahr nachdem die Mauer errichtet wurde. Von da an standen sie mehrmals pro Monat in Kontakt.

Die Beziehung zur DDR gab es für Rosi Penders aber vorher schon: Sie wurde 1947 in Cröchern nahe Magdeburg geboren. Zwei Jahre später zog die Familie zurück nach Duisburg, ihr Onkel blieb jedoch mit seiner Familie in Sachsen-Anhalt. „Der Mauerbau war für uns als Familie natürlich schlimm, wie viele andere auch wurden wir dadurch getrennt und wussten nicht, wie oft wir uns jetzt noch sehen könnten“, so Penders. 1963 reiste sie alleine zu ihrem Onkel. Und dabei traf sie auch Reinhard zum ersten Mal. „Glücklicherweise waren wir uns sofort sympathisch und von da an waren unsere Familien miteinander verflochten“, erinnert sich die 72-Jährige.

Der Kontakt blieb eng trotz Mauer

Auch als sie ihre jeweiligen Ehepartner kennenlernten, blieb der Kontakt eng. „Wir fuhren einmal im Jahr zu unserer Verwandtschaft und trafen dabei immer auch Reinhard und Christine“, so Penders. Sie wurden Paten ihrer Kinder und machten gemeinsam Urlaub in Bulgarien und Ungarn. „Nur zu uns nach Hünxe konnten die beiden nicht gemeinsam kommen“, sagt die 72-Jährige. Das Gefühl, beobachtet zu werden, sobald sie in die DDR einreiste, habe sie nie abschütteln können. „Jeder wusste ja, dass in jedem Dorf ein Informant für die Stasi saß.“

Mit diesem Brief bat Rosi Penders 1962 beim Micky-Maus-Club um eine Brieffreundschaft und lernte so Reinhard Strehle kennen.
Mit diesem Brief bat Rosi Penders 1962 beim Micky-Maus-Club um eine Brieffreundschaft und lernte so Reinhard Strehle kennen. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Die Anreise sei jedes Mal schwierig gewesen. „Das war ein perfides Überwachungssystem. Die Anträge zur Einreise mussten frühzeitig gestellt werden, die Kontrollen an der Grenze in Helmstedt wurden immer strenger“, erzählt sie. Bei ihrem letzten DDR-Besuch im Sommer 1989 sei es besonders schlimm gewesen. „Wir wurden mit unserem Auto in eine Garage geschleust, alle Tore wurden geschlossen, Spürhunde und Grenzer durchsuchten unseren Wagen, wir wurden Leibesvisitationen unterzogen“, schildert die Hünxerin. „Mein Mann hat bei vorherigen Besuchen immer etwas mit hineingeschmuggelt, theologische Bücher zum Beispiel.“ Noch heute kann sie sich genau an die Angst erinnern. „Nur bei diesem einen Mal“, erzählt Reiner Penders, „hatte ich nichts dabei, wir konnten weiterfahren.“

Nach dem Mauerfall zum Weihnachtsmarkt nach Hünxe

Am Anfang jedes Besuchs hätten sie immer erstmal geweint. „Es war immer eine Ausnahmesituation, manchmal haben wir uns gefragt, warum wir uns das antun“, erklärt Penders. Aber für diese besondere Freundschaft haben sich all die Schwierigkeiten gelohnt“, ist sie überzeugt

Bei den Bürgern in der DDR, so erzählt Penders, habe sie ab 1987 gesellschaftliche Veränderungen wahrgenommen – zumindest bei den jungen Menschen. „Wer jahrelang den Vergleich hatte, wusste, dass sich etwas anbahnte und viele unzufrieden waren“, spielt sie auf den Mauerfall an. Als die Mauer fiel, galt Penders’ erster Gedanke ihren Freunden, die mittlerweile in Chemnitz lebten, wo Reinhard Strehle Stadtarchitekt war. Sofort schickte sie ein Telegramm: „Wann kommt ihr?“ Die Familie Strehle kam – und zwar schon einige Wochen später zum Weihnachtsmarkt in Hünxe. „Das war ein schönes, aber auch tränenreiches Wochenende“, erinnert sich Penders. Für die Strehles war es eine Reizüberflutung. „Eigentlich war der Besuch sinnbildlich. Für die ehemaligen DDR-Bürger ging alles so rasend schnell.“

Nicht immer einer Meinung nach der Wende

Nach dem Mauerfall haben sie viel diskutiert, viel politisiert. „Wir waren natürlich nicht immer einer Meinung über alles, was nach der Wende passiert ist“, so Penders. Der engen Freundschaft tat das keinen Abbruch. „Wir sind sehr froh, dass wir die ost- und die westdeutsche Perspektive so gut kennen. Wir telefonieren fast jede Woche, sehen uns ein bis zwei Mal im Jahr, feiern Jubiläen und Geburtstage zusammen“, erzählt die 72-Jährige.

„Und sind auch ein bisschen stolz, dass uns die Mauer nicht davon abgehalten hat, Freunde zu sein.“ Nur ihre Stasi-Akte will Rosi Penders nicht einsehen. „Ich möchte im Nachhinein nicht wissen, welche Nachbarn und Freunde damals vielleicht Informationen weitergegeben haben“.